Wir haben für dich rund 50 zentrale Werke zum Thema Organisationskultur zusammengestellt. Sie zeigen, wie sich das Nachdenken über Kultur in Organisationen im Laufe der Zeit entwickelt hat – welche Veröffentlichungen neue Weichen gestellt haben und welche heute kritisch oder kontrovers diskutiert werden.

Seit über 100 Jahren beschäftigen sich Fachleute aus Forschung, Führung und Praxis mit der Frage, wie Organisationen wirklich »ticken«. Warum Menschen in Unternehmen nicht einfach nur nach Regeln handeln, sondern nach impliziten Mustern, gemeinsamen Überzeugungen und sozialen Dynamiken. Heute fassen wir das unter dem Begriff Organisationskultur – doch der Weg dorthin war lang und spannend.

Mit unserem neuen Poster »The Evolution of Corporate Culture Research« zeichnen wir diese Entwicklung nach – von den frühen Strukturtheorien bis hin zu modernen Ansätzen wie Psychological Safety und Self-Organisation. Wir haben Schlüsselwerke und Kontroversen markiert, um dir einen Einstieg oder eine Vertiefung in das Thema zu ermöglichen: Ob du Grundlagen verstehen oder aktuelle Werkzeuge kennenlernen willst – hier findest du den passenden Ausgangspunkt.

Abbildung 1: Wichtige Werke zum Thema Organisationskultur und wesentliche Entwicklungen im Nachdenken darüber.

Abbildung 1: Wichtige Werke zum Thema Organisationskultur und wesentliche Entwicklungen im Nachdenken darüber.

Wie sich das Denken über Organisationskultur entwickelt hat

Das Nachdenken über Organisationskultur ist keine lineare Erfolgsgeschichte. Es lässt sich verstehen als ein ständiger Dialog unterschiedlicher Disziplinen – zwischen Soziologie, Psychologie, Managementlehre und Anthropologie. Jede Disziplin hat ihre eigene Perspektive eingebracht, eigene Begriffe geprägt – und damit das gemeinsame Verständnis Schritt für Schritt erweitert.

1. Struktur und Funktion (1900–1950)

Max Weber und Frederick Taylor sahen Organisationen als rationale Gebilde, gesteuert durch Hierarchien und Regeln. Effizienz und Funktion standen im Mittelpunkt – Kultur blieb unsichtbar, bestenfalls ein Nebenprodukt sozialer Ordnung. Diese Denktradition prägte das Verständnis von Organisationen als planbare, steuerbare Systeme.

2. Gruppen und Motivation (1930–1960)

Mit den berühmten Hawthorne-Studien und der Entstehung der Sozialpsychologie verschob sich der Blick: Nicht Strukturen, sondern Menschen und ihre Beziehungen rückten ins Zentrum. Forschende wie Elton Mayo oder Kurt Lewin zeigten, dass Gruppennormen und Zugehörigkeit Leistung stärker beeinflussen als Regeln. Damit begann das Verständnis von Organisationen als soziale Gebilde – und die Idee, dass Kultur nicht nur entsteht, sondern gestaltet werden kann.

3. Leadership und Werte (1960–1980)

In den 1960ern griffen die Management- und Führungsforschung diese sozialen Dynamiken auf. Douglas McGregor, Chris Argyris und Edgar Schein betonten, dass Führung nicht allein durch Kontrolle funktioniert, sondern durch Vertrauen, Werte und Haltungen. Organisationen wurden nun als Räume des Lernens und der Entwicklung verstanden – und Kultur als etwas, das durch Führung geprägt und weitergegeben wird.

4. Organisation und Kultur (1980–2000)

In den 1980ern trat die kulturtheoretische Wende ein. Forschende griffen auf Anthropologie und Symboltheorie zurück, um Organisationen als Bedeutungssysteme zu begreifen. Edgar Schein übersetzte anthropologische Konzepte in die Managementforschung; Joanne Martin, Mats Alvesson und Linda Smircich entwickelten interpretative Ansätze. Werke von Deal & Kennedy oder Hofstede machten das Thema zugleich in der Unternehmenspraxis populär – sie kamen aus der Sozialpsychologie und Managementforschung, nutzten aber die Begrifflichkeiten aus der Anthropologie. So wurde »Kultur« erstmals als eigenständige Erklärungskategorie etabliert – zwischen Tiefenanalyse und Erfolgsfaktor.

5. Messung und Diagnostik (1990–2010)

Die Organisationspsychologie und Managementdiagnostik professionalisierten das Feld. Cameron & Quinn, Denison und Schneider entwickelten Instrumente, um kulturelle Muster zu messen und zu vergleichen. Kultur wurde zur steuerbaren Größe: als Indikator für Leistung, Wandel und Passung (»Fit«). Die wissenschaftliche Perspektive oszillierte zwischen Verständnis und Kontrolle – zwischen Kultur als lebendigem Sinnsystem und als KPI.

6. Agilität und Digitalisierung (2010–heute)

Heute verschmelzen Systemtheorie, Organisationsentwicklung, Innovationsforschung und Arbeitspsychologie zu neuen Denkfiguren. Konzepte wie Psychological Safety, Self-Organization oder Adaptive Leadership verschieben den Fokus von Kontrolle auf Lernfähigkeit. Sie verbinden systemisches Denken – also die Betrachtung von Organisationen als vernetzte, dynamische Systeme – mit einem humanistischen Verständnis von Zusammenarbeit, Vertrauen und Sinn. Kultur wird dabei zum praktischen Rahmen, in dem Teams experimentieren, Verantwortung übernehmen und gemeinsames Lernen ermöglichen – sie ist das Betriebssystem, das agile und anpassungsfähige Organisationen erst möglich macht.

Wo stehen wir heute?

Trotz vieler Brücken bleibt die Diskussion um Organisationskultur vielfältig.Die Soziologie liefert Strukturen und Machtanalysen, die Psychologie erklärt Verhalten und wie wir Kultur wahrnehmen, die Managementforschung sucht nach Werkzeugen, und die Anthropologie erinnert an Bedeutung und Sinn. Was wir bislang sehen, ist keine vollständig integrierte Theorie, sondern ein produktives Nebeneinander. Wir halten genau das für die Stärke des Felds: dass es sich an den Schnittstellen unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen weiterentwickelt – dort, wo Reibung entsteht und sich neue Fragen und Antworten ergeben können.

Das Culture Analytics-Poster als Übersicht, Lernkarte und Orientierung zum Thema Organisationskultur

Das Poster haben wir im Streben danach entwickelt, einen Kanon wichtiger Werke zu ermitteln und zu zeigen, wie kontinuierlich sich das Nachdenken über Organisationskultur weiterentwickelt hat – und wie stark aktuelle Themen wie Agilität, Selbstorganisation oder Purpose auf diesem Fundament aufbauen.

Das Poster ist als Lernkarte gedacht:

  • Wer tiefer einsteigen will, kann gezielt Werke auswählen.
  • Wer Orientierung sucht, erkennt die zentralen Entwicklungslinien.
  • Wer diskutieren möchte, findet Anknüpfungspunkte.

Dein Feedback zählt!

Das Thema Organisationskultur lebt vom Austausch.
Was meinst du: Fehlen aus deiner Sicht wichtige Meilensteine?
Gibt es ein Werk, das wir anders einschätzen sollten?
Hast du eigene Empfehlungen, die auf dem Poster nicht fehlen dürfen?

Man sieht auch: unsere »Evolution der Organisationskultur« ist im Wesentlichen eine angloamerikanisch-deutsche Geschichte. Welche Werke aus anderen Sprachräumen sollten wir noch unbedingt darin aufnehmen?

Teilt Eure Gedanken mit uns – wir wollen das Poster kontinuierlich aktualisieren und gemeinsam mit der Community weiterentwickeln.

Und wenn Ihr Lust auf mehr habt:

🎧 Hört in unseren Podcast Culture Analytics – dort vertiefen wir viele dieser Themen und sprechen mit Expert:innen über Kultur, Wandel und Organisationen der Zukunft. Beispielweise in die Folge »Digitalkultur bei OTTO – Wie schaffen wir die Digitalisierung?«

Leselinks:

Clemens Striebing

Clemens forscht am Center for Responsible Research and Innovation des Fraunhofer IAO über Organisationskulturen und Diversity in Forschungs- und Entwicklungsprozessen. Er ist überzeugt, dass es die Reibungen zwischen unterschiedlichen Sichtweisen sind, die zu sozialen Innovationen führen.

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Kategorien: Arbeitswelten (New Work, Connected Work)
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