Resiliente Wertschöpfung – Blogreihe zum Gemeinschaftsprojekt »ResiLike«
Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie störanfällig die Liefer- und Wertschöpfungsketten unserer vernetzten Welt sind. Im Gemeinschaftsprojekt »ResiLike« (kurz für Resiliente Lieferketten) entwickeln die beiden Fraunhofer-Institute IAO und IFF Lösungsansätze für resiliente Liefer- und Wertschöpfungsketten. Ziel ist es, die Resilienz von Unternehmen zu steigern.

Mit der Pandemie wurden bestehende Produktionssysteme und Lieferketten massiv ins Wanken gebracht. Es zeigte sich, dass die Kostenoptimierung der letzten Jahrzehnte aus den globalen Wertschöpfungsketten ein gut geöltes, aber fragiles Konstrukt gemacht hatte. Die Auswirkungen, wie beispielsweise am Mikrochip-Mangel in der Automobil-Industrie, Preisanstiege bei den Materialien und Engpässen von Baumaterialien wie Holz oder Bleche spüren wir alle.

In Zukunft brauchen wir resilientere Wertschöpfungsketten: Mehr Wertschöpfungspartnerschaften, global verteilt und mit Kommunikation untereinander auf Augenhöhe – aber handhabbar trotz großer Komplexität!

Lineare Wertschöpfungsbeziehungen: Sackgasse des Risikomanagements

Wenn ich heute mit Vertretern aus der Automobilindustrie spreche, zeigt sich, dass bei komplexeren Komponenten meist auf einen Hauptlieferanten und einen Zweitlieferanten für ein bestimmtes Bauteil oder eine Baugruppe zurückgegriffen wird. Die Entwicklung wird von den Lieferanten ebenso durchgeführt und finanziert. Dieser Ansatz ist billiger und einfacher für die OEMs – aber er kann nach hinten losgehen, wie sich während der Pandemie gezeigt hat. Mit dem Outsourcing immer weiterer Prozesse und Bereiche steigt zum einen die Komplexität und Störungsanfälligkeit des Gesamtsystems (und zwar für alle beteiligten Akteure!), zum anderen werden auch potenzielle Risiken aus dem eigenen Sichtfeld outgesourct.
Meist werden Risiken an die untergeordneten Lieferanten (OEM  Tier1, Tier 1  Tier 2, etc.) mittels Verträge weitergereicht. Die potenzielle Störungsanfälligkeit steigt weiter, ebenso die Intransparenz. Die Möglichkeiten einer Steuerung und frühzeitigen Intervention sinken gleichzeitig. Die Wirkung von kritischen Ereignissen auf das Gesamtsystem wird durch die Intransparenz geradezu gehebelt. Es entwickelt sich eine verhängnisvolle Spirale aus Produktions- und Risikoverlagerung und man muss unwillkürlich an das Bild des Schmetterlingsflügelschlags denken, der durch komplexe Interaktionen zu einem Orkan anwachsen kann.

Resilient durch Transparenz: Die Entwicklung von Wertschöpfungsnetzwerken

In hochkomplexen Wertschöpfungsketten befinden sich alle Beteiligten nicht nur in einer Lieferbeziehung, sondern auch in einer Risikobeziehung: Die Risiken des einen können Auswirkungen auf alle Beteiligten entfalten. Viele bestehende Wertschöpfungsketten legten bisher den Fokus einseitig auf die Lieferbeziehung. Aus meiner Sicht müssen wir hin zu Wertschöpfungsnetzwerken (siehe Abbildung 1), in der Risiken transparent und damit beherrschbar werden. Durch bessere Zusammenarbeit auf Augenhöhe aller Lieferanten lassen sich auch Engpässe mittels Verlagerung und Verteilung auf andere Netzwerk-Partner ausgleichen. Aber genau hier wird es kompliziert und komplex. Denn die Komplexität steigt durch die größere Menge an Austauschpartnern und die exponentiell zunehmenden Informationen, die berücksichtigt werden müssen. Die schöne einfache Welt der Theorie stößt damit an praktische Grenzen.

Abbildung 1: Schematische Darstellung eines Wertschöpfungsnetzwerkes für eine resiliente Automobilindustrie. (© Fraunhofer IAO)

Abbildung 1: Schematische Darstellung eines Wertschöpfungsnetzwerkes für eine resiliente Automobilindustrie. (© Fraunhofer IAO)

Digitaler Wertschöpfungszwilling als Ansatz zur Beherrschung von Komplexität

Die Digitalisierung bietet hier einen Ansatz, der sich an anderer Stelle schon bewährt hat: Das Konzept des digitalen Zwillings, das wir bereits aus der Industrie 4.0 kennen, kann auch genutzt werden, um Daten und Informationen aus dem Wertschöpfungsablauf zu strukturieren und so nutzbar zu machen (siehe Abbildung 2). Der Digitale Zwilling arbeitet hier als Kombination aus Modellierung und Realdatenverknüpfung. Durch die Modellierung werden Wirkungszusammenhänge beschrieben. Das bildet die Basis für die Prognosefähigkeit. Wird diese Modellierung nun mit Realdaten statt Planungsdaten gefüttert, können belastbare Vorhersagen abgeleitet werden (siehe Leselinks). Die passende visuelle Aufbereitung von Daten legt die Basis für bessere und schnellere Entscheidungen und damit für die Steigerung der Resilienz. Um aber die Prognose stabil und aktuell zu haben, müssen die relevanten Daten aktuell und valide sein. Hier steht das Misstrauen, dass die Transparenz im Wettbewerb zum eigenen Nachteil wird, im Weg.

Abbildung 2: Digitaler Wertschöpfungszwilling - durch Zusammenspiel von Modellierung und Data Analytics lassen sich Prognosen ableiten, wodurch frühzeitig Optimierungen möglich sind. (© Fraunhofer IAO)

Abbildung 2: Digitaler Wertschöpfungszwilling – durch Zusammenspiel von Modellierung und Data Analytics lassen sich Prognosen ableiten, wodurch frühzeitig Optimierungen möglich sind. (© Fraunhofer IAO)

Neue Kultur des Miteinanders – Etablierung von Ökosystemen

Wir können es uns nicht mehr leisten, Gewinnmaximierung als einziges Ziel auszugeben, weil wir damit das Gesamtsystem und letztlich uns selbst gefährden (was im Übrigen auch für systemische Herausforderungen wie Klimawandel oder Ressourcenverbrauch gilt). Es muss ein Umdenken stattfinden, wobei gemeinschaftliche Werte wie Vertrauen, Teilhabe und kooperatives Risikomanagement die wirtschaftlichen Beziehungen ergänzen und absichern. Früher gab die Ethik des »ehrbaren Kaufmanns«. Zu dieser Haltung müssen wir zurück, aber nicht nur im bilateralen Umgang, sondern systemisch, global und vernetzt. Nur so ist sichergestellt, dass Vertrauen entsteht und darüber der Austausch von Daten ermöglicht wird. Die Schaffung eines stabilen Ökosystems erhöht das Vertrauen und Verständnis füreinander. So kann auch die geografische Lokalisierung von Produktionsstandorten gemeinsam unter dem Aspekt der Stabilität nicht der reinen Kostenoptimierung erfolgen.

Ein Ansatz kann die Schaffung einer überregional geförderten Alternative zur größten und leistungsfähigsten Chipfabrik der Welt, TSMC in Taiwan, sein. Somit kann es gelingen, eine zweite Quelle für leistungsfähige Elektronikkomponenten außerhalb des asiatischen Raumes zu schaffen. Aber Investitionen können in dieser Größenordnung kaum von einem Unternehmen allein gestemmt werden, da allein der benötigte Maschinenpark viele Milliarden Euro verschlingt. Der Wettbewerb inspiriert technologischen Fortschritt und Kostenoptimierung. Aber gleichzeitig kann es benötigte Anfangsinvestitionen behindern, wenn allein die kostenperspektive in Entscheidung einbezogen wird. Transparente Ökosysteme können alle Beteiligten befähigen, die Rahmenbedingungen gemeinsam zu definieren und die richtigen Stellhebel für Vertrauen, Sicherheit und letztlich gemeinsames Wachstum zu finden. So bin ich überzeugt, dass wir damit robuste und widerstandsfähige Wertschöpfungsstrukturen für den Wohlstand von morgen schaffen können.

Leselinks:

Michael Hertwig

Entwicklungsingenieur im Competence Team »Digital Engineering«. Er forscht daran, wie Prozesse durch digitale Unterstützung optimiert werden können und wie die Produktion in der Zukunft aussehen kann. In seiner Freizeit engagiert er sich als aktives Mitglied im Verein deutscher Ingenieure e.V.

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Kategorien: New Work / Connected Work
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