Kommunale Entscheidungstragende stehen heute nicht nur vor der Herausforderung, nachhaltige und resiliente Lösungen für Städte zu entwickeln, sondern auch davor, diese mit Fachwissen, Kooperationsfähigkeit und Innovationskraft in die Praxis zu überführen. Nature-based Solutions (NbS) haben sich dabei als zukunftsweisender Ansatz etabliert, doch ihr Potenzial kann nur dann vollständig ausgeschöpft werden, wenn Fachpersonal über die nötigen Kompetenzen verfügt.
Die kommunalen Mitarbeitenden benötigen dafür das nötige Knowhow, um NbS erfolgreich in städtische Strategien, Projekte und Beteiligungsprozesse zu integrieren. Um dieses Wissen zu erhalten, können Erfahrungen, Selbstreflexion und Peer-to-Peer Austausche hilfreich sein. Der Fokus sollte auf praxisnahen Anwendungsbeispielen, Übungen zur Entscheidungsfindung und Szenarien aus realen kommunalen Herausforderungen liegen. So entsteht ein ganzheitliches Verständnis für die komplexen Wirkungszusammenhänge, in denen NbS verankert sind.
Was sind Stakeholder?
Stakeholder umfassen nicht nur Projektpartner, Auftraggebende oder Bürgerinnen und Bürger, sondern auch weniger sichtbare Gruppen, wie künftige Generationen, lokale Ökosysteme oder Institutionen mit gegensätzlichen Interessen. Gemeinsam haben sie alle, dass sie vom Projekt betroffen sind oder es beeinflussen können. Wichtig zu verstehen ist, dass Stakeholder in erster Linie Menschen sind – mit Emotionen, Bedürfnissen und mitunter irrationalem Verhalten, die Projekte entscheidend prägen. Mehr dazu, was Stakeholder sind, erfährst du in meinem letzten Blogbeitrag »Stadt.Mensch.Natur: Die vergessene Gleichung im urbanen Wandel«.
Stakeholder erkennen, verstehen und priorisieren
Ein zentrales Element ist die Stakeholder-Analyse und -Priorisierung. Denn die erfolgreiche Umsetzung von NbS in kommunalen Kontexten hängt maßgeblich davon ab, wer beteiligt ist, welche Interessen vertreten werden und wie Konflikte moderiert werden können. Sie hilft zu erkennen, wem ein Vorhaben nützt oder schadet und wie sich das auf Akzeptanz und Nachhaltigkeit auswirkt. Durch Priorisierung der Akteurinnen und Akteure können Ressourcen gezielt eingesetzt werden, denn nicht alle Stakeholder sind gleichermaßen relevant für das Projekt.
Im Mittelpunkt steht daher die Frage: Welche Akteurinnen und Akteure beeinflussen – direkt oder indirekt – die Planung und Umsetzung von NbS? Ziel ist es, die soziale Komplexität des urbanen Raums sichtbar zu machen und daraus strategische Beteiligungsansätze abzuleiten.
Am Anfang steht die Identifikation der Stakeholder. Dafür gibt es mehrere Wege. Über Expertengruppen wie Projektteams, Forschungsinstitutionen oder lokale Agenturen können zentrale Akteure benannt werden. Alternativ können sich Stakeholder auch selbst melden, etwa durch öffentliche Aufrufe. Hilfreich ist es ebenfalls bestehende Stakeholder aktiv nach weiteren relevanten Akteuren zu fragen, um auch weniger sichtbare Gruppen zu berücksichtigen.
Nach der Identifikation folgt die Priorisierung. Hier kommen verschiedene methodische Hilfsmittel zum Einsatz. Das Rainbow Diagramm zeigt, welche Gruppen besonders stark betroffen oder besonders einflussreich sind. Die Interessen-Einfluss-Matrix kategorisiert Akteure nach Einfluss und Interesse. Schlüsselakteure werden eng eingebunden, während andere punktuell informiert oder beteiligt werden. Weitere Instrumente wie Akteurs-Linkage-Matrizen oder institutionelle Venn-Diagramme helfen dabei Beziehungen, wie Konflikte, Kooperationen und Überschneidungen zwischen Stakeholdern zu erkennen und transparent zu machen.
Diese Methoden helfen dabei, das Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen, ökologischen und wirtschaftlichen Interessen strukturiert zu erfassen und konkrete Handlungsspielräume sichtbar zu machen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf Kontextsensibilität: Denn politische Strukturen, soziale Gegebenheiten und ökologische Rahmenbedingungen unterscheiden sich von Stadt zu Stadt. Die vermittelten Werkzeuge sollen daher nicht zur schematischen Anwendung führen, sondern zur reflektierten Anpassung befähigen – damit lokal tragfähige und wirksame Nature-based Solutions entstehen können.
Die Analyse differenziert dann Beziehungen, Interessen und Einflussmöglichkeiten noch genauer. Aufwändigere Methoden wie Wissensnetzanalyse können eingesetzt werden, um Beziehungsgeflechte oder Strukturen des (gemeinsamen) Wissens sichtbar zu machen. Diese Analysen helfen über rein formale Strukturen hinauszublicken und blinde Flecken in der Projektumsetzung zu vermeiden.
Wie das konkret aussieht, zeigen etwa die Projekte zur Implementierung von Nature-based Solutions in Aarhus und Tallinn. Dort werden nicht nur die Verwaltung und Unternehmen eingebunden, sondern auch Umweltorganisationen, interessierte Bürgerinnen und Bürger und externe Planungsbüros. Jede dieser Gruppen bringt unterschiedliche Perspektiven, Bedürfnisse und Einflussmöglichkeiten mit. Ein strukturierter Ansatz stellt sicher, dass diese Vielfalt sichtbar wird und verschiedene Gruppen gezielt einbezogen, informiert oder in Entscheidungsprozesse integriert werden.
Zukunft gestalten braucht neue Kompetenzen
NbS versprechen viel, doch ihr Erfolg hängt entscheidend davon ab, wie sie geplant, umgesetzt und begleitet werden. Kommunale Fachkräfte sind die Schlüsselpersonen für diesen Wandel. Ihre Weiterbildung ist daher kein »Nice-to-have«, sondern eine Notwendigkeit. Wer Stakeholder-Analyse und -Priorisierung ernst nimmt, plant nicht nur effektiver, sondern vermeidet spätere Konflikte, fördert Zusammenarbeit und schafft die Basis für nachhaltigen Erfolg – weit über die eigentliche Projektlaufzeit hinaus. Sie ist der notwendige erste Schritt für jedes professionelle Beteiligungsmanagement, auf das sich weitere Strategien und Methoden aufbauen lassen. Empfehlenswert ist es, Methoden wie die Interessen-Einfluss-Matrix immer mit regelmäßigen Feedbackrunden im Projekt zu verbinden. So bleibt Stakeholder-Engagement dynamisch und wirksam.
Durch Projekte wie URBREATH wird nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch ein gemeinsames Verständnis für nachhaltige Stadtentwicklung geschaffen. So wird der Weg von der Theorie in die Praxis geebnet und eine grünere, gerechtere und resilientere urbane Zukunft möglich gemacht.
Leselinks:
Kategorien: Nachhaltigkeit, Stadtentwicklung
Tags: Interessensgruppen, Klimaanpassung, Nachhaltige Entwicklung, Nature-based Solutions
Hinterlasse einen Kommentar