Die Arbeitswelt verändert sich so schnell und tiefgreifend wie nie zuvor. Neue Märkte und Technologien stellen für viele Unternehmen bereits eine Herausforderung dar – Um Unternehmen die Transformation zu erleichtern, bieten unsere Expert*innen des Fraunhofer IAO ihre Hilfe an. Das Projekt »Connected Work Innovation Hub« bietet eine Plattform für die Entwicklung gemeinsamer Ideen und Handlungsmodelle, die innovativ und nachhaltig sind.
»Déjà-vus« einer Arbeitswissenschaftlerin:
Ich hatte auf meiner Zugfahrt am Montag letzter Woche ein Déjà-vu: Amazon streicht die Homeoffice-Möglichkeit mit der Begründung, dass das gemeinsame Arbeiten im Büro effektiver sei und die Teams näher zusammenbringe, sodass sie mehr voneinander lernen. So wird Chef Jassy in ZEIT ONLINE zitiert (ZEIT ONLINE, 17. September 2024). Ein Déjà-vu: Im Jahr 2013, also noch deutlich vor der Pandemie, hatte die frischgebackene Chefin Marissa Meyer beim kriselnden Suchmaschinenanbieter Yahoo alle Mitarbeitenden per Rundmail zur Rückkehr ins Büro aufgefordert. Weil in Zeiten der Krise ein Anpacken mit hochgekrempelten Ärmeln eben doch besser in direktem Kontakt und mit unmittelbaren Zugriffsmöglichkeiten auf die Kolleginnen und Kollegen möglich sei. Für uns war das damals auch ein Impuls, sich genauer mit den Auswirkungen mobiler Arbeit auf Führung und Zusammenarbeit zu beschäftigen (Blogbeitrag Oops, IBM did it again: Zurück ins Office – Marissa Mayer reloaded).
Schon 2013 gab es viele Diskussionen um diese Aktion – aber eher geprägt von Unverständnis darüber, wie ein so moderner Tech-Konzern so etwas tun könne. Schon damals gab es die sicher nicht ganz unbegründete Vermutung, dass hierbei auch andere Abwägungen (wie die »freiwillige« Kündigung so manch eines Mitarbeitenden nach erfolgtem Umzug aufs Land) mögliche Hintergründe seien. Ein Verdacht, der übrigens auch in der Berichterstattung über Amazon geäußert wird (ZEIT ONLINE: Homeoffice: Fair ist das nicht, Amazon!). Zugleich wird immer wieder auf die vielen Anläufe der »Back to Office«-Bewegungen an deutschen Standorten verwiesen. Nicht ganz so krass, nicht ganz so ultimativ, aber eben doch in Teilen echte Kehrtwenden, denkt man etwa an SAP. Warb dort die Firma vor wenigen Jahren direkt nach der Pandemie noch mit der Schlagzeile »Bei uns kann man auch im Schwimmbad arbeiten« und referenzierte damit ganz bewusst auf das einstige Schreckensszenario für ortsmobil arbeitende Mitarbeitende bzw. deren Management, so ist auch dort mittlerweile wieder ein deutlich rigiderer Modus des Präsenzmanagements eingekehrt – ein Beispiel von vielen. Zeit für ein Zwischenfazit und den Versuch differenzierter Antworten auf die leider eben gar nicht so einfach beantwortbare Frage: »Was macht ein Anteil von x Prozent mobiler Arbeit mit der Produktivität der Beschäftigten?«
Dazu ein paar Erkenntnisse, die sich auch stark aus unserer eigenen Studienlage speisen:
Mitarbeitende wie Führungskräfte bestätigen ganz überwiegend produktives Arbeiten im hybriden Arbeitsmodus…
…und widersprechen damit vielen zumindest offiziellen Begründungen der Unternehmensleitungen. Das zeigen viele Studien, auch unsere eigenen, nationale wie unternehmensspezifische. Es wird sogar so viel gearbeitet, dass gleichzeitig die Überlastungstendenzen zunehmen. Entgrenzung, Dauererreichbarkeit, Meetingstakkato hinterlassen ihre Spuren. Was freilich auch mit unseren veränderten Arbeitstaktungen und Meetingroutinen zu tun hat, die wir uns im Gefolge der großflächigen Verfügbarkeit von eCollaboration-Technologien spätestens mit der Pandemie angeeignet haben. Diese Arbeitstaktung findet mittlerweile in allen informations- und wissensbasierten Arbeitswelten statt – egal ob im Großraumbüro oder im Homeoffice (das hat z. B. auch unsere letztjährige Studie für den BAVC und IGBCE herausarbeiten können, siehe Presseinformation: Studie zeigt Chancen und Risiken mobiler Arbeit). Die Vorteile kurzfristiger Verfügbarkeit, einfach zu organisierender Meetings, leichter Erreichbarkeit entfernter Fachleute – haben eben auch eine ganz andere Planung und Erwartungshaltung in Bezug auf Reaktionsgeschwindigkeiten und Lieferzeiten der Kolleginnen und Kollegen untereinander zur Folge. Und diese müssten verändert werden, wenn man nachhaltig Effekte der Ortspräsenz wie zufällige Gespräche, Begegnung und Informalität erzeugen wollte. Denn diese werden sich kaum einstellen, wenn die Mitarbeitenden dann im Büro statt im Homeoffice ein Online-Meeting nach dem anderen absolvieren.
Hybrides Arbeiten bedeutet also eine große Veränderung.
…aber im Kontext vieler anderer Veränderungen ist sie eben kein isolierbarer Veränderungstreiber bzw. Produktivitätsbooster oder -killer, was immer man erwarten mag oder sich als einfaches Erklärungsmuster gerne wünschen würde. D. h. Aussagen im Sinne von »3 statt 5 Tage Mobile Work verändern die Produktivität um x Prozent« sind leider kaum seriös zu erwarten, es sei denn, man würde laborartige Vergleichsstudien mit exakt vergleichbaren Tätigkeitsmustern durchführen. Und selbst diese wären möglicherweise aufgrund der Unterschiedlichkeit der handelnden Personen immer noch nicht wirklich vergleichbar im Sinne eines sauberen, kontrollierbaren Experiments. Zudem scheitern solche Erkenntnisinteressen an der oft schwierigen Objektivierbarkeit und Messbarkeit des Zielobjekts der Produktivität der geleisteten Arbeit. Viele mobil Arbeitende sind in indirekten Bereichen bzw. Wissensarbeitsbezügen tätig, deren Output schwer zu quantifizieren ist. Am einfachsten ist dies am ehesten noch bei klassischen Sachbearbeitertätigkeiten, z. B. im Versicherungsbereich, wobei auch hier die Varianzen größer sind als gemeinhin erwartet. Das belegt auch die gerade in Auswertung befindliche Befragung im Projekt »Connected Work Phase III« mit mehr als 2.500 Befragten: Nur knapp 40 Prozent der Befragten geben dort an, überhaupt klare operationalisierbare Größen angeben zu können, die ihre Produktivität »dingfest« machen.
Es gibt KEINE klare Beweislage, die zeigt: Mehr Präsenz = mehr Produktivität
Auch dies belegt unsere noch nicht veröffentlichte Studie im Projekt »Connected Work Phase III«. Der systematische Vergleich der Antworten der Gruppe von Personen mit hohem Präsenzanteil (bis max. 20 Prozent Mobilarbeit) mit der Gruppe mit hohem Mobilarbeitsanteil (zwischen 60 und 100 Prozent der Arbeitszeit) zeigt sogar durchgängig gegenläufige Antworten. Viele relevante Früh- und Spätindikatoren zur Beschreibung der Performance von Arbeit schneiden in der Gruppe der Befragten mit hohem Mobilarbeitsanteil positiver ab. Darüber werde ich in einem weiteren Blog noch ausführlicher berichten. Die pauschale Zuschreibung: »Mehr Präsenz = auf jeden Fall besser, da produktiver, innovativer usw.« ist zumindest in der kurz- bis mittelfristigen Perspektive pauschal nicht belegbar. So gesehen sind die beobachtbaren Trends bei bekannten Unternehmen (zuletzt Amazon), die Mitarbeitenden pauschal zurück ins Büro zu beordern, kritisch zu sehen. Sie sind empirisch kaum schlüssig begründbar und führen zu nicht unerheblichen Reaktanzen bei zumindest Teilen der Belegschaft, die man lieber nicht verlieren möchte. Dies zeigen auch andere aktuelle Studien deutlich. Es kommt eben viel zu sehr darauf an, wie dann genau diese Präsenz im Büro, insbesondere in der Teamgemeinschaft, gestaltet und erlebt wird. Was nicht heißt, dass wir diese Präsenz nicht auch für wichtig halten. Aber die Effekte sind eben nicht mit der simplen Zurückbeorderung von Personen erreichbar.
Kurzfristig leben wir offenbar also immer noch vom Sozialkapital, das vor der Pandemie in unserer Organisation aufgebaut wurde. Aber wir müssen die langfristigen Effekte der sozialen Erosion sehr genau beobachten.
Der Effekt der sozialen Erosion, den wir bereits im letzten Jahr herausarbeiten konnten, ist nach wie vor sichtbar, auch das sehen wir bereits in unserer neuesten Erhebung. Also die Angaben vieler mobil Arbeitender, dass sie bei aller subjektiv berichteten Produktivität gleichzeitig eine abnehmende Informalität, weniger Kontakte jenseits des eigenen Teams in die Unternehmen, weniger Zeit für Feedback und gemeinsame Prozessverbesserungen monieren. Auch wenn hier eine gewisse Professionalisierung in der Gestaltung von Hybridität beobachtbar scheint, werden die Wunschziele der Generierung von Informalität, Begegnung, Zusammengehörigkeitsgefühl und damit auch gemeinsamer Innovationsfähigkeit und Krisenresilienz offenbar immer weniger erreicht.
Kontakte, Kennenlernen, Zufall und neugieriges Aufeinander-Einlassen brauchen ein persönliches Umfeld, Präsenz, eine Mindest-»Masse«, um dem Zufall der Begegnung und der Serendipität überhaupt eine Chance zu geben
Und damit ist dies für uns die bisher klarste Begründung für mehr (gemeinsame) Anwesenheit im Büro. Ergänzt um die Notwendigkeiten der gemeinsamen Präsenz, um z. B. neue Mitarbeitende onzuboarden oder der Auszubildenden bzw. dem Auszubildenden eine nahbare und leicht adressierbare Lerngemeinschaft zu bieten. Eine Gemeinschaft und Bindung zu erzeugen, die eben auch schwierige Zeiten überdauert und Effekte wie Kollegialität, Hilfsbereitschaft bis hin zu echten Freundschaften ermöglicht. Von der Wichtigkeit der sozialen Gemeinschaft »Kollegenkreis und Arbeitgeber« für die Einübung demokratischer Grundwerte einmal ganz abgesehen.
Zwang und Sanktionierung zu Büropräsenz sollten nicht das Mittel der Wahl sein.
Zumal die bestehenden Vorgaben mehrheitlich nicht auf deren Einhaltung überprüft, geschweige denn sanktioniert werden, wie unsere neueste »Connected Work Phase III«-Studie zeigt. Wir nehmen an, dass machtvolle Ankündigungen »von oben« allenfalls Porzellan zerschlagen und im Übrigen auch die Führungskräfte vergraulen, die sie durchsetzen sollen. Viel wichtiger erscheint es, gemeinsam an einer guten Arbeitskultur zu arbeiten, die die Vorteile hybrider Settings umsetzt und dabei alle Beteiligten, Mitarbeitende, Führungskräfte wie Unternehmensleitung in die Pflicht nimmt und dabei selbstverständlich auch die Erkenntnisse moderner Bürogestaltungsprinzipien umsetzt.
Die Arbeitswelt ist ein Spiegelbild gesamtgesellschaftliche Entwicklungen
…auch deshalb halte ich die genannten »Back to Office«-Hauruck-Aktionen für wenig zielführend. Die Hybridisierung der Arbeitswelt ist Teil einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, in der Virtualität, Mediennutzung, digitale Kommunikation und neue Gemeinschaftsformen immer selbstverständlicher werden
Im nächsten Blog werden die Erkenntnisse der bereits mehrfach erwähnten »Connected Work Phase III«-Studie ausführlicher dargestellt.
Leselinks:
- Homeoffice: Fair ist das nicht, Amazon! | ZEIT Arbeit
- Oops, IBM did it again: Zurück ins Office – Marissa Mayer reloaded
- Studie zeigt Chancen und Risiken mobiler Arbeit
- Connected Work Innovation Hub – In Sprints zur Arbeitswelt der Zukunft
- Sozialpartnerstudie mobiles Arbeiten in Zusammenarbeit mit der IGBCE und dem BAVC
- Connected Work Innovation Hub – In Sprints zur Arbeitswelt der Zukunft
Kategorien: New Work / Connected Work
Tags: Amazon, Back-to-Office, ConnectedWork, Homeoffice, mobilework, Präsenz, SAP, Telearbeit, Yahoo
Herzlichen Dank für die wohlüberlegte Einordnung. Beim Thema mobiler und Präsenz-Arbeit scheinen tatsächlich immer wieder dogmatische Glaubensüberzeugungen gegeneinander positioniert zu werden. Dabei ist die Herausforderung in der Praxis, mit den Teams die optimale Balance von mobiler und Präsenzarbeit im jeweils spezifischen Kontext zu finden. Und dann immer wieder zu überprüfen, ob es passt, insbesondere im Zusammenspiel mit Kunden, Lieferanten, internen Schnittstellenpartnern. Hört sich anstrengender an, als eine feste Extremposition dogmatisch top-down durchzusetzen? Klar, gehört aber zu Führung, oder?
Lieber Andreas, danke für Dein Feedback. Ich teile Deine Einschätzungen, insbesondere im Verweis auf die notwendigen Stakeholder, die hier alle zu beteiligen sind, sowie die Tatsache, dass diese Gestaltungsansätze eben immer auch wieder zu überprüfen sind! Die Arbeit nicht nur in, sondern eben auch „an“ der Organisation bleibt ein Dauerthema.