Ende August hält Hurrikan Harvey die Texaner und ihren Katastrophenschutz in Atem. Windgeschwindigkeiten von bis zu 210km/h, Niederschläge bis zu 400 Liter pro Quadratmeter, überflutete Häuser und Straßen, gesperrte Flughäfen und unterbrochene Stromversorgung für Hunderttausende: in seiner Einflugschneise sorgt Harvey für gewaltige Verwüstung und gefährdet Gesundheit und Wohlergehen der Bevölkerung. Besonders hart betroffen: die Armen und vulnerablen Gruppen der Gesellschaft, wie ein Spiegel Online-Artikel illustriert.

Zusammenbruch der Infrastruktur in Deutschland? Niemals!

Nun liegt Deutschland nicht in einem Hurrikan-Gebiet, die Schere zwischen Arm und Reich geht bei uns nicht so weit auseinander und die soziale Absicherung ist besser. Doch auch hierzulande werden Extremwetterereignisse in Folge des Klimawandels häufiger – man denke nur an das Unwetter in Berlin im Juni 2017, das Straßen und U-Bahnen überflutete und Teile der Hauptstadt lahmlegte, an die schweren Überschwemmungen im baden-württembergischen Braunsbach 2016 oder an den Münsterländer Schneesturm mit mehrtägigem Stromausfall im Jahr 2005. Auch hierzulande trifft es vulnerable Gruppen wie beispielsweise Kranke und Pflegebedürftige, die bereits im Alltag auf Hilfe angewiesen sind, besonders hart.

Wenn doch: wer hilft den Pflegebedürftigen?

Anfang des Jahres haben wir skizziert, welche Folgen es hat, wenn die Infrastruktur zusammenbricht. Wir haben aufgezeigt, dass der Katastrophenschutz die spezifischen Bedarfe z. B. von Hilfe- und Pflegebedürftigen, die zu Hause leben, nicht immer decken kann. Einerseits sind die Betroffenen und ihre Bedarfe den Behörden in der Regel nicht bekannt, da keine gesammelten Informationen an einem zentralen Ort vorliegen (und aus verschiedenen Gründen auch nicht vorliegen sollen). Andererseits sind die Kapazitäten der Behörden mit der Aufrechterhaltung der eigenen Leistungs- und Arbeitsfähigkeit, der Wiederherstellung der Infrastruktur sowie mit der Versorgung der allgemeinen Bevölkerung mehr als ausgeschöpft.

Schwarm trifft Struktur: Versorgung sicherstellen durch Kooperation

Doch was können wir tun, um die Versorgung von Hilfe- und Pflegbedürftigen, die zu Hause leben, in einer solchen Schadenslage sicherzustellen? Das Forschungsprojekt KOPHIS geht dieser Frage nach und erkennt, dass folgende vier Punkte besonders wichtig sind:

1. Sensibilisieren

Der Katastrophenschutz (und insbesondere der Betreuungsdienst), die kommunale Sozialverwaltung (und hier insbesondere die Pflegeberatung), die ambulanten Pflegedienste, die Politik und die Öffentlichkeit müssen für die Herausforderung der Versorgung von Hilfe- und Pflegebedürftigen in Schadenslagen sensibilisiert werden. Denn nur wer weiß, welche Gefahren bestehen, kann sich vorbereiten und Lösungen schaffen.

2. Bedarfe antizipieren

Unser Pflegeexperte, Stefan Strunck, hat in KOPHIS vier Typen von Hilfe- und Pflegebedürftigen abgeleitet. In dieser Typologie wird der Grad des Unterstützungsbedarfs in der Schadenslage je nach Vernetzung der Person im Sozialraum (viele Kontakte / wenige Kontakte) sowie des Pflegebedarfs (hoch / niedrig) eingeschätzt. Demnach sind Betroffene, die einen hohen Pflegebedarf und nur wenig Unterstützung im sozialen Nahraum haben, besonders auf die Hilfe der Behörden angewiesen. Maßnahmen und Strategien des Katastrophenschutzes, die die ambulante Versorgung von Hilfe- und Pflegebedürftigen zum Ziel haben, sollten daher diese Gruppe in besonderem Maße berücksichtigen.

3. Ressourcen systematisch bündeln

Damit die Versorgung von Hilfe- und Pflegebedürftigen gelingen kann, muss der Katastrophenschutz intensiv mit den ambulanten Pflegediensten und den Akteuren des Sozialraums (Nachbarschaftsinitiativen, Selbsthilfegruppen, ehrenamtliche Vereinigungen, Kirchengemeinden etc.) zusammenarbeiten. Diese beiden Bereiche – Katastrophenschutz auf der einen Seite, Pflege und Sozialraum auf der anderen Seite – haben im Alltag jedoch kaum Berührungspunkte. In KOPHIS haben wir deshalb einen Prozess entwickelt, der die Zusammenarbeit erleichtern soll: Wenn der Katastrophenschutz in Form des Betreuungsdienstes den Kontakt zur kommunalen Sozialverwaltung (und hier vor allem zur kommunalen Pflegeberatung) aufnimmt, kann diese die Kontakte zur ambulanten Pflege sowie zu den verschiedenen Akteuren im sozialen Nahraum der betroffenen Region aktivieren, die ihrerseits in direktem Kontakt mit den Betroffenen stehen. Der hierarchisch strukturierte Katastrophenschutz wird dadurch um die Netzwerk-Ressourcen der Pflege ergänzt und das Vorgehen koordiniert. Schwarm trifft Struktur. Das macht die Versorgung möglich.

4. Vorbereitet sein

Katastrophenschutzpläne und Übungen sollten die Bedarfe von vulnerablen Gruppen systematisch berücksichtigen. Die Rahmenempfehlung Stromausfall des Hessischen Innenministeriums geht hier mit gutem Beispiel voran. Aus unserer Untersuchungsregion in Hessen wissen wir, dass es Landkreise gibt, die bei ihren Katastrophenschutzübungen die Sozialverwaltung mit einbeziehen.

Deutlich wird: Durch Vorbereitung und Kooperation bewältigt man auch die härteste Krise. Damit die Kooperation gelingen kann, etablieren sich im Idealfall bereits im Alltag tragfähige Netzwerke zwischen Katastrophenschutz, kommunaler Sozialverwaltung und Pflege.

Vertreterinnen und Vertreter dieser Akteursgruppen sowie die interessierte Fachöffentlichkeit laden wir am 23. November 2017 zu einem Workshop nach Hofheim ein. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten wollen wir die Erkenntnisse aus KOPHIS diskutieren, Maßnahmen weiterentwickeln und die verschiedenen Bereiche einander näherbringen.

Möchten auch Sie die Netzwerke in Ihrer Kommune intensivieren und Maßnahmen zur Versorgung von Hilfe- und Pflegebedürftigen in Ihrer Region entwickeln? Dann kontaktieren Sie uns. Wir beraten Sie gerne.

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Veronika Prochazka

Veronika Prochazka hat das Institut 2023 verlassen.

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