»Agil« ist das neue Schlagwort in der Managementliteratur. Und wer von »agilem Management«, »agiler Transformation«, »agiler Kultur« oder »agilen Strukturen« liest, kann nicht anders, als 1. klare begriffliche Fehlanwendung festzustellen und infolgedessen 2. mit dem Schlagwort eine neue Managementmode zu verbinden: Wer bitte braucht ein »wandlungsfähiges« Management? Schade eigentlich, denn tatsächlich ist die Kernidee des agilen Projektmanagements übertragbar auf zahlreiche andere Anwendungsgebiete mit vergleichbaren Herausforderungen. Da stellt sich die Frage: Was eigentlich verbirgt sich wirklich hinter dem Schlagwort »Agilität«? Um dies zu ergründen, verlasse ich vorübergehend die Welt der Unternehmen und begebe mich auf einen Tauchgang ins Meer.

Seescheiden – minimalistisch effizienzorientiert

Unsere Meere beherbergen viele faszinierende Lebewesen. So etwa die Seescheiden, die ca. 1000 Arten ausgebildet haben und in allen Meeren vorkommen. Faszinierend an ihnen ist, dass sie vom Larvenstadium zum adulten Tierchen eine erstaunliche Wandlung durchlaufen.

Die Larven der Seescheide weisen ein etwas umfassenderes Netz von Nervenzellen mit mehreren Verknotungen auf – so etwas wie ein verzweigtes Gehirn. Über dieses gesteuert und unter Nutzung diverser, gut ausgebildeter Sinnesorgane, schwebt die larvale Seescheide so lange durchs Meer, bis sie den idealen Siedlungsort gefunden hat. Dort angekommen, siedelt sie sich – durch Ausbildung von Haftwurzeln – an und es beginnt die Verwandlung zur adulten Seescheide.

Gold-Seescheide (Polycarpa aurata)


Quelle: By Nhobgood Nick Hobgood (Own work) [CC BY-SA 3.0 or GFDL], via Wikimedia Commons: https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ATunicate_komodo.jpg

 

Im Zuge dieser Verwandlung baut sie diverse Sinnesorgane sowie ihr Nervennetz (Gehirn) zurück. Vom umfassenderen Nervennetz bleibt nur noch ein kleines Knötchen übrig. Der Grund hierfür ist: Sie braucht diese Sinne und Nerven nicht mehr, sie wird nie mehr den Standort verändern auf der Suche z.B. nach besseren Lichtverhältnissen.

Zurück von diesem ersten Tauchgang bleibt der Eindruck: Hier verhält sich ein Tierchen wie ein »erwachsen« gewordenes Unternehmen. Sind Start-ups anfangs noch recht agil, findet mit zunehmendem Wachstum und Alter häufig eine Institutionalisierung statt, bis schließlich Zentralismus jede drohende Veränderung im Keim erstickt. Für mich ist die Seescheide ein Abbild des Taylorismus, von einer lähmenden Bürokratie, von Hierarchie und zentraler Steuerung – und damit das Gegenteil von Agilität.

Ich werde also einen zweiten Tauchgang unternehmen, auf der Suche nach einem »agilen« Meeresbewohner – begleiten Sie mich morgen dabei!

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Gabriele Korge

Forscht zu Organisationsentwicklung, beruflichem Lernen und Kompetenzmanagement. Leitet die Arbeiten zur innovativen Lernform »agiles Sprintlernen«. »Die Idee zum agilen Sprintlernen hatte ich, als ich ein IT-Unternehmen dabei unterstützte, agiler zu werden: Agiles Lernen als ideale Ergänzung zu den bewährten Bildungsmaßnahmen, deren Qualitätssicherung und professionelle Lernbegleitung ich sehr schätze, an denen ich aber zunehmend die Flexibilität und Praxisnähe des informellen Lernens vermisse.«

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