Aktuelle Studien attestieren Deutschland einen hohen Umsetzungsstand bei Lean Management. Schaut man etwas genauer hin, wird deutlich, dass sich der hohe Implementierungsstand maßgeblich auf Methoden und »Anfassbares« bezieht. Shopfloor-Boards, 5S-Markierungen und Kanban-Karten sind in deutschen Fabriken weitverbreitet. Doch wie sieht es mit kulturellen und organisatorischen Aspekten aus, die im Sinne des Lean Managements eigentlich mit dem o.g. einhergehen sollten? Eine passende Kultur im Umgang mit Fehlern und autonome (Gruppen-)Arbeit gelten zwar als entscheidende Erfolgsfaktoren – trotzdem werden sie meist nur stiefmütterlich umgesetzt und nachgehalten.
Ein wesentlicher Grund hierfür liegt in der schwierigen Messbarkeit von organisatorischen Prinzipien. Die Zusammenhänge sind nicht kausal beschreibbar und Erhebungen gehen meist nicht über die übliche Befragung der Belegschaft hinaus. Unternehmen müssen also für die Produktionsorganisation der Zukunft nicht nur neue Instrumente und Methoden einführen, sondern neue Wege bei der Implementierung und Orchestrierung des notwendigen kulturellen Wandels gehen.
Was Unternehmen tun können
Produktionsorganisationen werden zwar nicht von heute auf morgen flächendeckend ohne Führungskräfte auskommen oder sich in Tribes und Chaptern* organisieren. Produktionsleiterinnen und Produktionsleiter können aber schon heute die Weichen für eine zukünftig flexiblere Produktionsorganisation legen:
1. Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Einblicke in den Wertstrom gewähren
Konzepte wie Job Rotation und Job Enlargement verfolgen den Gedanken, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für mehr Arbeitsplätze zu qualifizieren um sie dadurch flexibler einsetzten zu können. Schöner Nebeneffekt: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind durch abwechslungsreiche Tätigkeiten motivierter und erhalten Einblicke in andere Tätigkeiten entlang des Wertstroms. Dadurch erhöht sich nicht nur ihr Gesamtverständnis des Wertstroms, sondern sie verstehen auch Zusammenhänge besser. Konsequenz: Mehr Initiativgeist, bessere Entscheidungen, höhere Qualität, mehr und bessere KVP-Ideen.
2. Entscheidungen delegieren, wo möglich
Ergänzend zu den genannten Konzepten zielt das Job Enrichment auf die Vervollständigung der ausführenden Tätigkeit in der Produktion mit den dazugehörigen planenden Tätigkeiten ab. Einer der zentralen Befähiger von Arbeitsmotivationstheorien ist die autonome Organisation und Strukturierung der eigenen Arbeit. Dazu zählen in der Produktion beispielsweise Entscheidungen, welche die Abarbeitung von Aufträgen betreffen. Vor Ort wissen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus erster Hand, welche Arbeitsplätze belegt sind, welches Material verfügbar ist oder welche Maschinen gerade eingerüstet sind. Kurzfristig ist hier die Daten- und Informationslage also transparenter. Entsprechende Entscheidungen sollten also überall da, wo es möglich ist, dezentral delegiert werden.
3. Industrie 4.0 auch für die organisatorischen Aspekte betreiben
Der entscheidende Vorteil von Industrie 4.0 für Unternehmen ist die direkte Optimierung des Wertstroms und die damit verbundene Produktivitätssteigerung. Mehrwerte, durch verbesserte Abläufe und Abstimmung in Teams bzw. der Produktionsorganisationen sind dabei viel zu oft Nebenprodukte, die nicht strategisch betrachtet oder gar vorrausschauend geplant werden. Für erfolgreiche neue Technologien und Abläufe müssen Mensch und Organisation jedoch mitwachsen und sich anpassen können. Stehen Industrie 4.0-Projekte an sollten Unternehmen deswegen nochmal genau hinschauen, die organisatorischen Abläufe aktiv mitgestalten und verbessern. Beispiele für Industrie 4.0-Anwendungen finden Sie im Future Work Lab (siehe Leselinks).
Future Work Talks zur Produktionsarbeit und Digitalisierung
Meine Forschungserkenntnisse zum Thema Technologie-befähigte Produktionsorganisation teilte ich am 16. Oktober 2020 im Rahmen des »Future Work Talks« zum Thema Produktionsarbeit der Zukunft. Expertinnen und Experten aus Industrie und Forschung beantworten in der Vortragsreihe die brennendsten Fragen zur Produktionsarbeit und Digitalisierung. Eine Zusammenfassung des Future Work Talks finden Sie in den Leselinks.
Im nächsten Termin der Webinarreihe am 11. Dezember 2020 dreht sich alles um Künstliche Intelligenz in der Produktion mit spannenden Beiträgen meiner Kolleginnen und Kollegen. Für das kostenfreie Webinar können Sie sich unter dem Link in den Leselinks anmelden.
*Das sog. Spotify-Modell basiert auf Squads, Tribes, Chaptern und Guilds, die eine agile Unternehmensorganisation ermöglichen.
Leselinks:
- Zusammenfassung des »Future Work Talks« vom 16.10.20
- Anmeldung zum Webinar »Future Work Talks« am 11.12.20
Kategorien: Advanced Systems Engineering (ASE), New Work / Connected Work
Tags: Industrie 4.0