Die Digitalisierung schafft vor allem für technologiebasierte Geschäftsmodelle ein neues Dilemma: Einerseits sollen Mitarbeiter, Teams und die Organisation als Ganzes so schnell und flexibel reagieren können wie Start-ups, anderseits bleibt jedoch der Anspruch der Kunden nach Stabilität und Berechenbarkeit eines klassischen Unternehmens. »Agilität«, also die flexible Selbstorganisation innerhalb von Unternehmensstrukturen, ist zur Zauberformel für die Lösung dieses Dilemmas geworden – unklar bleibt, wie der Weg in die neue Agilität aussieht.
Im Rahmen unseres Forschungsprojektes über organisationale Agilität haben wir Dr. Christof Horn als Experten interviewt. Horn ist geschäftsführender Gesellschafter der P3 group GmbH, eine technologienahe Unternehmensberatung mit mittlerweile rund 3.500 Mitarbeitern weltweit. Die P3 group hat einen ebenso eigenwilligen wie erfolgreichen Weg in die Agilität gefunden.
Planetensystem statt Konzernhierarchie: Wie Autonomie und Koordination gelingt
Man muss nicht nach den Sternen greifen, um Unternehmenskulturen auf das digitale Zeitalter anzupassen. Es reicht, eine klare Vorstellung zu entwickeln, welche Kernbereiche eines Unternehmens zentral gemanagt werden müssen und welche besser auf projektnahe flexible Teams ausgerichtet sind. Die P3 group hat eine agile Unternehmensform ähnlich eines Planentensystems entwickelt, das einen stabilen Kern mit schnellen agilen Planeten verbindet. Das Gravitationszentrum dieses Planetensystems besteht bei P3 aus der Holding der Unternehmensgruppe (7 Personen). Hier werden lediglich wenige hoheitliche Themen, wie der markenspezifische Außenauftritt, zentral geregelt. Um dieses Zentrum kreisen über 20 klein- bis mittelständische Tochtergesellschaften. Diese Tochtergesellschaften agieren quasi als autonome Planeten für jeweils bestimmte Herausforderungen und Geschäftsbereiche. Die P3 group lässt ihnen bewusst die Freiheit, ihren eigenen unternehmerischen Fokus möglichst unabhängig und flexibel zu entwickeln.
Unternehmenskultur als Kosmos
Die Freiheit der einzelnen Tochtergesellschaften ist bei P3 eingebettet in eine agile Unternehmenskultur. Branchenübergreifende Offenheit und Transparenz unter den Töchtern wird im System gelebt. Ein gemeinsamer »Projekte-Marktplatz« zeigt alle Projekte, welche die Unternehmensgruppe gemeinschaftlich akquiriert. Experten oder Teams können so schnell Einsatzmöglichkeiten identifizieren und sich unkompliziert in die Projektarbeit integrieren. Dabei bleibt es jedem Einzelnen selbst überlassen, den Anstoß für einen Einsatz in einem anderen Arbeitsfeld zu geben. Durch diesen zentralen Agilitätsfaktor bleiben die Mitarbeiter flexibel und sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer können ihre Ressourcen und ihr Know-how zielgerichtet einsetzen.
Nur ein zündendender Funke: Wie ein neues Tochterunternehmen entsteht
Die Töchter der P3 group GmbH sind in ihren internen Prozessen und in ihrem Handeln weitestgehend autonom. Das müssen sie auch sein, denn der jeweilige Kunde ist Treiber und formt die Struktur eines neu entstehenden Tochterunternehmens, gemäß dem Motto »Die Struktur folgt dem Erfolg«.
In jedem Unternehmen etablieren sich über die Zeit ein Kundenstamm sowie das Wissen um Kundenwünsche und die Möglichkeiten, wie diese Wünsche bestmöglich realisiert werden. Bei der P3 Group setzt die Holding nur den initialen Funken und überlässt es den neuen Tochterunternehmen, eigene Lösungen (und dabei auch sich selbst) zu entwickeln. Jedes neue Tochterunternehmen hat zum Ziel, neue Lösungen für eine neue Kundengruppe zu konzipieren. Eine Übertragung altbewährter Muster ließe individuelle Präferenzen der neuen Kundengruppe unberücksichtigt. Offenheit für Prozesse und Strukturen ist für eine maximale Anpassung an einen neuen Kundenkreis notwendig. Auch aus diesem Grund ist die P3 Group multikulturell mit äußerst differenten Strukturen. Es werden bewusst keine Regel- und Kontrollwerke geschaffen, die früher oder später den unternehmerischen »Spirit« der Mitarbeiter abwürgen.
Unternehmerische Pioniere: Die Landung auf einem unbekannten Planeten
Tragfähige Ideen brauchen intrinsisch motivierte Macher, die persönlich beim Aufbau eines neuen Unternehmens beteiligt sind. Die Pioniere im Planetensystem der P3 group können auf die Ausdauer eines etablierten Unternehmens zählen, wenn Durststrecken und Anfangsinvestitionen bewältigt werden müssen. Gleichzeitig verlangt die Unternehmenskultur auch Zähigkeit und die Fähigkeit, aus Problemen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Scheitern ist bei der P3-Gruppe als Lernelement durchaus erlaubt und Teil der agilen Kultur. Wer aus einem gescheiterten Projekt zurückkehrt, findet neue Herausforderungen im agilen Kosmos der P3 group.
Sie wollen mehr zum Thema wissen?
Gerne teilen wir mit Ihnen unsere Erfahrungen und begrüßen Sie hierzu herzlich auf unserer Veranstaltung »Die Transformation zum agilen Unternehmen« am 27. Juni 2017 in Stuttgart.
Leselinks:
- Veranstaltung »Transformation zum agilen Unternehmen« am 27. Juni 2017
- Alle Blogbeiträge zum Thema »Agiles Unternehmen«
Kategorien: New Work / Connected Work
Tags: Agile Organisation, Agile Working, Agiles Unternehmen, Flexibles Arbeiten, Mobiles Arbeiten, Organisationsform, orts- und zeitflexibles Arbeiten, Selbstorganisation
Hallo Herr Piele,
heutzutage will ja jedes Unternehmen agil arbeiten – ohne sich jedoch darüber klar zu werden, was denn Agilität ist oder sein soll. Und zwar nicht nur in der obersten Unternehmensstruktur, sondern vorallem in der altäglichen operativen Ebene der arbeitenden Menschen. Hier wird die Diskussion um langfristige Planbarkeit und Stabilität vs. Agilität erst richtig spannend und herausfordernd. Hier geht es an den Kern von Arbeits- und Untrrnehmenskultur sowie Organisationsentwicklung. Hier muss man sich mit Themen auseinandersetzen wie Zeiterfassung vs. freies Gestalten, feste vs. unterschiedliche Arbeitsorte, Umgang mit veränderten Technologien, Erreichbarkeit vs. störungsfreie Zeiten, Führung agiler Teams, intergenerationale Wertekonflikte, …
Für den nächsten Artikel würde ich mich über etwas mehr praxisnahe und forschungskritische Substanz freuen.
Mit freundlichen Grüßen,
Jan Krcek
Hallo Herr Krcek,
das ist natürlich ein berechtigter Einwand: Unsere Blogbeiträge sind relativ kurzgehalten und können so immer nur einen Teilbereich eines Themas beleuchten. Das hier betrachtete Unternehmen weist in seiner Struktur Besonderheiten auf, weshalb ich im aktuellen Beitrag ein besonderes Augenmerk auf diesen Aspekt gelegt habe. Aber meine Teamkollegen/innen und ich werden in folgenden Blogbeiträgen ebenso die operative Ebene fokussieren. Ich bitte Sie noch um etwas Geduld.
Mit besten Grüßen
Christian Piele
Lieber Herr Piele,
nein, man muss nicht nach den Sternen greifen, um Unternehmenskulturen auf das digitale Zeitalter anzupassen. Aber es reicht eben nicht, top-down zu definieren, dass einige Kernbereiche eines Unternehmens in Zukunft zentral gemanagt und andere Planetensystem eher im Außenradius schweben. In Ihrer Schilderung fehlt ein entscheidender Faktor: Die Planeten müssen miteinander verbunden werden! Wenn neue Strukturen geschaffen und Menschen mit Veränderung konfrontiert oder gar ins Universum verfrachtet werden, dominieren Unsicherheit und Unwillen. Dem ganzen muss ergo ein Prozess entgegen gestellt werden, der genau diese Reaktionen auffängt. Ein Prozess, der dafür sorgt, dass Mitarbeiter Halt finden und einen neuen Sinn in ihrem veränderten Aufgabenfeld. Konkret: Jedes Unternehmen im Wandel muss sich parallel darum kümmern, seine Identität neu zu definieren. Identität verbindet, schafft Identifikation und ein funktionierendes Miteinander. Keiner von uns will Aufgaben erledigen, mit denen wir uns nicht identifizieren können – schon gar nicht weit weg im Universum.
Mit besten Grüßen
Kathrin Behrens
Liebe Frau Behrens,
danke für Ihre Antwort. Ich sehe das wie Sie: Ein entsprechender „Kitt“ für eine gemeinsame Unternehmensidentität ist unabdingbar.
Prozesse dürfen hier nur nicht dazu führen, dass die einzelnen „Planeten“ ihre Schnelligkeit und Wendigkeit verlieren. Es ist mit Sicherheit eine gewisse Gradwanderung zwischen einer gemeinsamen Unternehmensidentität sowie einer notwendigen Unabhängigkeit und Veränderungsfähigkeit gegeben. Gerade eine gemeinsame vertrauensstiftende Unternehmenskultur ist im Zeitalter der digitalen Revolution kein einfaches Unterfangen. Diese Herausforderung findet sich insbesondere auch in unserem Forschungsfeld des zeit- und ortflexiblen Arbeitens wieder.
Mit besten Grüße
Christian Piele