Stellen Sie sich vor, Sie müssen entscheiden, ob heute gekocht oder das Handy geladen wird. Klingt nach einem Problem aus der entwicklungspolitischen Ecke? Stimmt. Aber auch in Europa ist Energie längst nicht für alle Menschen selbstverständlich verfügbar – trotz Wärmepumpe und Solardachdebatte. Energiearmut ist ein blinder Fleck der Energiewende.
In einem Forschungsprojekt mit 30 000 Befragten aus Europa und Afrika haben wir untersucht, wer besonders unter Energiearmut leidet – und was das über unsere Gesellschaften verrät.
»I don’t use money to buy the sun«
Als ich vor einigen Monaten Interviewaufzeichnungen aus unserem europäischen Forschungsprojekt gEneSys las, blieb mir besonders eine Geschichte im Gedächtnis: Eine Mutter aus Nigeria, die von ihrem alltäglichen Umgang mit Energie und den Einschränkungen erzählt, mit denen sie klarkommen muss. Das nationale Stromnetz fällt immer wieder aus. Also besitzen viele Menschen – auch unsere Gesprächspartnerin – einen Dieselgenerator zur Stromerzeugung. Der erzeugt jedoch giftige Abgase, und sowohl der Netzstrom als auch Diesel sind deutlich teurer geworden. Deshalb hat die Frau mit ihrem Mann in eine kleine Heimsolaranlage investiert. Zwar sagt sie dazu trocken: »I don’t use money to buy the sun«, für ein System mit ausreichend Batteriekapazität, das den gesamten Haushalt versorgen könnte, fehlt aber das Geld.
Bei kaum einem Interview, das ich als Sozialwissenschaftler im Laufe der Jahre gelesen habe, wurde mir meine eigene privilegierte Position so deutlich wie in diesem: wie selbstverständlich für mich der Zugang zu stabiler und bezahlbarer Energie ist.
Energiearmut ist vom Einkommen abhängig. Aber eben nicht nur.
Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat uns in Bezug auf das Thema Energiearmut gebeten, einen genaueren Blick auf unsere Daten aus dem gEneSys-Projekt zu werfen. Darin haben wir 30 000 Menschen aus Europa und Subsahara-Afrika befragt, wie sie Energie nutzen, mit Klimawandel umgehen – und wo sie sich politisch gehört fühlen.
Uns interessierte dabei die subjektive Energiearmut – also die Frage, ob Menschen persönlich der Ansicht sind, dass sie sich die für Kochen, Heizen oder Strom benötigte Energie leisten können. Natürlich hängt Energiearmut mit dem Einkommen zusammen: Je mehr Geld ein Haushalt zur Verfügung hat, desto unwahrscheinlicher ist es, dass seine Mitglieder darunter leiden. Doch Einkommen ist nicht zufällig verteilt – einige Gruppen haben strukturell weniger Geld, andere einen strukturell höheren Energiebedarf.
In Deutschland scheint Energiearmut vor allem mit Bildung und ethnischer Zugehörigkeit zusammenzuhängen
Für unsere Analysen nutzten wir neben klassischen auch einige unkonventionelle Datenanalysemethoden. Besonders interessante Ergebnisse aus dem gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellten Policy Paper:
- Subjektive Energiearmut war unter den untersuchten Ländern in Frankreich am stärksten ausgeprägt: Jede vierte befragte Person gab dort an, Schwierigkeiten zu haben, die für ihren Haushalt benötigte Energie zu bezahlen. Zum Vergleich: In Deutschland war es etwa jede achte Person.
- Besonders häufig betroffen waren in Deutschland Personen, die zugleich ein niedriges oder mittleres Bildungsniveau aufweisen und sich einer ethnischen Minderheit zugehörig fühlen – jede vierte Person dieser Gruppe berichtete über Energiearmut.
- Geschlechterunterschiede konnten wir in Deutschland nicht feststellen – wohl aber in Frankreich und Portugal. Dort sind unter anderem Frauen mit niedrigem oder mittlerem Bildungsabschluss besonders betroffen, die aktuell oder früher Betreuungsverantwortung getragen haben.

Abbildung 1: Anteil von Personen, welche die Aussage »Ich kann mir die energiemenge und die Energieressourcen, die zur Versorgung aller Bereiche meines Haushalts erforderlich sind, finanziell leisten« verneint haben (Als »Nein« wurden alle Antworten von 1 bis 3 auf einer Skala von 1 bis 7 gewertet.). Antworten von 17.889 Personen. Repräsentativ gewichtet (Quelle: Policy Paper des Fraunhofer IAO)
Was wir ändern müssen
Die Energiewende wird häufig als rein technische Aufgabe betrachtet – CO₂ runter, erneuerbar rauf. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive braucht es aber mehr: Bei energetischen Planungsprozessen – etwa der kommunalen Wärmewende, bei Quartierskonzepten oder Sanierungsprogrammen – spielen Privathaushalte eine zentrale Rolle. Sie dürfen nicht als passive Größe verstanden werden, die lediglich Energie entnimmt, sondern müssen als aktive Bezugsgröße in die Planung einbezogen werden. Sie müssen als zentrale Kriterien für die Ausgestaltung eines Energiesystems verstanden werden.
Pauschale Rufe nach »billiger Energie« greifen zu kurz – sie sind klimapolitisch problematisch und ignorieren, dass Deutschland ein wohlhabendes Land ist, in dem ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung unter Energiearmut leidet. Dennoch repräsentiert dieser Teil mehrere Millionen Menschen. Und genau diese Menschen gilt es gezielter zu entlasten: durch differenzierte Politiken, die sich an ihren Lebensrealitäten orientieren.
Mehr dazu in unserem unten verlinkten Policy Paper!
Leselinks:
- Die Website des gEneSys-Projekts in dem wir Geschlechter-Aspekte unserer Energiesysteme erforschen
- Unser Policy Paper »Energiearmut in Europa«
- Alle von uns verfassten Blogbeiträge zum Thema »Geschlechtergerechte Energiewende«
Kategorien: Nachhaltigkeit
Tags: Energiepolitik, Energiewende, Geschlechtergerechte Energiewende
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