Weiterhin hält die Corona-Pandemie die Welt in Atem und rüttelt dabei kräftig an den Grundfesten unseres Wirtschaftssystems. Mit Milliardeninvestitionen – nicht zuletzt in Forschung und Innovation – versuchen Bund und Europäische Union, Schadensbegrenzung zu betreiben. Allein das kann angesichts massiver gesellschaftlicher Herausforderungen – ob mit oder ohne COVID-19 – jedoch kaum zufriedenstellend. Statt der Rückkehr zum alten Status Quo oder einer Einrichtung im neuen Normalzustand ist »Build Back Better!« die Losung der Stunde und schließt damit an bestehende Initiativen wie den European Green Deal der Europäischen Kommission an. Dieser fordert das Net Carbon Zero bis 2050, eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcennutzung und postuliert dabei auch noch den Anspruch niemanden – weder Mensch noch Region – zurückzulassen. Wie soll das gehen?

Jahrzehnt(e) der ‚Grand Challenges‘

Es mangelt nicht an Herausforderungen, an sogenannten Grand Challenges, und selbst den größten Wachstumsverfechtern dürfte mittlerweile klar sein: Eine allein auf Kommerzialisierung ausgerichtete Forschungs- und Innovationspolitik ist nicht nur nicht zukunftsfähig, sondern geradezu zukunftsfeindlich. Stattdessen schlägt die Stunde der Missionsorientierung. Um es mit Mariana Mazzucato auszudrücken: Der Erfolg von Innovationen im 21. Jahrhundert bemisst sich nicht länger ausschließlich an deren Geschwindigkeit und Schlagzahl, sondern vielmehr an ihrer Richtung. Oder anders gesagt: ihrer Fähigkeit, Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit zu liefern. Leben lebenswert zu machen – in der Stadt wie auf dem Land. Arbeit menschenfreundlich zu gestalten – trotz oder gerade dank fortschreitender Automatisierung. Fortschritt auch jenseits von Europa zu ermöglichen – ohne das planetare Gleichgewicht dabei vollends aus den Fugen geraten zu lassen.

Ökosysteme strategisch gestalten

So systemisch und drängend die Probleme sind, so komplex ist auch das Geflecht der an der Lösungsentwicklung Beteiligten. Längst sind die bilateralen, linearen Modelle der Nachkriegszeit passé. Doch wie gelingt die so zwingend notwendige sektorenübergreifende Zusammenarbeit – von Industrie und Forschung bis hin zu Politik und Gesellschaft – in komplexen Innovationsprozessen tatsächlich? Und wie können solche Ökosysteme strategisch gestaltet werden?

Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des zweieinhalbjährigen, BMBF-geförderten Projekts Open Innovation Ecosystems, das im Mai 2020 am Center for Responsible Research and Innovation (CeRRI) des Fraunhofer IAO an den Start ging. Erste Ergebnisse einer systematischen Literaturanalyse im Forschungsfeld belegen dabei: Die Art der Missionsorientierung – insbesondere die avisierte Nachhaltigkeitsdimension sowie die Ebene des Lösungsansatzes – ist entscheidend für die Strategie des jeweiligen Innovationsökosystems. Biologisch abbaubares Verpackungsmaterial oder neues Konzept für Wohnen im Alter? Effizienter Elektromotor oder Neuauflage des Mobilitätssystems? Die »Nachhaltigkeitsrevolution« im Großen – ob in sozialer, ökonomischer, oder ökologischer Hinsicht – wird getragen vom Wandel im Kleinen, von einzelnen Produktinnovationen und der schrittweisen Restrukturierung gesellschaftlicher Subsysteme. Je nach Zieldimension und Lösungsebene lassen sich demnach sechs Typen missionsorientierter Innovationsökosystemen identifizieren (siehe Abbildung 1: Typen missionsorientierter Innovationsökosysteme), deren Erfolgsstrategien sich mit Blick auf die beteiligten Akteure, Rollen, Governance-Modi und Kollaborationsformate teils deutlich unterscheiden.

Typen missionsorientierter Innovationsökosysteme
Typen missionsorientierter Innovationsökosysteme

 

Das Innovation Ecosystem Strategy Tool des CeRRI kann hier einen ersten Überblick verschaffen.

Der Staat zurück im Innovationsgeschehen

Während lange Zeit nahezu ausschließlich privatwirtschaftliche Akteurinnen und Akteure im Fokus des Innovationsdiskurses standen, ist es heute vermehrt der öffentliche Sektor, der vor dem Hintergrund der verstärkten Missionsorientierung eine zentrale Rolle einnimmt. Jenseits seiner regulatorischen und risikomindernden Funktion tritt der Staat dabei insbesondere im Kontext systemischer Veränderungen auch proaktiv auf, gestaltet und orchestriert Innovationsökosysteme im Sinne übergeordneter Policy Ziele. Klar ist aber auch: Kein Systemwandel ohne gesellschaftliche Rückendeckung. Ungeachtet des enormen politischen Steuerungspotenzials gewinnt der frühzeitige Einbezug relevanter gesellschaftlicher Stakeholder im Kontext missionsorientierter Innovationspolitik deshalb abermals an Bedeutung. Für die erfolgreiche Implementation missionsorientierter Politik in Innovationsökosystemen bedarf es daher dreierlei:

1. Ein neues politisches (Selbst-) Bewusstsein. Politik muss ihr transformatives Potenzial mit Blick auf systemischen, innovationsbasierten Wandel erkennen und aktiv einfordern, ohne dabei die Trennung wissenschaftlicher und politischer Interessen aufzuweichen. Dazu bedarf es nicht zuletzt neuer Kollaborationsformate, die politische Stakeholder jenseits ihrer regulatorischen, risikomindernden Funktion in Innovationsprozesse einbeziehen und vorhandene Wissensbestände nutzbar machen.

2. Ein Zusammenspiel technologischer und sozialer Innovationen. Sowohl private als auch öffentliche Akteurinnen und Akteure müssen auf einen breiten gesellschaftlichen Einbezug hinwirken. Nicht zuletzt, da technologiebasierte Innovationen mit sozialen, d.h. verhaltensbasierten und organisationalen Innovationen einhergehen müssen, um den größtmöglichen Impact zu erzielen.

3. Eine Wissenschaftsgemeinschaft als Brückenbauer. Die Auflösung linearer Innovationsprozesse stellt Forschungsorganisationen vor große Herausforderungen. Im Rahmen missionsorientierter Innovationsvorhaben sind sie zukünftig nicht nur gefordert, disziplinäres Expert*innenwissen bereitzustellen, sondern in der Co-Produktion und Co-Evolution von akademischem und außerwissenschaftlichem Wissen die Rolle des Mediators und Interaktionsenablers zu übernehmen.

Die Bewältigung der Corona-Pandemie ist nur ein weiterer Punkt auf einer langen Liste der sozialen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen, mit denen sich die verschiedenen Beteiligten des Innovationsgeschehens konfrontiert sehen. Die Entwicklung passgenauer Strategien zur kollaborativen Zusammenarbeit ist dabei der erste, entscheidende Schritt auf dem Weg zum nachhaltigen Innovationserfolg. Als erste Handreichung kann hier das Innovation Ecosystem Strategy Tool dienen – für alle weiteren Fragen steht Malte Jütting für das Team Innovation Ecosystem Strategies gerne jederzeit als Ansprechperson zur Verfügung.

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