Anweisungen und Befehle der Unternehmensführung regeln nur einen Bruchteil aller Handlungen und Prozesse auf der Ebene der Mitarbeiter. Ist damit Chaos vorprogrammiert? Im Gegenteil: Unternehmen funktionieren nicht deshalb, weil das Management intensiv kontrolliert, sondern weil Mitarbeiter Weisungen interpretieren und situationsgerecht handeln. Ein bloßer Dienst nach Vorschrift würde jedes Unternehmen lahm legen. Die Idee einer umfassenden Kontrolle durch Organisationsanweisungen oder Zielsysteme ist eine Illusion, die Unternehmen hochkomplex und damit unbeherrschbar werden ließe. Wie sollten Manager also ihren notwendiger Weise kleinen Spielraum nutzen, um dem eigenen Unternehmen eine Richtung zu geben? Indem sie anerkennen, dass es sich bei ihrem Unternehmen um ein organisiertes Sozialsystem mit einem unplanbaren Eigenleben handelt.
Sinn: „Verstehen“ komplexer Zusammenhänge
Soziale Systeme bewältigen Komplexität über Sinn. Durch Sinn wird herausgefiltert, was in einer konkreten Situation wichtig erscheint, und Sinn bestimmt, wie ein Mensch entscheidet und handelt. Indem die Menschen gemeinsam arbeiten, erwerben sie gemeinschaftliches Wissen und Verhalten. Als Folge »verstehen« die Menschen ihren Unternehmensbereich alle auf ähnliche Art. Sie erklären Situationen ähnlich, deuten (oder ignorieren) Problemstellungen ähnlich, setzen ähnliche Prioritäten und suchen ähnliche Problemlösungen. Es entstehen Sinnstrukturen, umgangssprachlich nennt man diese auch Werte, Selbstverständlichkeiten, ungeschriebene Gesetze oder heimliche Spielregeln. Wie aber können diese dezentralen Strukturen wirkungsvoll auf die gemeinsamen Unternehmensziele ausgerichtet werden? Manager stehen hier vor der Aufgabe, loszulassen, ohne die Führungsrolle abzugeben.
Sinnstrukturen: Die Kräfte im Unternehmen bündeln
Die Sinnstrukturen geben einen Ordnungsrahmen für die Menschen vor. Niemand kann sich ihnen entziehen. Die Menschen im Unternehmen denken und handeln nach recht allgemeingültigen, wiederkehrenden Entscheidungs- und Handlungsmustern. In Unternehmen findet also immer eine durch Sinn getriebene Selbstorganisation statt. Wenn es gelingt, die Sinnstrukturen auch im Sinne des Unternehmens zu beeinflussen, so kann der »Eigensinn« der Bereiche als mächtiges Führungsinstrument genutzt werden. Ein Beispiel: Teilautonome Teamarbeit benötigt weniger direkte Einflussnahme des Managements und kann darüber hinaus Motivation und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter frei setzen.
Führen durch Sinn: Ein effizientes und menschengerechtes Führungsinstrument
Immer wenn sich eine neue Selbstverständlichkeit im Unternehmen entwickelt hat, kann auf Bürokratie (also auf konkrete Verfahrensanweisungen oder detaillierte, überprüfbare Zielvereinbarungen) verzichtet werden. So werden Sinnstrukturen zum wirkungsvollen Führungsinstrument. Führen durch Sinn ist nicht nur effizient und menschengerecht, sondern auch hochflexibel, denn im Gegensatz zu Anweisungen und Plänen gibt die Sinnstruktur den Menschen auch in unvorhersehbaren und komplexen Situationen Orientierung und Legitimation.
Bild: Substituierbarkeit der Führungsinstrumente
Neue Führungsaufgabe: Gezielte Weiterentwicklung von Sinn
Als wichtigstes Führungsinstrument werden die Sinnstrukturen im Unternehmen nutzbar gemacht. Dazu ist es notwendig, Wertevorstellungen und Selbstverständlichkeiten gezielt weiter zu entwickeln. Dies ist Aufgabe der Führungskräfte. Wie es gelingt, Sinnstrukturen im Unternehmen weiter zu entwickeln, werde ich in einem weiteren Blog-Beitrag vertiefen.
Kategorien: Advanced Systems Engineering (ASE)
Tags: Funktionale Arbeitsteilung, Produktion, Produktionsmanagement
[…] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von Kathrin Aue, Heidi Schall, Nadine Hoffmann, Adrian Hönig, Schwartz PR und anderen erwähnt. Schwartz PR sagte: RT @heidischall: Führen durch Sinn http://bit.ly/dwh7EJ -> für mich der zentrale Aspekt im Enterprise 2.0 <- in an ideal world… […]
Die Strukturarmut unserer zweiwertigen Ursache-Wirkungs-Logik bestimmt immer noch unser Denken. Die zunehmende Komplexität der Unternehmensumwelten erfordert jedoch ein auf Strukturen gerichtetes Denken. Dadurch gelingt es, zu akzeptieren, dass Unternehmen nicht direkt steuerbar sind. Das Konzept der Selbstorganisation ist ein guter Ausweg aus dieser Problematik und fördert ein neues Denken, das unserer Gegenwart angemessen ist.
valuation-in-germany.blogspot.com
@ Erich Schreyer
Auch ich habe die Hoffnung, dass die Selbstorganisation in den Unternehmen zunimmt, und dass dies langfristig ein neues Denken fördert. Die Zunahme der Selbstorganisation wird durch die wachsende Dynamik und Vielfalt der Märkte erzwungen. Auf allen Ebenen des Unternehmens werden vermehrt Situationen auftreten, die durch Bürokratie und Planung nicht vorgedacht sind. Diese ungeplanten Freiräume füllen die Mitarbeiter eigenverantwortlich aus, wie sie das schon immer getan haben. Daraus sollten sich „Engelskreise“ entsprechend der Theorie Y nach McGregor entwickeln (die Motivation der Mitarbeiter und das Zutrauen des Managements ziehen sich wechselseitig hoch). An eine schnelle Änderung des Denkens glaube ich aber nicht, denn zunächst werden die Verantwortlichen in den Unternehmen das Engagement der Mitarbeiter in den alten Denkmustern verarbeiten, also schlichtweg übersehen oder als mangelnde Disziplin bekämpfen. Noch scheinen in vielen Unternehmen „Teufelskreise“ entsprechend der Theorie X zu überwiegen.
Sehr interessant in Zusammenhang mit einer Veränderung des Denkens sind auch die Tweeds zum Blog-Beitrag. Sie stellen eine Verbindung zwischen Selbstorganisation und Enterprise 2.0 her (Enterprise 2.0 meint, die Konzepte von Social Software und Web 2.0 auf Informations- und Kommunikationskonzepte in den Unternehmen zu übertragen). Das zeigt, dass derzeit mehrere interessante Entwicklungen in den Unternehmen stattfinden. Diese ergänzen und begünstigen sich gegenseitig. Entsprechend glaube ich nicht, dass Selbstorganisation das Allheilmittel zu neuem Denken ist. Vielmehr geht es darum, Strategie, Organisation, Führung und Technik gemeinsam zu verändern. Kennen Sie weitere ergänzende Entwicklungen?
Für die interessanten Denkanstöße bedanke ich mich herzlich (da ich eine Woche unterwegs war, erfolgte erst heute eine Antwort).
@ Erich Schreyer
Über die Aussagen zu einem „auf Strukturen gerichteten Denken“ habe ich lange nachgedacht. Ich konnte aber nicht ergründen, ob wir den Begriff „Struktur“ mit gleicher Bedeutung verwenden oder ob dahinter verschiedenartige Konzepte stecken. In Zusammenhang mit Unternehmensorganisation und Mitarbeiterführung denke ich dabei an Organisationsstrukturen, also an stabile, dauerhafte und exakt beschriebene Instrumente, wie Zuständigkeiten, Regelungen oder Gremien. Genau dies ist aber die Bürokratie, die ich als nicht mehr passend betrachte. Zweifellos reduziert eine lineare Ursache-Wirkungs-Logik die komplexe Wirklichkeit unangemessen, erforderlich ist ein Denken in Wechselwirkungen und Vernetzungen (im Sinne der Systemtheorie). Die Lösung kann aber kaum in einer „viele Ursachen – viele Wirkungen – Logik“ liegen, denn diese Potenzierung der Bürokratie wäre erst recht nicht beherrschbar. (Diese Problematik habe ich ausgeführt in http://blog.iao.fraunhofer.de/home/archives/151.html)