Der Fahrdienstvermittler Uber gilt heute schon als Pionier für ein neues Mobilitätsverhalten und bedroht das Geschäftskonzept vieler traditioneller Branchen. Doch was wir heute erleben, ist nur der Anfang einer noch größeren Umwälzung. Stellen wir uns den Flughafen BER in Berlin in zehn Jahren vor, wenn sich die Trends von heute ungebremst fortsetzen würden: Die dienstbereiten Flotten von Taxis, Carsharing- und Carrental-Anbietern dürften nahezu komplett verschwunden sein. Stattdessen finden wir vor dem Gebäude ein großes Terminal des US-amerikanischen Fahrdienstvermittlers Uber, wo am laufenden Band autonom fahrende Fahrzeuge einfahren und Fahrgäste ein- und aussteigen.
Zugegeben, dieses Szenario ist ziemlich überzogen, denn wenn klassische Carsharing- und Carrental Firmen heute schon ihre Lektion von Uber lernen, können sie ihr Geschäftsmodell zukunfts- und konkurrenzfähig machen – wenn autonom fahrende Fahrzeuge eine feste Größe in der strategischen Planung werden und wenn bestehende Kund*innen mit auf diese Reise in die Zukunft genommen werden, dann stehen Carsharing- und Carrental Firmen goldene Zeiten bevor.

Autonom fahrende Fahrzeuge: die Revolution der Mobilität

Wenn wir von autonom fahrenden Fahrzeugen sprechen, denken viele an entspanntes Fahren in futuristischen Fahrzeugen mit netten Assistenzsystemen, die mit Kameras und sonstiger Sensortechnik gespickt sind.
Doch uns ist oft nicht bewusst, dass mit vollständig autonom fahrenden Fahrzeugen (nach SAE-Standard J3016 – Level 5) nicht nur verbesserte Assistenzsysteme auf den Markt kommen, sondern, dass damit eine disruptive Veränderung unseres gesamten Mobilitätsverhaltens und aller damit verbundenen Geschäftsmodelle eingeläutet wird.
Die Forschung zur Entwicklung autonom fahrender Fahrzeuge läuft auf Hochtouren und es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis diese ganz selbstverständlich zu unserem Alltag gehören.
Für den Umwelt- und Sozialpsychologen Dr. Marco Lalli beispielsweise, der im Bereich der Mobilitätsforschung tätig ist, ist klar, dass autonom fahrende Fahrzeuge in der näheren Zukunft kommen werden: »Hierbei ist es müßig zu spekulieren, ob das bereits in zehn, in fünfzehn oder erst in zwanzig Jahren sein wird. Vielleicht wird es auch noch fünfzig Jahre dauern. Wir müssen uns aber auf eine Zukunft einstellen, in der das autonome Fahren die Regel sein wird, möglicherweise sogar die allein zulässige Form individueller motorisierter Mobilität.«

Was macht Uber richtig?

Der Fahrdienstleister Uber hat das frühzeitig erkannt und hat sogar selbst aktiv an der Entwicklung eines autonom fahrenden Fahrzeugs gearbeitet, um von dieser Revolution der Mobilität von Anfang an profitieren zu können. Nachdem es bei der Entwicklung nicht ganz so schnell voranging, wie von Uber und manch anderen erhofft und es bei Testfahrten teileweise auch zu schwerwiegenden Zwischenfällen kam, geht es für Uber vorerst analog weiter. Aber die Idee, ein eigenes autonom fahrendes Fahrzeug auf den Markt zu bringen, wurde keinesfalls verworfen. Die eigene Entwicklungsabteilung für autonom fahrende Fahrzeuge wurde zwar an die Firma Aurora verkauft, aber Uber hat sich auch gleich einen großen Anteil an Aurora gesichert.

Was sollten klassische Carsharing-, Carrental- und Taxibetriebe von Uber lernen?

Der Komfort, sich einfach per App ein Fahrzeug vor die Haustüre zu bestellen, um sich dann zu einem relativ günstigen Fahrpreis an einen beliebigen Ort chauffieren zu lassen, ist kaum zu toppen. Es ist also keine lästige und zeitaufwendige Fahrzeugabholung- und Rückgabe an einer Carsharing- oder Carrental-Station abseits meiner Route erforderlich und es fallen auch keine hohen Taxigebühren an, die man sich sonst nur in absoluten Ausnahmesituationen gönnen würde. Auch der Besitz und Unterhalt eines eigenen Fahrzeugs, wird durch solche Angebote immer unattraktiver. Das Geschäftsmodell von Uber funktioniert also einerseits klassisch mit den vielen Fahrer*innen, die für das Unternehmen tätig sind, schon jetzt sehr gut, andererseits könnte Uber kurzfristig den Hebel umlegen, sobald autonom fahrende Fahrzeuge zur Verfügung stehen. So zynisch das für die vielen Uber- Fahrer*innen klingen mag, das Geschäftsmodell von Uber würde dann ohne die vielen Fahrer*innen noch viel besser funktionieren, da die Fahrpreise nochmal deutlich sinken würden. Klar ist, wer zuerst autonom fahrende Fahrzeugflotten auf den Markt bringt, gänzlich auf Personalkosten für Fahrer*innen verzichten kann und bereits einen Kundenstamm aufgebaut hat, der wohlwollend die neuen Angebote annimmt, hat den entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

Was können klassische Carsharing-, Carrental und Taxibetriebe heute schon tun, um sich gut zu positionieren?

Klassische Carsharing-, Carrental- und Taxibetriebe sollten in ihrer strategischen Planung autonom fahrende Fahrzeuge als feste Größe verankern. Der bestehende Kundenstamm sollte bereits heute mit einbezogen und sanft auf die bevorstehende Umstellung vorbereitet werden.
Mit Umfragen unter der eigenen Kundschaft können Geschäftsmodelle für eigene autonome Fahrzeugflotten verfeinert und hinsichtlich lokaler Gegebenheiten optimiert werden, um so Uber ein- und vielleicht sogar zu »Uber-holen«. Auch Verkehrssimulationen können unterstützend herangezogen werden, um mögliche Anwendungsszenarien und Geschäftsmodelle bereits im Vorfeld zu untersuchen.
Im Rahmen des Forschungsprojekts »KI4RoboFleet« hat das Fraunhofer IAO gemeinsam mit den Projektpartnern beispielhaft diese Schritte umgesetzt. Die Stadtmobil Rhein-Neckar AG führte Umfragen unter Carsharing- Nutzenden zur Akzeptanz von autonom fahrenden Fahrzeugen durch. Die PAN GEO Gesellschaft für Angewandte Geographie mbH skizzierte und analysierte mögliche Anwendungsszenarien und deren Potenziale. Die Hochschule Esslingen entwickelte ein Simulationswerkzeug, das die Analyse möglicher Anwendungsszenarien für bestimmte Kommunen hinsichtlich verkehrsökonomischer und ökologischer Parameter erlaubt.
Die Studie zum Forschungsprojekt »KI4RoboFleet« wird voraussichtlich Ende September 2021 veröffentlicht.

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Emanuel Reichsöllner

Forscht als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hochschule Esslingen gemeinsam mit Kolleg*innen des Fraunhofer IAO am Anwendungszentrum KEIM im Bereich Elektromobilität, Mobilitätsplattformen und Simulation von autonomen Fahrzeugflotten. Privat liebt er die Berge und ist in einer Freikirche aktiv.

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Kategorien: Digitalisierung, Future Mobility, Künstliche Intelligenz
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