Erneuerbare Energiequellen wie Windkraft, Wasserkraft oder Photovoltaik machen inzwischen rund 41 Prozent unseres Energieverbrauchs aus – Tendenz: Jahr für Jahr steigend. Die positive Wirkung auf Klima und Umwelt ist unbestritten, doch noch haben erneuerbare Energien einen entscheidenden Makel, der ihren Einsatz derzeit noch erschwert: Erneuerbare Energien können höhere Schwankungen im Stromnetz verursachen, da ihre Verfügbarkeit nicht stetig ist. Abhilfe schafft der Primärregelungsmarkt, welcher für einen schnellen Ausgleich der Stabilität des Stromnetzes verantwortlich ist. Jedoch wäre es von Vorteil, Energie für den schnellen Abruf zu speichern. Batteriespeicher von Elektrofahrzeugen können hier zu einer systemischen Lösung dieses Grundproblems der Energiewende werden. Sie können überschüssige Energien von erneuerbaren Energiequellen in kurzer Zeit speichern und bei Energiebedarf diese gespeicherte Energie wieder liefern.

Elektroautos als rollender Energiespeicher?

Je nach Modell besitzen Elektroautos eine große Batterie von 15 kWh bis 100 kWh, die auch für einen halben Tag je nach Batteriegröße ein Haus betreiben könnten. Somit sind Elektrofahrzeuge »rollende« Energiespeicher, die für das Zwischenspeichern von überschüssiger Energie herangenommen werden können und bei Bedarf Energie wieder abgeben können. In Anbetracht des starken Wachstums der zugelassenen Elektrofahrzeuge in Deutschland mit einem Anstieg von über 60 Prozent gegenüber dem Jahr 2019 auf über 238.000 Elektrofahrzeuge (inklusive Plug-in-Hybrid) könnten Elektrofahrzeuge tatsächlich als smarte Speicherlösung genutzt werden. Natürlich sind an eine solche Nutzung der Elektrofahrzeuge wesentliche Bedingungen geknüpft:

Bedingung 1 – Verfügbarkeit: Die Elektrofahrzeuge müssen verfügbar und an der Ladestation angeschlossen sein. Die Verfügbarkeit hängt jedoch auch von der individuellen Nutzung ab. Pendler*innen oder eher Homeoffice-Beschäftigte haben ein sehr unterschiedliches Nutzungsprofil ihres Fahrzeugs, was sich direkt auf die Verfügbarkeit des Elektrofahrzeugs als Speichermedium auswirkt.

Bedingung 2 – Technologie: Bisher sind die Elektrofahrzeuge und Ladesäulen für das Aufladen konzipiert. Wenn auch das Entladen als unkomplizierte Standardfunktion möglich werden soll, braucht es eine andere Technologie. Hier ist die bidirektionale Technologie in der Erforschung, die sowohl das Aufladen- und das Entladen ermöglicht. Allerdings braucht es noch eine Weile, bis es eine adäquate Auswahl an Ladestationen und Elektrofahrzeuge auf dem Markt geben wird, die bidirektionales Laden ermöglicht.

Bedingung 3 – Anreiz bei den Verbraucher*innen: Die Umstellung auf bidirektionale Systeme bedeutet auch für die Verbraucher*innen zunächst einmal eine Investition, also eine potenzielle Hürde bei der Einführung. Wenn die Umstellung flächenhaft gefördert werden soll, können Incentivierungen helfen, wie sie heute schon in Form von finanziellen Anreizen und anderen Mehrwerten bei der Förderung von Photovoltaik-Anlagen eingesetzt werden.

Ein Forschungsprojekt, dass die Nutzung von Elektrofahrzeugen als Speichermedien untersucht, ist das Forschungsprojekt »i-rEzEPT«. i-rEzEPT steht für »Intelligente Rückspeisefähige Elektrofahrzeuge zur Eigenstrommaximierung und Primärregelleistungsmarkt-Teilnahme«. Ins Leben gerufen wurde das Projekt von Nissan gemeinsam mit Bosch Software Innovations und den Fraunhofer-Instituten IAO und IFAM. Es wird vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Rahmen der Förderrichtlinie Elektromobilität mit insgesamt 2,39 Millionen Euro unterstützt. Das Projekt soll zum einen mittels eines Feldtests aufzeigen, dass Elektromobilität sowohl mit Stromnetzen, als auch mit Immobilien (z.B. Einfamilien-, oder Mehrfamilienhaus) unabhängig voneinander gekoppelt werden kann. Zum anderen soll es dazu dienen, die Investitions- und Betriebskosten von Elektrofahrzeugen und Ladeinfrastruktur durch die Erprobung von neuen Geschäftsmodellen zu reduzieren.

Fazit: Symbiose zwischen E-Autos und Energiewende

Die Energiewende und das Elektroauto stehen nicht nur in keinem Widerspruch: Sie könnten ein geradezu symbiotisches Verhältnis eingehen und sich gegenseitig fördern, wenn die bidirektionale Nutzung ihrer Batterien immer weiter etabliert und gefördert wird. In diesem Szenario könnten Elektrofahrzeuge zum entscheidenden Instrument werden, um einen wesentlichen Beitrag zu leisten, den volatilen Strommarkt in Balance zu halten. Das Elektroauto bietet somit also ein großes Potenzial und könnte zum Meilenstein für die Energiewende werden!

Die Chance für die »rollenden« Energiespeicher in Bezug auf die immer weiterwachsenden erneuerbaren Energien kann jedoch nur realisiert werden, wenn es gelingt, die Elektromobilität – einschließlich des Ausbaus der Ladeinfrastruktur – flächendeckend einzuführen. Für diese neue Aufgabe der Elektrofahrzeuge muss ein öffentliches Bewusstsein zu den Möglichkeiten und Vorzügen von Elektromobilität als Energiespeicher geschaffen werden. Wissenschaftliche, technologische und wirtschaftliche Akteure sollten den ökonomischen Nutzen im Sinne der Verbraucher*innen transparent darstellen – denn am Ende werden die Verbraucher*innen darüber entscheiden, ob sie in die Elektromobilität investieren. So kann es schlussendlich gelingen, ein flächendeckendes bidirektionales Speichersystem aufzubauen.

Leselinks:

Andreas Freymann

Studierter Wirtschaftsinformatiker und Projektleiter am Fraunhofer IAO. Das große Interesse liegt im Gebiet neuer Technologien, Entwicklungen und Trends in den Bereichen der Informatik, Daten und Mobilität. Andreas bloggt am liebsten über aktuelle Themen von seiner Arbeit. In der Freizeit beschäftigt er sich mit der Astronomie, tanzt für sein Leben gern, spielt Klavier und komponiert, fotografiert gern und ist viel unterwegs.

Autorenprofil - Twitter - Xing - LinkedIn



Kategorien: Digitalisierung, Future Mobility, Stadtentwicklung
Tags: , ,