Die Coronakrise fordert von uns allen ganz neue Herangehensweisen und Lösungen im beruflichen Miteinander. Das Fraunhofer IAO hat deshalb eine Blogreihe gestartet, mit der wir schnell anwendbare Praxistipps weitergeben, gut funktionierende Beispiele vorstellen und Lösungswege während und aus der Krise aufzeigen wollen.
Seit 27 Jahren kommt Ihre dienstälteste Mitarbeiterin mit dem geliebten Firmenwagen zur Arbeit. Jeden Tag. Die Chance, sie von einem klimafreundlichen Elektroauto oder gar einem flexiblen Mobilitätsbudget mit ÖPNV und Fahrrad zu überzeugen? Null Prozent.
Bis zur Corona-Krise. Seitdem sind selbst Sturköpfe und Gewohnheitstiere gezwungen, mit der Routine zu brechen. Der perfekte Zeitpunkt also, über das betriebliche Mobilitätskonzept in Ihrem Unternehmen nachzudenken. Denn den schwierigsten Teil – die alte Verhaltensweise zu ändern – haben Ihre Mitarbeitenden schon hinter sich. Eine neue Mobilitätsstrategie werden sie nun vermutlich deutlich schneller und wohlwollender annehmen.
Mobilität im Wandel
Ob Geschäftsreisen, Flottenmanagement oder Lieferverkehr – der gesamte Transport mittelständischer Unternehmen steht aktuell Kopf. Das brauchen wir Ihnen nicht zu erzählen.
Doch auch nach den unruhigen Zeiten wird das Mobilitätskonzept vieler Unternehmen nicht mehr so sein wie davor. Denn die Krise befeuert die Disruption und Transformation der Mobilitätsbranche eher wie ein Flammenwerfer als wie ein Streichholz.
Neue Anbieter schießen aus dem Boden und verschwinden wieder
E-Scooter, Leihmofas, Ridesharing-Taxen – sie alle könnten genauso schnell wieder von den Straßen verschwunden sein, wie sie gekommen sind. Oder auch nicht. So richtig weiß das niemand. Tatsache ist, dass sich viele Start-ups bereits vom Markt zurückziehen. Die E-Scooter-Anbieter Lime, Jump und Circ bieten ihre Roller nach dem totalen Nachfrageeinbruch schon nicht mehr in Europa an. Ohne Touristen und städtische Pendler ist das Geschäft nicht rentabel. Ridesharing-Unternehmen geht es ähnlich. Ein CleverShuttle teilt man sich nun nicht mehr mit Fremden, sondern fährt allein – das genaue Gegenteil des Geschäftsmodells. Wahrscheinlich werden viele junge Unternehmen ohne großes Kapital die Krise so nicht überleben. Mobilitäts-Expert*innen wie die Unternehmensberatung McKinsey bescheinigen ihnen ein schnelles Ende.
Auf der anderen Seite können kurzfristige Einschnitte die Transformation meist nur verzögern, nicht aufhalten. So, wie Mitte April trotz gleicher Ausgangsbeschränkung schon wieder mehr Menschen unterwegs sind als noch zwei Wochen davor, werden auch Trends wieder an Fahrt gewinnen. Mobilitätsanbieter, die bestehen bleiben, können so von der ausgedünnten Konkurrenz sogar profitieren und den Wandel weiter antreiben.
Die Disruption traditioneller Mobilität als Chance
Auch die altbekannten Transportmittel erfahren mit der Krise eine hundertachtzig Grad Wendung: Angeschlagene Airlines gehen der Reihe nach pleite, selbst die Lufthansa kämpft. PKW-Verkäufe fallen laut Untersuchungen von McKinsey auf ein Zehntel des erwarteten Werts zurück und bringen damit auch die Zulieferer in Bedrängnis. Die ganze Branche bebt.
Die Krise wird auch hier Trends beschleunigen. Allen voran durchläuft die Automobilindustrie aktuell eine große Transformation: vom Verbrenner hin zum E-Auto. Den möchte die Politik beschleunigen: Dank des Rückgangs der Emissionen aus dem Verkehrssektor, der bisher eher stagnierte, rücken die Klimaziele für 2020 ¬– nämlich 40 Prozent weniger Emissionen im Vergleich zum Jahr 1990 zu erreichen – mit einem Mal wieder in greifbare Nähe (siehe folgende Grafik). Plötzlich ist der Einfluss der Mobilitätsbranche auf den Klimawandel deutlich sichtbar.
Abbildung 1: Treibhausgasemissionen sinken 2020 voraussichtlich deutlich unter den Wert der letzten Jahre. (Quelle: Agora Energiewende)
Deshalb sehen Verantwortliche die Krise auch als Chance, um nachhaltigere Mobilitätskonzepte in Unternehmen zu etablieren. Öko-Abwrackprämien werden bereits diskutiert und die Förderung des Mittelstands zählt gerade sowieso zu den wirtschaftlichen Themen schlechthin.
Wenn Sie also je ein neues Mobilitätsmanagement erstellen, dann jetzt: Die Angestellten sind aus ihren Mobilitätsmustern ausgebrochen, die Politik unterstützt die Umstellung und trotzdem profitieren Sie noch von den Vorteilen der Early Adopter. Also wenn nicht jetzt, wann dann?
Wie sich Menschen nach der Krise fortbewegen
Aus Klimawandel-Perspektive sind nachhaltigere Fortbewegungsmittel auch bitter notwendig, gerade jetzt. Denn weil die Angst vor Kontakt wächst, steigen die Deutschen wieder auf das eigene Auto um. Sie vermeiden Carsharing und andere Share-Services, um nicht dieselben Oberflächen zu berühren, wie die Vorgänger*innen. Am stärksten trifft der Nachfragerückgang aber den ÖPNV: Die Bahn zählt im Fernverkehr bis zu 90 Prozent weniger Fahrgäste, Einbußen im Regionalverkehr dürften ähnlich ausfallen, wie die Stuttgarter Nachrichten berichten.
Die Pandemie zwingt die Menschen also zurück in den privaten PKW, möglicherweise dauerhaft. Auch der weitere NMIV (nicht-motorisierter Individualverkehr) könnte zulegen, darunter Fahrräder, E-Scooter und Mofas.
Die Schritte hin zum betrieblichen Mobilitätskonzept nach Corona
Jetzt ist also der richtige Zeitpunkt, um zu handeln. Aber was tun? Wichtig ist, dass Sie nicht in einer impulsiven Aktion zehn elektrische Dienstwagen bestellen. Stattdessen bietet die aktuelle Unruhezeit die besten Voraussetzungen, um für einen Neuanfang nach der Krise zu planen.
1. Erfahrungen sammeln: Die Pandemie ist eine Extremsituation, aus der Sie lernen können: wie digitale Mobilität im Homeoffice funktioniert, wie flexibel der Fuhrpark ist, auf welche Infrastruktur Sie verzichten können. All diese Informationen können sich für die Konzeption einer neuen Mobilitätsstrategie als wertvoll erweisen.
2. Bedarf aufnehmen: Wenn Sie das Mobilitätsmanagement erfolgreich durchsetzen möchten, muss es Zustimmung bei der Belegschaft finden. Mit einer Mitarbeiterbefragung können Sie den Bedarf analysieren und eine darauf maßgeschneiderte, integrierte Mobilitätsstrategie entwerfen.
3. Verbündete finden: Höchstwahrscheinlich sind Sie nicht allein mit dem Wunsch, die Innovation im eigenen Unternehmen voranzutreiben. Finden Sie intern Kolleg*innen, die Sie bei dem Vorhaben unterstützen. Oder denken Sie groß und gründen Sie mit benachbarten Firmen einen Mobility Hub.
4. Konzepte entwickeln: Ein erfolgreiches Mobilitätsmanagement ist ganzheitlich, nachhaltig und vor allem gut durchdacht. Das erfordert Vorausschau und Planung – starten Sie deshalb so früh wie möglich, um bald nach der Krise loslegen zu können!
Wenn Sie sich bei der Planung oder Erstellung eines betrieblichen Mobilitätskonzepts unsicher fühlen, helfen meine Kolleg*innen aus der Mobilitätsforschung und ich Ihnen gerne weiter.
Leselinks:
- Agora Energiewende: Auswirkungen der Corona-Krise auf die Klimabilanz Deutschlands (.pdf)
- Mobilitätskonzepte für Unternehmen (muse.iao.fraunhofer.de)
Kategorien: Future Mobility
Tags: Coronavirus – First-Science-KIT: Blogreihe zum Corona Krisenmanagement, Elektromobilität, Mobilität, Mobility Innovation