Florian Herrmann leitet den Forschungsbereich »Mobilitäts- und Innovationssysteme« am Fraunhofer IAO in Stuttgart und hat mit seinem Team die heute veröffentlichte ELAB 2.0-Studie zum Thema Elektromobilität und Beschäftigung durchgeführt. Wir sprachen mit ihm über die Auswirkungen der elektromobilen Transformation für den Standort Deutschland und die Gestaltungsmöglichkeiten für die Zukunft.

Herr Herrmann, Sie und Ihr Team haben mit der ELAB-Studie die Auswirkungen des Umstiegs auf Elektrofahrzeuge für den Arbeitsmarkt untersucht. Welches Szenario kommt auf uns zu und wie wirkt sich das auf die Arbeitssituation aus?

Gehen wir von einem realistischen Szenario innerhalb der Bandbreite aus, die wir in der ELAB-Studie untersucht haben: 2030 werden demnach reine Elektrofahrzeuge einen Anteil von rund 25% am Produktionsmix der europäischen Hersteller haben, hinzu kommen noch einmal rund 15% an Plug-in-Hybriden. Dabei wird nicht einfach ein Antrieb durch einen anderen ersetzt, sondern eine ganze Branche muss sich tiefgreifend verändern. Das hat natürlich Folgen für den Arbeitsmarkt. Aber wir sollten diese differenziert betrachten und keinen Zahlenpopulismus in die eine oder andere Richtung betreiben.

Klar ist, reine Elektrofahrzeuge sind in der Herstellung weniger komplex. Außerdem erwarten wir bei den neuen Komponenten wie beispielsweise der elektrischen Maschine eine größere Produktivitätssteigerung in der Fertigung, da diese technologisch noch nicht ganz ausgereift sind. Wir müssen deshalb davon ausgehen, dass in dem genannten Szenario im Jahr 2030 rund ein Drittel aller Stellen in der Herstellung der betrachteten Komponenten wegfallen könnte. In Summe bedeutet das rund 75 000 Arbeitsplätze in der Antriebsstrangherstellung.

Wie sieht das Gesamtbild der Veränderung für die Automobilbranche bis 2030 aus?

Die klassische Automobilbranche, wie wir sie kennen, werden wir gar nicht mehr haben. Mit den neuen Antriebs- und Fahrzeugkonzepten werden die Grenzen des Fahrzeugs überschritten und es werden sich vernetzte Verkehrsmittel, -systeme und -angebote entwickeln. Für das E-Mobil der Zukunft sind Kooperationen beispielsweise mit Unternehmen aus der IKT-Branche sowie mit Start-ups essenziell. Das Auto wird mehr und mehr zur Plattform – auch für die Services anderer. Hier erwarten wir viele neue Geschäfts- und Erlösmodelle für Dienstleistungen oder Informationsservices, zum Beispiel bei der intelligenten Vernetzung von Fahrzeugen mit ihrer Umgebung.

Die Energiebranche ist das zweite Standbein der Elektromobilität. Das Konzept eines weitgehend emissionsfreien Verkehrs geht nur auf, wenn sich auch die Energiebranche verwandelt und den erforderlichen Strom auf intelligente Weise bereitstellt, beispielsweise mit Smart-Grid-Technologien. Hier werden neue Arbeitsplätze entstehen, ebenso wie durch die Umgestaltung selbst. Mit der Elektrifizierung der Antriebsstränge muss beispielsweise die Ladeinfrastruktur neu aufgebaut werden. So werden in unserem Szenario auch die Ausrüster für die notwendige Infrastruktur zu den Gewinnern der Umgestaltung gehören und es werden dort Arbeitsplätze entstehen.

Nimmt man den demografischen Wandel bis 2030 hinzu, wird die Schlüsselherausforderung auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft sein, genügend gut ausgebildete Mitarbeitende zu finden, nicht, sie zu verlieren.

Wenn die Automobilbranche mit der Elektromobilität in einen anderen Kontext hineinwächst, entstehen also Arbeitsplätze außerhalb der Branche, während innerhalb Stellen abgebaut werden?

Für das Jahr 2030, den Zeithorizont unserer Untersuchung, ergibt es wenig Sinn, die Perspektive auf eine abgegrenzte Branche zu reduzieren. Wir werden dann viel stärker in Ökosystemen vieler vernetzter Akteure arbeiten, beispielsweise klassische OEMs mit Start-ups, Software- und Service-Anbietern, vielfältigen Zulieferern, Forschungseinrichtungen, etc. Die Wertschöpfung findet nicht mehr linear in einer Wertschöpfungskette statt, sondern vernetzt und vor allem an den Schnittstellen zwischen den Akteuren und Branchen. Deshalb werden auch viele neue Berufe und Arbeitsplätze an diesen Schnittstellen entstehen, ob jetzt innerhalb eines Unternehmens oder im Verbund ist dabei gar nicht mehr entscheidend. Es gibt also keine absolute Gewinn- und Verlustrechnung für einzelne Branchen oder Unternehmen. In der klassischen Antriebsstrangherstellung werden wir aber Stellen verlieren. Klassische Berufsbilder des fossilen Zeitalters müssen sich mit verändern und sich manchmal sogar neu erfinden, oder sie werden nicht überleben.

Wenn das Ökosystem, also die Kooperation vieler verschiedener Akteure, zum neuen Wettbewerbsfaktor wird: Wie ist der Standort Deutschland für diesen Wettbewerb aufgestellt?

In Deutschland sind die Hauptakteure des Ökosystems der zukünftigen Mobilität – Fahrzeughersteller, Energieversorger sowie IKT-Unternehmen – mit einer erstklassigen Forschungslandschaft vernetzt. Die Kollaboration mit mittelständischen Zulieferern ist standorttypisch und seit Jahrzehnten Routine. Bundes- und Landespolitik sind sensibilisiert und bereit, den Rahmen für die digitale Umgestaltung des Automobilstandortes mit zu gestalten, beispielsweise mit Initiativen wie dem Strategiedialog Automobilwirtschaft Baden-Württemberg oder der Nationalen Plattform »Zukunft der Mobilität«.

Eine weitere wesentliche Komponente für eine Ökosystem-Ökonomie sehe ich in den vielen Start-ups im Mobilitätsbereich, die ganz neue Lösungen beispielsweise in der Mikromobilität oder digitale Anwendungen beispielsweise mit Künstlicher Intelligenz im Bereich des automatisierten Fahrens oder in der Fertigung entwickeln. Viele OEMs und Zulieferer schaffen neue Organisationsformen für die vernetzte Zusammenarbeit mit Start-ups, um von den Innovationsmöglichkeiten in der Zusammenarbeit zu profitieren. Ihr Produkt, das Fahrzeug, wird mehr und mehr zur Plattform für neue Geschäftsmodelle.

Sie zeichnen also ein eher optimistisches Bild für die Zukunft des Autolands Deutschland?

Es kommt für uns nicht darauf an, optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft zu blicken, sondern möglichst realistisch. Wir haben mit den neuen digitalen Möglichkeiten und Technologien schließlich einen Gestaltungsraum, den wir möglichst gut nutzen müssen, und dazu trägt unsere ELAB-Studie bei. Klar ist, dass die Transformation auch den nominellen Verlust von Arbeitsplätzen in bestimmten Segmenten bedeutet.

Entscheidend ist aber, wie wir unsere Arbeitswelt und unseren Standort insgesamt auf die neuen Gegebenheiten einstellen und damit dafür sorgen, dass der Standort auch 2030 zu den besten der Welt gehören wird.

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Kategorien: Future Mobility, Innovation, Stadtentwicklung
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