First-Science-KIT: IAO-Blogreihe zum Corona Krisenmanagement
First-Science-KIT: Blogreihe zum Corona Krisenmanagement
Die Coronakrise fordert von uns allen ganz neue Herangehensweisen und Lösungen im beruflichen Miteinander. Das Fraunhofer IAO hat deshalb eine Blogreihe gestartet, mit der wir schnell anwendbare Praxistipps weitergeben, gut funktionierende Beispiele vorstellen und Lösungswege während und aus der Krise aufzeigen wollen.

»Who led the digital transformation of your company? Your CDO? Your CEO? Corona!«
Erschöpfung. Das ist das überwiegende Bild, das sich mir zur Zeit in vielen Workshops und Gesprächen mit Kunden unterschiedlichster Branchen und Unternehmensgrößen zeigt. Zu viele Videokonferenzen, zu wenig privater Ausgleich. Immer neue große und kleine Krisen. Einschränkungen. Umwege. Neue Workarounds im Angesicht immer schärfer werdender Kontaktbeschränkungen. Weihnachten war eine kurze Pause, aber leider biegen wir nicht direkt ein in eine Straße zu mehr Tageslicht und Normalisierungen des täglichen Lebens. Nein, so wie es aussieht, haben wir nochmal mindestens drei Monate vor uns, die uns viel an Durchhaltevermögen abverlangen werden.

Wenn heute gestern wäre: Gelerntes und Chancen erkennen und nutzen

Im Folgenden ein paar Ideen dazu, wie man diese Zeit unter veränderten Perspektiven interpretieren und nutzen könnte. Natürlich vorbehaltlich der Voraussetzung, dass die pure wirtschaftliche Überlebensfähigkeit gesichert ist. Selbstverständlich nehmen auch wir wahr, dass es in nicht wenigen Unternehmen und Organisationen auch um ganz existenzielle Fragen der Liquidität, des Umsatzes und der Sicherung der Geschäftsfähigkeit geht, die unbedingt prioritär bearbeitet werden müssen. Für all die, die trotz Corona dennoch – oft mit Mühen und Einschränkungen, aber mit ordentlichen Zukunftsprognosen – weiterarbeiten, im folgenden einige Anstöße zu einem Blickwechsel, der die Zukunft in den Blick nimmt.

Es kann viel Kraft darin liegen, die kommenden Einschränkungen als Reflektions- und Trainingsphase für eine nachhaltige Zukunft zu interpretieren. Die Blickrichtung zu ändern ermöglicht es, kommende Einschränkungen besser zu überstehen und ihnen eventuell – im Sinne eines Trainings – sogar etwas abzugewinnen. Ein Re-Framing vorzunehmen.

Wir denken über eine Reihe von Themen nach:

Nachhaltigkeit zum Thema handlungsleitender Relevanz machen.

Neben der größflächigen Verlagerung von Arbeitsplätzen nachhause haben wir Virtualisierung auch über die weitgehende Reduktion und Substitution von Geschäftsreisen als handlungsleitend erlebt. Videokonferenzen statt Meeting-Kurztrips waren und sind das Gebot der Stunde. Nein, nicht alles lässt sich hier genauso einfach abwickeln. Gerade kritische Gespräche, harte Vertragsverhandlungen, erste Anbahnungen brauchen persönlichen Vertrauensaufbau, der über die Leitung zumindest nur schwierig zu erreichen ist. Dennoch: nie waren die Zeiten besser, Richtlinien zur Nutzung von Flugreisen zu überarbeiten, über andere Mobilitäts- und Pendlerkonzepte nachzudenken, oder den Fuhrpark neu auszurichten. Die Klimakrise ist nicht verschwunden – im Gegenteil. Nutzen Sie die Erfahrungen für ein dauerhaftes Konzept, das auch Anreize für nachhaltige Geschäftsreisen neu justiert.

Reflektieren, was wir über Selbstorganisation und Führung gelernt haben

Der allergrößte Teil Ihrer Mitarbeitenden hat vollen Einsatz gezeigt und bewiesen, dass auch jenseits der engeren Präsenz- und Kontrollmechanismen physischer Co-Lokation Arbeit und Verantwortungsübernahme funktionieren. Sie arbeiten produktiv und verantwortungsorientiert, das hat auch unsere jüngste Befragung von HR-Verantwortlichen im November 2020 erneut gezeigt (siehe Leselinks). Was folgern Sie daraus für Ihre Konzepte von Führung, Selbstführung, Teamorganisation und Verantwortungszuordnung? Passt Ihr bestehendes Rollenbild der Führungskräfte noch? Eventuell wäre es jetzt an der Zeit, dauerhafter über neue Formen der Teamorganisation mit mehr Autonomie konkret nachzudenken. Dabei gleichzeitig aber auch zur Kenntnis zu nehmen, wie wichtig Führung gerade in Krisenzeiten in der Funktion als Informations- und Kommunikationsdrehscheibe, als Anker und Orientierung, als Mutmacher und Signalgeber ist – gerade in den kommenden Monaten! Ein guter Anlass, über bestehende Rollenkonzepte, zugeschriebene Kompetenzen und Auswahlkriterien für die Führungskräfte von morgen nachzudenken.

Über die Vermischung von Arbeit und Privatleben der Beschäftigten nachdenken

– und die Frage, was sich nach wem zu richten hat. Die gelebte Ortsflexibilisierung durch Corona hat zwangsläufig zu einer stärkeren Entgrenzung geführt, mit allen dazu gehörigen Vor- und Nachteilen. Wenn wir davon ausgehen, dass wir auch nach der pandemiebedingten Ausnahmesituation ein weit größeres Maß ortsmobiler Arbeit sehen werden als vor März 2020, und das kann man auf Basis einer Vielzahl aktueller Studien tun (siehe Leselinks), dann ist es nur folgerichtig, über die selbstverantwortete und gleichzeitig teambezogene Individualisierung von Arbeitszeiten nachzudenken, wo dies produktionsseitig möglich ist. Aber auch darüber, ob nicht in Zukunft auch andere Formen der Integration von Mitarbeitenden möglich sind, die eine höhere flexiblitäts- und Talentreserve bedeuten können. Was mich unmittelbar zum nächsten Punkt führt.

Entkopplung von Wohn- und Arbeitsorten systematisch als Chance durchdeklinieren

Was bisher, vor allem bei Aufenthaltsorten im Ausland, primär als arbeitsrechtlicher Problemfall durchdekliniert wird, sollte zumindest für einige Beschäftigtengruppen in seinen Rekrutierungspotenzialen betrachtet werden. Man könnte die Erfahrungen der großflächigen Realisierung virtueller Arbeitsformen zum Anlass nehmen, einmal grundständig über die Bedeutung von Wohnorten, Arbeitsorten und die Priorisierung des einen über das andere nachzudenken. Hier haben wir pandemiebedingt ganz neue Konzepte erleben können. So berichtete die Süddeutsche Zeitung vor einer Woche in der Samstagausgabe über »Southworking« als Weiterführung des Co-Working: am Beispiel von Italien, wo eine größere Gruppe Arbeitnehmender aus norditalienischen Firmen aufgrund der Krise und der ungleich verteilten Inzidenzen in die süditalienische Heimat (zurück-)gezogen sind und einen Großteil ihrer Arbeitszeit dort verbringen. Und die dies nun verstetigen wollen. »South Working will….dafür sorgen…dass die Rückkehr keine Utopie aus dem Lockdown bleibt« (siehe Leselinks). Es muss ja nicht gleich Palermo sein. Aber es könnte für die Firma in der norddeutschen Tiefebene eine andere Perspektive im Kampf um die Talente mit Wohnsitz in München eröffnen, die sich bisher keinen Wohnortwechsel zum Arbeitgeber hin vorstellen können. Bestimmte Kompetenzträger wie spezifische IT-Fachleute werden auch in Zukunft ausgesprochen gefragt sein.

Persönliche Begegnung wertschätzend rahmen

Gerade das große Maß an Virtualität hat deutlich aufgezeigt, wieviel Bedeutung persönliche Begegnung im geschäftlichen Kontext hat, nämlich als Rahmen von Vertraulichkeit, Kennenlernen, Kreativität. Die Möglichkeiten und Grenzen der Virtualität für dies Interaktionsziele und -formate wird intensiv debattiert. Die Kehrseite des Ganzen ist die Erkenntnis, wie wichtig diese Möglichkeitsräume tatsächlich sind. Nur logisch, sie dann auch sehr bewusst zu gestalten und wahrzunehmen. Für erfolgreiche Konzepte von Arbeits- und Büroumgebungen ist es daher für die Zukunft wesentlich, eine differenzierte Perspektive auf Arbeitssituationen einzunehmen und Aktivitäten-basiert festzulegen, wie diese räumlich gerahmt werden könnten.

Die Stärken der erlebten Unternehmenskultur analysieren und überholte Rituale überdenken

Ich möchte auch gern anregen, sich explizit mit der gelebten Unternehmenskultur auseinanderzusetzen. Was hat uns gut durch diese Krise getragen? Was wurde stillschweigend weggelassen? Welche neuen Kommunikationsroutinen, Netzwerke, Kommunikationsknotenpunkte haben sich manifestiert und bewährt? Welche Artefakte sind obsolet, welche neuen sind dazu gekommen?

Den Weg zum New Normal auf Basis von New Work-Prinzipien strukturiert und vorausschauend gestalten

New Work ist im letzten Jahr vom Wohlfühlthema für ausgewählte Mitarbeitendengruppen pandemiebedingt zum wesentlichen Baustein unserer Krisenbewältigung geworden. Mobile Arbeit, ein Mehr an Selbstverantwortung und Dezentralität, agilere Prozesse und kurzfristigere Problemlösungsansätze waren das Gebot der Stunde und gehören zu den Kernelementen dessen, was unter dem neuen Leitbegriff des »New Normal« subsumiert wird. Eine aktuelle Studie von haufe und Metaplan thematisiert diesen Zusammenhang mit der These, dass New Work daher »tot« sei. Sinngemäß deshalb, da »in place«, und zudem angesichts der natürlich vorhandenen teilweise existenziellen Krisen von Unternehmen eine vermeintliche Luxusdiskussion (siehe Leselinks). Meine Meinung dazu ist: Die Prinzipien haben sich bewährt, werden nun aber in einem wettbewerbs- wie arbeitsmarktseitig deutlich angespannteren Kontext eingesetzt und diskutiert. Die Assoziation mit vorkrisenhaften Begriffsverwendungen sollte allerdings nicht den Blick darauf verstellen, dass die erwähnten Prinzipien von New Work mehr denn je ihre Berechtigung haben. In unserer Entwicklungswerkstatt »New Work« bieten wir Unternehmen ein ganzheitliches Lösungskonzept mit interaktiven Tiefenworkshops und konkreten Hilfestellungen, Tipps sowie Tricks zu wichtigen Gestaltungsfeldern im Kontext »New Work«. Teilnehmende können vorab durch den »New Work Quick Check« herausfinden, in welchem der Gestaltungsfelder Optimierungsbedarf besteht und haben so die Möglichkeit, ihr Lernerlebnis selbst zu gestalten.

Zu guter Letzt: Wir brauchen Daten

Die hochaktuellen Diskussionen um Ansteckungszahlen, Homeoffice-Quoten haben erneut gezeigt, dass offensichtlich relevante Daten der Arbeitswelt bisher in Deutschland nur unzureichend erhoben werden. Wir glauben, dass es mit Blick auf die weitgehenden Verschiebungen der Arbeitswelt, auch stark getriggert durch die Pandemie, wesentlich wäre, über eine kontinuierliche, erweiterte Form der Berichterstattung und empirischen Unterlegung relevanter Trends der Arbeitsgesellschaft nachzudenken und zusätzliche Gestaltungsparameter wie z.B. Homeoffice-Quoten regelmäßig zu messen. Wir haben uns als IAO vorgenommen, die im letzten Jahr gut nachgefragten empirischen Datenerhebungen zu verstetigen und hierzu einen Beitrag zu leisten. Wenn Sie als Unternehmen daran ebenfalls Interesse haben, freue ich mich über Ihre Kontaktaufnahme!

Leselinks:

Josephine Hofmann

Leitet das Team »Zusammenarbeit und Führung« und forscht zum Thema Führungskonzepte und flexible Arbeitsformen. Bloggt am liebsten im Zug und nach inspirierenden Veranstaltungen und Begegnungen.

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Kategorien: New Work / Connected Work
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