Die Krisen der letzten Jahre und die erstarkende Konkurrenz aus Fernost werden für die Unternehmen in Europa zu einer zunehmenden Belastung. Da die bekannten Produktivitätspotenziale meist ausgeschöpft sind, bedarf es innovativer Herangehensweisen, um sich im sich verschärfenden globalen Wettbewerb zu behaupten. »Manufacturing as a Service« – verfügbare Fertigungskapazitäten als zusätzliche Leistung an den Markt zu bringen – erscheint aus meiner Sicht gerade für den Mittelstand ein spannendes, zusätzlichen Geschäftsfeld sein.
Dienstleistungsorientierte Fertigung als Antwort auf Volatilität
Ob VUKA (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität) oder BANI (Brüchig, aengstlich, nicht-linear und unverständlich) – das Marktumfeld stellt Unternehmen durch dynamische Veränderungen, Schnelllebigkeit und zunehmend schwierige Vorhersehbarkeit vor immer neue Herausforderungen. Wie kann es gelingen, dass Unternehmen trotz Druck von außen (neue Wettbewerber, Preisdruck, Verzögerungen von Lieferanten, dynamisches Verhalten der Kunden) und von innen (Fachkräftemangel, steigende Material- und Energiekosten, Einhaltung von gesetzlichen Rahmenbedingungen) erfolgreich bleiben?
Meiner Meinung nach können dienstleistungsorientierte Fertigungsangebote für andere Unternehmen helfen, Schwankungen in der Produktion ausgleichen, die betriebliche Infrastruktur auszulasten und sogar zu einem neuen Geschäftsfeld gerade für Mittelstand und KMU werden. Das so genannte »Manufacturing as a Service« (Maas) bedeutet, dass Unternehmen ihre Fertigungsfähigkeiten als Fertigungsdienstleistung für andere zur Verfügung stellen. Damit können auch Kunden außerhalb des ursprünglichen Zielmarktes angesprochen und gewonnen werden. Bekannt und in Nutzung ist dieser Ansatz bereits bei »Software as a Service« (SaaS): Software wird als Web-App bereitgestellt und nach Nutzungszeit bezahlt, oder »Infrastructure as a Service« (IaaS) für Rechenkapazitäten (CloudComputing) und Speichervolumen (Cloud Speicher). Dieser Ansatz kann mit MaaS auch auf Produktionskapazitäten und Kompetenzen übertragen werden und verspricht vergleichbaren Mehrwert: Dynamisch auftretende Bedarfssituationen, z. B. durch Maschinenausfälle oder Lieferverzögerungen könnten flexibel und unbürokratisch ausgeglichen werden und gleichzeitig die Auslastung und Ressourceneffizienz erhöht werden.

Abbildung 1: Schematische Darstellung von dynamischer Bedarfssituation aufgrund eines Maschinenausfalls. (Quelle: Fraunhofer IAO, Projekt ACCURATE)
Anleitung zur Auslastung: Der ACCURATE Marketplace für Unternehmen
Skeptiker werden nun schnell auf die Stolpersteine und Hürden verweisen: Denn wie lassen sich freie Kapazitäten und dynamisch auftretende Bedarfe identifizieren, hinsichtlich Passfähigkeit abprüfen und zusammenbringen? Wie wird sichergestellt, dass schützenwerte Daten nicht einfach geteilt und zum Nachteil des Unternehmens durch andere Mitbewerber genutzt werden? Wie lassen sich verschiedene relevante Aspekte, wie Normerfüllungsgrad, CO₂-Fußabdruck oder zeitliche Abstimmung zwischen »fremden« Unternehmen berücksichtigen?
Im Projekt ACCURATE suchen wir geeignete, praktikable Lösungen für diese Fragestellungen:
- 1.) Einfach wäre es, wenn jede Fertigungsressource über einen digitalen Zwilling verfügt. Dann könnte man die modellierten Informationen und Datenpunkte nutzen. Da aber nicht jedes Unternehmen den gleichen digitalen Reifegrad besitzt, ist die Datenlage ein kritisches Momentum. Mit einer einfachen Beschreibung des Angebots, z. B. wichtige Kerncharakteristiken lassen sich Angebote und Bedarfe abgleichen und ein Matchmaking durchzuführen.
- 2.) Mit aktuellen Ansätzen der Datenverarbeitung müssten Daten hochgeladen bzw. bereitgestellt werden, wodurch Wettbewerbsnachteile entstehen oder proprietäre Daten öffentlich werden. Mit dem »Compute-to-Data Ansatz«, den wir im ACCURATE Marketplace nutzen, werden die benötigten Daten und Modelle nach Nutzung in der Calculation Shell wieder vollständig gelöscht, eine Veröffentlich erfolgt nicht.
- 3.) Neben dem einfachen Matchmaking zwischen Anfrage und Angebot bietet der ACCURATE Marketplace weitere IT-gestützte Unterstützungsdienste für eine planbare, transparente und effiziente Vermarktung und Steuerung von MaaS-Diensten. Dabei kann auf Bewertungsmodelle, zeitliche Betrachtung und vertragsgestaltende Elemente zugegriffen werden.
Dies sind nur einige ausgewählte Funktionen, die verfügbar sein werden. Umso wichtiger ist uns der Austausch mit der Industrie, die entweder als potenzieller Fertigungsdienst-Anbieter oder zukünftiger MaaS-Kunde diese und weitere Aspekte vertiefen wollen. Aus meiner Sicht adressieren wir bereits eminente Fragestellungen, doch wie immer übersieht man in seinem Tunnel elementare Aspekte.

Abbildung 2: Screenshot des ACCURATE Marketplace, der auf Grundlage von GAIA-X Standards als föderierter Daten-Space bereitsteht. (Quelle: Fraunhofer IAO, deltaDAO AG, Projekt ACCURATE)
Aktuelle Situation und zukünftige Entwicklung
Wir können es uns nicht länger leisten, dass funktionsfähige Fertigungskapazitäten im Leerlauf stehen oder ungenutzt bleiben, wenn kein Auftrag vorliegt und gleichzeitig andere Unternehmen mit der Produktion nicht mehr nachkommen. Viele Unternehmen haben sich für Auftrage oder Kunden spezifische Ressourcen geschaffen, die sie nie ausnutzen. Was aufgrund der guten wirtschaftlichen Lage jahrelang funktionierte, stellt bei aktuellen Bedingungen u. U. sogar ein Problem dar. Mit dem MaaS-Ansatz könnten auftragsbezogene Einmalinvestitionen vermieden werden, bestehende Fertigungsressourcen effizient genutzt und Kostenfaktoren ggf. optimiert werden.
Die Europäische Union hat das Potenzial der dienstleistungsorientierten Produktion erkannt und fördert die Umsetzung, um damit die Wettbewerbsfähigkeit von Produktion innerhalb der EU stärken. Eine Vielzahl von Forschungs- und Innovationsprojekten entwickelt, erarbeitet und testet Lösungen, um die oben genannten Hürden für Unternehmen zu mildern oder zu lösen. Erste Unternehmen haben sich bereits zusammengetan, um von den Vorteilen der Skaleneffekte bei gelichzeitig hoher Dynamik der kleinen Strukturen zu profitieren. Ein Bespiel ist das Unternehmen Tronico, das sich mit ähnlichen Herstellern in unterschiedlichen Industrien vernetzt hat und Produktionskapazitäten, Wissen und indirekte Prozesse, wie Logistik, Lagerung und Administration, teilen, umso schneller, kosteneffektiver und attraktiver am Markt anbieten zu können. Wenn unsere Unternehmen im Hochlohnbereich auch gegen teils staatlich subventionierte internationale Wettbewerber erfolgreich sein wollen, könnte MaaS ein mutiger, aber überlebenswichtiger Schritt sein. Wenn Sie herausfinden wollen, ob MaaS eine Option für Sie als produzierendes Unternehmen ist und wie die Umsetzung aussehen könnte, laden wir Sie herzlich ein zu unserem MaaS-Industrieworkshop:
-
Leselinks:
- 08.07.2025: Industrie-Workshop Resilienz und Ressourceneffizienz durch »Manufacturing as a Service
- Projekt-Webseite zu ACCURATE
- VUKA oder BANI, was ist der Unterschied?
Kategorien: Advanced Systems Engineering (ASE), Digitalisierung, Innovation, Nachhaltigkeit
Tags: Cloud Manufacturing, Digitale Fertigungsplattform, Manufacturing as a Service (MaaS), On-Demand Fertigung
Hinterlasse einen Kommentar