Transformation ist zum »New Normal« in deutschen Unternehmen geworden – die Anforderungen an Anpassungsfähigkeit steigen immer weiter: Digitalisierung, Klimawandel, globale Krisen zwingen selbst traditionsreiche Organisationen zu permanentem Neudenken. Doch während vielerorts Innovationslabore entstehen und Agilität zum Mantra erhoben wird, bleibt ein entscheidender Aspekt häufig unbeachtet – der Umgang mit Fluktuation.

Fluktuation: Störfaktor oder Innovationsmotor? 

Im klassischen Verständnis ist Fluktuation etwas, das es zu vermeiden gilt. Der Weggang von Mitarbeitenden wird als Zeichen von Instabilität und Führungsversagen gedeutet. Die Kosten für Recruiting und Einarbeitung sind hoch, das Know-how droht zu verschwinden. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit.

Ein genauer Blick in die wissenschaftliche Literatur zeigt ein anderes Bild: Moderate Fluktuation kann Unternehmen sogar stärken. Neue Mitarbeitende bringen frische Erfahrungen, Inspirationen und Denkmuster mit. Sie hinterfragen bestehende Routinen und festgefahrene Überzeugungen – eine unverzichtbare Voraussetzung für echte Transformation.

Ausreichend hohe freiwillige Fluktuationsraten können Innovationszyklen sogar beschleunigen, weil sie »strukturelle Erneuerung« und neue Muster des Wissenstransfers ermöglichen. Unternehmen, die es schaffen, sich regelmäßig mit externem Wissen und neuen Impulsen zu versorgen, bleiben flexibler und somit transformationsfähiger.

Die Kehrseite: Wenn zu viel Bewegung lähmt

Doch wie so oft gilt auch hier: Die Dosis macht das Gift. Überschreitet die Fluktuation ein gewisses Maß, kippt der positive Effekt. Untersuchungen der Forschungsgruppe von Sophie De Winne zeigen, dass eine zu hohe Wechselrate die Produktivität und Innovationsfähigkeit beeinträchtigt. Wenn erfahrene Fachkräfte in kurzer Zeit das Unternehmen verlassen, gehen nicht nur Wissen und Netzwerke verloren – auch der soziale Zusammenhalt und die Identifikation mit dem Unternehmen leiden. Projekte geraten ins Stocken, der »kollektive Gedächtnisverlust« bremst Veränderungen aus, statt sie zu befeuern.

Laut De Winne wäre eine Fluktuationsrate von 9,0 Prozent pro Jahr für die Produktivität eines Unternehmens optimal ist. Firmen, die diese Fluktuationsrate aufweisen, erzielen einen Produktivitätsvorsprung von 5,3 Prozent gegenüber Unternehmen ohne Fluktuation. Liegt die Fluktuation dauerhaft unter diesem Wert, droht Stillstand. Überschreitet die Fluktuationsrate das optimale Niveau deutlich, besteht hingegen die Gefahr, dass das Unternehmen die Kontrolle verliert.

Fluktuation steuern heißt Transformation ermöglichen 

Anstatt Fluktuation pauschal zu bekämpfen, sollten Unternehmen lernen, diese gezielt zu steuern und als Chance zu begreifen. Das bedeutet einerseits, Fluktuation nicht zu verteufeln, sondern als natürlichen Teil von Veränderungsprozessen zu akzeptieren. Andererseits gilt es, zu viel Fluktuation zu vermeiden und insbesondere zentrale Wissensträgerinnen und -träger im Unternehmen zu halten. 

Die deutsche Wirtschaft steht vor der Herausforderung, ihre Innovations- und Transformationskraft ins 21. Jahrhundert zu übertragen. Das gelingt nur, wenn Unternehmen bereit sind, Altes loszulassen und Neues willkommen zu heißen – und dazu gehört auch, Fluktuation gezielt zu steuern, als Teil des Wandels und Chance für neue Impulse zu akzeptieren. 

Das Forschungs- und Innovationszentrum Transformation und Governance beschäftigt sich intensiv damit, wie Transformation in Unternehmen erfolgreich gestaltet werden kann und welche Faktoren Unternehmen transformationsfähig machen. In diesem Rahmen wurde ein gesundes Maß an Fluktuation als einer von 31 Erfolgsfaktoren für Transformationsfähigkeit identifiziert.

Illustration des FORTE-Modells zur Transformationsfähigkeit: Die Buchstaben F-O-R-T-E stehen groß nebeneinander, jeweils mit Icon. F: Führung und Governance. O: Organisationskultur und Zusammenarbeit. R: Ressourcen und geistiges Eigentum. T: Technologie und Daten. E: Ecosystems und Markt. Das Bild visualisiert die fünf Dimensionen, aus denen der Fraunhofer-Transformationsindex die 31 Faktoren für erfolgreiche, datenbasierte Transformation ableitet.

FORTE: Fünf Dimensionen der Transformationsfähigkeit – Grundlage des Fraunhofer Transformationsindex.

Falls Sie in Ihrem Unternehmen ihre Transformationsfähigkeit systematisch erfassen wollen, steht Ihnen dafür ab Oktober 2025 ein neu entwickelter Fraunhofer Transformationsindex zur Verfügung. Sprechen Sie mich an!

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Moritz Maier

Moritz arbeitet als Senior Researcher im Team Unternehmenskultur und Transformation am Fraunhofer IAO. Ihn interessiert die Veränderung und die Welt von Morgen – wie man sich schon heute darauf vorbereiten kann ist dabei die zentrale Frage, die er mit seiner Forschung beantworten möchte.

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Kategorien: Arbeitswelten (New Work, Connected Work), Digitale Transformation
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