Es ist ein sonniger Mittag, die PV-Anlagen laufen auf Hochtouren und wir haben Strom im Überfluss, den wir in den Abendstunden allerdings gut gebrauchen könnten. Glücklicherweise verfügen wir über Millionen mobile, flexible Speicher: unsere Elektroautos. Mittels bidirektionalem Laden (kurz: Bidi-Laden) können wir diesen Strom aus erneuerbaren Energien in den Fahrzeugbatterien zwischenspeichern und später wieder in das Netz zurückspeisen oder für den eigenen Haushalt verwenden. Was nach Zukunftsmusik klingt, könnte schon bald zu unserem Alltag werden.
Welches Potenzial hat bidirektionales Laden im Kontext unseres Energiesystems?
Eine zentrale Herausforderung der Energiewende liegt in der Speicherung von Strom aus einer steigenden Anzahl volatiler, erneuerbarer Erzeugungsanlagen. 2023 lag die Speicherkapazität von stationären Speichern in Deutschland bei 11,8 GWh, die von Fahrzeugbatterien bei rund 100 GWh. Im Vergleich dazu betrug die Kapazität aller Pumpspeicherkraftwerke, die derzeit die bedeutendste Speicherlösung darstellen, nur 40 GWh. Für 2030 wird mit der Annahme von 15 Mio. elektrischen Fahrzeugen in Deutschland eine Summe von 1.000 GWh Speicherkapazität prognostiziert. Nur etwa zehn Prozent der Energie von Fahrzeugbatterien werden täglich wirklich für die Mobilität verwendet. Dringend benötigte Speicherkapazität bleibt ungenutzt, obwohl das damit einhergehende Flexibilitätspotenzial enorm wäre. Der Anteil erneuerbarer Energien im Netz könnte durch die Einbindung von Fahrzeugbatterien massiv gesteigert und unser Stromnetz durch intelligente Steuerung stabilisiert werden. Auch auf die steigenden Netzbelastungen und -ausbaubedarfe könnte sich Bidi-Laden positiv auswirken, vor allem in Kombination mit netzdienlichen Use Cases, wie variablen Netzentgelten. Für Fahrzeugnutzende ergeben sich bspw. durch dynamische Stromtarife, die Vergütung netzdienlichen Verhaltens sowie die Eigenverbrauchsoptimierung diverse finanzielle Anreize, in diesem System mitzuwirken. In Summe kann die Technologie als Baustein eines intelligenten, kosteneffizienten und nachhaltigen Energiesystems einen maßgeblichen Beitrag zur Erreichung unserer Klimaziele leisten.
Status quo: Wo kommen wir gut voran?
Technologisch sind wir schon sehr weit. Es gibt international bereits einige Fahrzeuge, die Bidi-Laden technisch umsetzen können, bspw. einige ID-Modelle von VW oder der Renault R5. Viele weitere Hersteller haben angekündigt, 2025 und 2026 entsprechende Modelle auf den Markt zu bringen, darunter BMW und Mercedes. Auch auf der Seite der Ladeinfrastruktur gibt es immer mehr Hersteller, die bidirektionale Ladelösungen entwickeln und anbieten – bekannte deutsche Firmen sind KOSTAL oder Ambibox. Diese werden zwar anfangs noch teuer sein, jedoch im Laufe der Zeit günstiger werden, sodass Verkaufspreise um 1.500 EUR für bidirektionale Ladestationen realisiert werden können. Es gab längere Zeit Bedenken bzgl. der Auswirkungen auf die Batterie und auf Kundenseite Ängste, die Technologie würde zu einem schnelleren Alterungsprozess führen. Aktuelle Forschungserkenntnisse geben jedoch auch hier grünes Licht, denn: Was die Alterung einer Batterie beschleunigt, sind hohe Ladestände und -ströme. Es gibt nichts Schädlicheres für eine Autobatterie, als diese bei niedrigem Ladezustand schnell auf 100 Prozent aufzuladen und dann das Auto stundenlang in der Garage stehen zu lassen. Die meisten Anwendungsfälle des Bidi-Ladens verursachen allerdings nur geringe Ladeströme und sorgen oftmals dafür, dass der mittlere Ladezustand sinkt. Damit stellen bidirektionale Ladevorgänge keine wesentliche zusätzliche Belastung für die Batterie dar – in manchen Fällen könnte der Alterungsprozess der Batterie sogar verringert werden.
Die Grundlage für die flächendeckende Umsetzung der Technologie bilden Standards für Kommunikationsschnittstellen. Der internationale ISO-Standard 15118-20, welcher 2022 veröffentlicht wurde, beschreibt die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Ladestation und setzte erstmals übergreifende Rahmenbedingungen für das Bidi-Laden. Über diesen Kommunikationsstandard werden wichtige Informationen wie der Ladezustand, die verfügbare Ladeleistung, die Möglichkeit zur Rückspeisung von Energie ins Netz sowie Tarifdetails und Bezahlvorgänge ausgetauscht. Dadurch wird sichergestellt, dass der Ladevorgang effizient, sicher und transparent abläuft. Erste Hersteller unterstützen den Standard bereits. Es gibt zwar noch Verbesserungsbedarf, aber die Produkteinführung kann nun in größerem Maßstab erfolgen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zwischen zwei wesentlichen Anwendungsfällen des Bidi-Ladens zu unterscheiden: Vehicle-to-home (V2H) und Vehicle-to-grid (V2G). V2H beschreibt die Fähigkeit von E-Fahrzeugen, Energie in ein Gebäude zurückzuspeisen, um bspw. den Eigenverbrauch zu optimieren und als lokaler Speicher zu fungieren. V2G geht noch einen Schritt weiter und bezeichnet die Interaktion von Fahrzeugen und deren Batterien mit dem Energienetz zur Stabilisierung oder Optimierung des Netzbetriebs. Während seit 2023 erste proprietäre V2H-Systeme auf dem Markt angeboten werden, gestaltet sich die Umsetzung von V2G deutlich schwieriger. Hier müssen auch Energieversorger und Netzbetreiber miteinbezogen werden, die wiederum ihre eigenen Richtlinien für den Netzbetrieb und den Anschluss von Erzeugungsanlagen haben. Die Diversität des Marktes ist entsprechend deutlich höher, einheitliche Standards fehlen und es gibt noch wesentliche offene Fragen hinsichtlich der regulatorischen Rahmenbedingungen. Man wird jedoch mit den bereits funktionierenden Schnittstellen und dem erwarteten Markthochlauf Erfahrungen sammeln können und parallel die Weiterentwicklung der Standardisierung sowie der Interoperabilität der Systeme vorantreiben. Vor allem für V2G ist dies unbedingt erforderlich, damit zukünftig jedes Fahrzeug an jeder Ladestation bidirektional laden und dem Stromnetz Flexibilität anbieten kann. Die nächsten zwei bis fünf Jahre werden wir voraussichtlich noch an diesen Themen arbeiten müssen, um die Technologie im Markt zu etablieren.

Abbildung 1: Vereinfachte Darstellung von V2H und V2G am beispielhaften Anwendungsfall eines Haushalts mit PV-Anlage. (© Fraunhofer IAO)
Status Quo: Wo hinken wir noch hinterher?
Die größte Hürde zur Umsetzung stellt die Regulatorik dar. Bei der Ausspeisung von Strom aus dem Netz in eine Fahrzeugbatterie fallen Steuern, Netzentgelte und Umlagen an. Es wird hierbei bislang nicht unterschieden, ob es sich um eine netzdienliche Zwischenspeicherung oder um einen Letztverbrauch handelt. Stationäre Speicher sind von dieser Belastung befreit, mobile Speicher jedoch nicht. Dadurch sind E-Fahrzeuge als Speicher im aktuellen Rechtsrahmen preislich nicht konkurrenzfähig. Die regulatorische Gleichstellung von stationären und mobilen Speichern könnte helfen, die unnötige Verteuerung dringend benötigter Speicherkapazität zu vermeiden – und würde die Anschaffung Bidi-fähiger Ladeinfrastruktur gleichzeitig interessanter machen. Unter anderem fordert die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur dies seit langem. Seit Sommer 2024 gibt es einen entsprechenden Gesetzesentwurf der Bundesregierung, welcher die Belastung durch die Stromsteuer reduzieren soll, was ca. 2-3 Cent/kWh einsparen würde. Jedoch reicht diese Anpassung nicht aus, denn die entscheidende Bedeutung kommen den Netzentgelten zu, die aktuell bei ca. 13 Cent/kWh liegen und einen wirtschaftlichen V2G-Business Case dadurch unterminieren.
Ein weiterer Stolperstein liegt auf der Netzseite in der notwendigen Digitalisierung unseres Energiesystems. Wir benötigen eine präzise, Echtzeit-nahe Messung unserer Stromflüsse, um unser Energiesystem intelligent und effizient steuern und die Stabilität des Stromnetzes gewährleisten zu können. Der vom BSI vorgegebene Rollout intelligenter Messsysteme (iMSys) sollte dringend beschleunigt werden. Außerdem sollten bei den Vorgaben zur verpflichtenden Verwendung iMSys zur Datenübertragung praxistaugliche und schnell umsetzbare Lösungen angestrebt und auch die Verwendung bestehender Messinfrastruktur und Kommunikationskanäle berücksichtigt werden.
Um all diese Entwicklungen voranzutreiben, benötigen wir eine klare politische Leitlinie. Der aktuelle politische Diskurs schafft allerdings nur wenig förderliche Rahmenbedingungen für die Branche und führt zu Verunsicherung in der Gesellschaft. Um die Chancen der Energiewende nicht zu verspielen, ist es entscheidend, dass wir gemeinsam und entschlossen handeln. Nur so können wir sicherstellen, dass zukunftsrelevante Technologien wie das Bidi-Laden nicht in anderen Ländern entstehen, sondern hierzulande gefördert und weiterentwickelt werden. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam beschreiten!

Das Forum Bidirektionales Laden bringt Akteurinnen und Akteure diverser Branchen zusammen. Das Fraunhofer IAO veranstaltet am Institutszentrum in Stuttgart halbjährlich Netzwerktreffen. (© Fraunhofer IAO, Foto: Ludmilla Parsyak)
Leselinks:
- Weitere Informationen zum Forum Bidirektionales Laden
- Handlungsempfehlung: »Bidirektionales Laden diskriminierungsfrei ermöglichen« (veröffentlicht 01/2024 von Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur der NOW GmbH)
- Studie »Bidirektionales Laden in Deutschland – Marktentwicklung und Potenziale« (veröffentlicht 11/2023 von e-mobil BW GmbH, NRW.Energy4Climate GmbH)
Kategorien: Future Mobility
Tags: Bidirektionales Laden, Elektromobilität, Energieversorgung, Energiewende, V2G, V2H, Vehicle-to-Grid, Vehicle-to-home
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