Seit Beginn der Coronakrise haben sich die Bestellungen bei Lieferdiensten vervielfacht. Besonders alte, kranke und bewegungseingeschränkte Personen sind in diesen Zeiten darauf angewiesen, dass ihnen Nahrungsmittel und Produkte für den täglichen Bedarf an die Haustür geliefert werden. Das Rückgrat dieser Versorgung sind die Auslieferungsfahrer. Sie leisten mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag, um leistungsschwächere Personengruppen zu unterstützen. Doch leistungsschwächere Personen sind nicht nur Kunden für die Lieferdienste, sie können auch selbst erfolgreiche Auslieferungsfahrer werden – wenn die richtigen Technologien und Service-Angebote sie dabei unterstützen.

Individuelle Tourenplanung für Menschen mit Behinderung

Menschen mit Behinderung besitzen meist sehr unterschiedliche Profile von Fähigkeiten und entsprechendem Unterstützungsbedarf. Diese individuellen Ansprüche an einen Arbeitsplatz waren in der Vergangenheit häufig ein Grund für die Exklusion, also die Nichteinstellung von Menschen mit Behinderung. Doch heute sorgen neue Technologien und individuell gestaltete Arbeitsplätze dafür, dass Menschen mit eingeschränktem Fähigkeitsrepertoire gerade in der Lieferlogistik Fuß fassen können.
Das zeigt unser Forschungsprojekt InkluServ, in dem Mitarbeiter eines inklusiven Supermarkts mit Hilfe eines Elektro-Lastenfahrrads eigenständig Waren an Kunden ausliefern. Digitale Assistenzfunktionen für Tourenplanung und Navigation berücksichtigen die individuellen Fähigkeitsprofile, um Über- und Unterforderung der Mitarbeitenden zu vermeiden. Die geplanten Liefertouren werden beispielsweise entsprechend der körperlichen Kondition und dem Orientierungsvermögen der Fahrer geplant und gestaltet. Die Navigationsfunktion ist barrierefrei gestaltet und je nach Fahrer werden einzelne Wegstrecken mit z. B. zu großem Gefälle oder zu hohem Verkehrsaufkommen von der Tour ausgeschlossen. Für kritische Situationen enthält das Assistenzsystem zudem eine Notfallfunktion, die bei Betätigung eine direkte Videoverbindung zu einer betreuenden Person der WEK Werkstätten Esslingen-Kirchheim gGmbH (Esslingen) aufbaut.

Assistenzsystem ermöglicht inklusive Dienstleistungsarbeit an der Tür des Kunden

Interaktionsarbeit – d. h., die direkte Arbeit mit dem Kunden – erfordert gegenseitige Kooperation sowie den Umgang mit eigenen und fremden Gefühlen. Weil Begegnungen mit dem Kunden je nach Persönlichkeit, Lieferung und Örtlichkeit unterschiedlich verlaufen können, ist auch Improvisationstalent gefragt. An dieser Stelle betritt InkluServ Neuland: Wir erforschen, wie Mitarbeiter mit geistiger, psychischer und/oder körperlicher Behinderung unterstützt werden müssen, um die vielfältigen Anforderungen der Interaktionsarbeit zu bewältigen. Neben dem digitalen Assistenzsystem sorgt auch die maßgeschneiderte Qualifizierung der Auslieferungsfahrer und der betreuenden Personen für die notwendige, individuelle Unterstützung. Zusätzlich verringern präventive Maßnahmen der Arbeitsgestaltung mögliche Sicherheitsrisiken, die durch die erhöhte Mobilität und selbständige Arbeitsweise der Auslieferungsfahrer entstehen.

Für Menschen mit Schwerbehinderung gilt das Motto »Sicherheit durch Sichtbarkeit« nicht nur im Straßenverkehr, sondern auch für ihre Präsenz in der Gesellschaft. Nur wer gesehen wird, dessen Bedürfnisse können von den Mitmenschen auch berücksichtigt werden. Assistenzsysteme wie das unseres Projekts InkluServ haben das Potenzial, Menschen mit Behinderung aus bisher getrennten Lebens- und Arbeitsbereichen wieder in den direkten Kontakt mit Nichtbehinderten zu bringen und eine Welt ohne Barrieren zu ermöglichen.

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Kategorien: Digitalisierung, Mensch-Technik-Interaktion, New Work / Connected Work
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