Kaum einem technologischen Themenfeld wird sowohl in der Fachwelt als auch in der breiten Öffentlichkeit derzeit soviel Aufmerksamkeit zuteil, wie der Elektromobilität oder präziser der Elektrifizierung des Antriebstrangs. In der Dynamik, die das Thema erfährt, liegt eine große Chance, jedoch nur dann, wenn neben allem Optimismus auch eine realistische Einschätzung der heutigen Leistungsfähigkeit sowie der Entwicklungspotenziale erfolgt. Verdichtet auf 7 Thesen, fasst diese Stellungnahme des Fraunhofer IAO zentrale Punkte zusammen, die bei einer Diskussion über die Elektromobilität berücksichtigt werden sollten.

These 1: Aus Fehlern der Vergangenheit lernen
Bereits in den 80er und 90er Jahren wurde das Thema Elektromobilität ähnlich euphorisch diskutiert wie heute. Unter anderem in Kalifornien, Rügen, LaRochelle (Frankreich) und Mendrisio (Schweiz) wurden Flottenversuche mit Elektrofahrzeugen durchgeführt, die jeweils eigene Erkenntnisse zu den technologischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten der Elektromobilität erbracht haben. (siehe: »Flottenversuche mit Elektromobilen: Lessons Learned aus den 90er Jahren«). Notwendig ist eine übergreifende, ganzheitliche Aufarbeitung dieser Flottenversuche als gemeinsame Grundlage für die Forschung und weitere Erprobung.

These 2: Elektromobilität muss ohne Förderung funktionieren
Von Beginn an darf nicht aus den Augen verloren werden, dass Elektromobilität mittelfristig ohne Förderung des Staates wirtschaftlich darstellbar sein muss. An dieser Prämisse müssen sich die für einen Marktdurchbruch zweifellos erforderlichen Fördermaßnahmen ausrichten. Viel wichtiger als eine breit angelegte finanzielle Marktförderung ist es, die deutsche Industrie- und Forschungslandschaft beim Aufbau spezifischer Technologiekompetenz zu unterstützen und die Etablierung von elektromobilen Wertschöpfungsketten unter Einbindung von kleinen und mittelständischen Unternehmen zu fördern.

These 3: Elektromobilität muss über die Wertschöpfungskette betrachtet werden
In Deutschland ist die komplette automobile Wertschöpfungskette vom kleinen Zulieferer von der schwäbischen Alb bis zu weltweit bedeutenden Zulieferunternehmen und Automobilherstellern vertreten. Diese bestehende Wertschöpfungskette gilt es fit zu machen für den Weg in die elektromobile Fahrzeugindustrie.

These 4: Die Antriebswelt wird vielseitiger
Nach einer Studie die das Fraunhofer IAO im Auftrag des Wirtschaftsministeriums und der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart erarbeitet hat (Strukturstudie BWe Mobil) haben bereits im Jahr 2020 über 25 Prozent der Neuzulassungen eine elektrische Antriebsstrangkomponente. Während das batterieelektrische Fahrzeug auf absehbare Zeit eher ein Nischendasein führen wird, kommt den Hybridkonzepten, die sich im Grad der Elektrifizierung unterscheiden, schon sehr bald eine große Bedeutung zu. Nicht zu vergessen ist auch das Brennstoffzellenfahrzeug, welches ein lokal emissionsfreies Fahren auch auf längeren Strecken ermöglichen würde. Zusammengefasst: Die Antriebswelt wird vielseitiger, komplexer und damit auch anspruchsvoller zu beherrschen. Deshalb muss zusätzlich zur führenden Position heimischer Unternehmen beim Verbrennungsmotor-basierten Antriebsstrang auch bei den Hybridantrieben und dem batterieelektrischen Antrieb eine vergleichbare Wettbewerbsposition erreicht werden – und zwar ohne die Weiterentwicklung des Verbrennungsmotors insbesondere hinsichtlich Effizienz zu vernachlässigen. Denn in den Effizienztechnologien für den Verbrennungsmotor, auch das zeigt unsere Studie, liegt auf absehbare Zeit das größte Wertschöpfungs- und damit Beschäftigungspotenzial in der Automobilindustrie.

These 5: Die Stadt wird Katalysator für Elektromobilität sein
Batterieelektrische Fahrzeuge oder auch Hybridfahrzeuge, welche eine Strecke von über 60 km rein elektrisch zurücklegen können, brauchen eine Nische, in der sie ihren zentralen Vorteil, die lokale Emissionsfreiheit, ausspielen können. Deshalb wird sich diese Technologie zunächst im urbanen Verkehr durchsetzen, weil sie hier ideale Nischenbedingungen vorfindet (siehe: www.elektromobile-stadt.de). Städte, die die Diffusion befördern, beispielweise durch die Unterstützung des Aufbaus einer Ladeinfrastruktur, die Bereitstellung von speziellen Parkplätzen, die Anschaffung von Elektrofahrzeugen für den eigenen Fuhrpark, die Information der Bürger etc., werden zu Katalysatoren der Elektromobilität werden. Jede Stadt ist daher gut beraten, eine spezifische »Roadmap Elektromobile Stadt« zu erarbeiten.

These 6: Elektromobilität muss im System betrachtet werden
Nicht nur der Antriebsstrang wird derzeit neu erfunden, sondern das Fahrzeug an sich. Man kann die Grenze sogar noch etwas weiter ziehen und davon sprechen, dass die individuelle Mobilität neu erfunden wird. Das fordert nicht nur die Zulieferer und Automobilhersteller, sondern auch Unternehmen anderer Branchen, insbesondere aus der Informations- und Kommunikationstechnik, sowie die Energieversorger. So gilt es, die Energieinfrastruktur für Elektrofahrzeuge zu entwickeln und bspw. über Lösungen für das gesteuerte Laden die Belastung für das Stromnetz zu minimieren. Versäumnisse, die heute bei der Definition von Standards und der Umsetzung von Lösungen in diesem Feld gemacht werden, könnten bei einer breiten Marktdurchdringung zum Boomerang werden.

Auch wird die Elektromobilität keineswegs automatisch die zweite große Herausforderung des motorisierten Individualverkehrs, die Verstopfung der Straßen, lösen. Hier sind seitens der IKT-Industrie Telematik-Lösungen gefragt, die helfen Verkehr zu vermeiden und zu lenken.

These 7: Deutschland muss Leitanbieter Elektromobiler Systeme werden
Deutschland muss den klaren Anspruch haben, Leitanbieter Elektromobiler Systeme zu werden. »Leitanbieter« impliziert, dass wir nicht zwingend anstreben sollten, das Land zu werden, in dem die meisten Elektrofahrzeuge in einem definierten Zeitraum verkauft werden. Vielmehr sollten wir uns zum Ziel setzen, die meisten Fahrzeuge zu produzieren und zu verkaufen. »Elektromobile Systeme« betont, dass Elektromobilität nicht nur eine Antriebsstrangtechnologie ist, sondern vielmehr z.B. im Bereich IKT und Energieinfrastruktur eine Systemkompetenz Elektromobilität erforderlich ist. In dieser Systemkompetenz liegt Wertschöpfung, die über das reine Automobil hinausgeht.

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Kategorien: Digitalisierung, Future Mobility, Stadtentwicklung
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