Für viele skeptische Kundinnen und Kunden sind Hürden beim Ladevorgang an sich ein wichtiger Grund gegen die Anschaffung und Nutzung von Elektrofahrzeugen. Auf Seiten der Hersteller und Betreiber von Ladeinfrastruktur gibt es einen guten Überblick über technische Ursachen von nicht erfolgreich verlaufenden Ladevorgängen – allerdings entspricht die technische Ursache nicht immer den von Nutzenden wahrgenommenen Problemen beim Laden. Wenn die Elektromobilität in naher Zukunft wirklich zu einer tragenden Säule unseres Verkehrs werden soll, müssen die latenten Bedürfnisse der Nutzenden und Störfaktoren identifiziert werden, um schnelle und erfolgreiche Ladevorgänge in Zukunft zuverlässiger zu ermöglichen.
Zu wenig Informationen von Nutzerseite
Um dieses Ziel zu erreichen, forschen wir in unserem Projekt »Wirkkette Laden« gemeinsam mit Fahrzeugherstellern, Ladesäulenherstellern und -betreibern sowie Energienetzbetreibern am optimalen Ladevorgang und kombinieren hierfür unterschiedliche Perspektiven (siehe Abbildung 1): Auf der einen Seite wird das technische System betrachtet und es findet eine Analyse der technischen Fehlermeldungen in den Backend-Systemen der Betreiber statt. Hierzu gibt es bereits eine Vielzahl von Daten. Auf der anderen Seite fehlen jedoch vergleichbare Informationen von Seiten der Nutzenden. Deshalb wird z.B. im Rahmen von Reallaborversuchen das Verhalten unerfahrener Nutzerinnen und Nutzer beobachtet und untersucht, um mögliche Schwierigkeiten und Fehlerursachen auf Seiten der Nutzenden zu identifizieren (siehe Blogbeitrag »Einfach Laden (1)« in den Leselinks).
Kommentare von Nutzenden als weitere Quelle für Erkenntnisse
Neben diesen Ansätzen der direkten Interaktion mit Probandinnen und Probanden wurden im Projekt tausende Online-Kommentare von Nutzenden automatisiert mit Hilfe von KI ausgewertet. Ziel war es, hierbei neue Aspekte zu identifizieren, die bislang nicht auf der Agenda standen. Dafür wurden Kommentare von Nutzenden der Plattform GoingElectric zu erfolgreich und nicht erfolgreich verlaufenden Ladevorgängen analysiert.
Um diese große Anzahl an Kommentaren analysieren zu können, wurde Künstliche Intelligenz (KI), genauer gesagt der Teilbereich des Natural Language Processing, eingesetzt. Wir haben im Rahmen des Forschungsprojekts insbesondere auf sogenannte subsymbolische lernende Ansätze zurückgegriffen. Die subsymbolische KI ist in der Lage, aus Erfahrungen und Beispielen zu lernen und so eigenständig Muster zu identifizieren und anzuwenden, um große Datenmengen zu bewerten. Dadurch waren wir in der Lage, die große Menge an Informationen systematisch und effizient auszuwerten.
Semantische Analyse erlaubt neue Einblicke
Um die Analyse der Kommentare zu ermöglichen, wurden im Vorfeld unterschiedliche bekannte Fehlerkategorien definiert und zu ca. 20 Klassen zusammengefasst. Mit einem Trainingsset aus den vorhandenen Kommentaren der Nutzenden wurde das Sprachmodell anhand verschiedener Beispiele für die jeweiligen Klassen trainiert, bis ein F-Score (Qualitätsmaß für das Sprachmodell) von über 80 Prozent erreicht wurde. Anschließend wurde das Sprachmodell auf den gesamten Textkorpus angewendet.
Eine Häufigkeitsanalyse der negativen Kommentare zeigte, dass eine reduzierte Ladeleistung das häufigste Ärgernis darstellt. Außerdem zählen der Abbruch des Ladevorgangs, eine von einem anderen ladenden Elektrofahrzeug blockierte Ladesäule sowie die Authentifizierung mit RFID zu weiteren häufig vorkommenden Ärgernissen. Betrachtet man, wann im Prozess die unterschiedlichen Fehler wahrgenommen werden, fällt auf, dass die meisten Fehler beim Ladevorgang selbst bzw. im Prozess bis zum Laden auftreten (siehe Abbildung 2). Beim Beenden und Abrechnen des Ladevorgangs treten hingegen keine wahrgenommenen Fehler mehr auf. Insgesamt betrachtet ist die Anzahl der gescheiterten Ladevorgänge verglichen mit der Anzahl der Ladevorgänge, die erfolgreich verlaufen, jedoch sehr gering.
Neben der Untersuchung, welche Fehlerklasse wie häufig vorkommt, lag unser Fokus auf der Analyse der Kommentare der Nutzenden, die keiner im Vorfeld definierten Fehlerkategorie zugeordnet werden konnten. Eine fehlende Zuordnung kann verschiedene Ursachen haben – eine davon ist, dass es sich um eine neue, bislang unbekannte Art von wahrgenommenem Fehler, also ein bislang unbekanntes Ärgernis, handelt. Die Identifikation solcher Fehlerwahrnehmungen war eines der Projektziele, um ein möglichst holistisches Bild der wahrgenommenen Fehler, Ärgernisse und latenten Bedürfnisse der Nutzenden von Ladeinfrastruktur zu erhalten.
Auf Basis dieser Ergebnisse lassen sich in Kombination mit den Erkenntnissen aus den Ansätzen mit direkter Nutzendeninteraktion Hinweise für die Fehlervermeidung auf Kundenseite und Verbesserung der Gesamtzufriedenheit ableiten und diese in nachfolgenden Innovationsprozessschritten berücksichtigen.
Smart Innovation Community als Austauschplattform für Interessierte am Thema KI im Innovationsmanagement
Das Identifizieren und Berücksichtigen von negativen Erfahrungen und Erlebnissen sowie latenten Bedürfnissen von Kundinnen und Kunden ist in Innovationsprozessen ein wichtiger Aspekt. Erfolgreiche neue Leistungsangebote müssen Lösungen für diese Anforderungen der Nutzenden parat haben. Wer mehr über den Einsatz von KI in den verschiedenen Phasen und Aufgaben des Innovationsmanagements wissen möchte, ist herzlich zum nächsten Treffen der »Smart Innovation Community« am 18. Januar 2023 eingeladen.
Ziel der Community ist es, allen am Thema »KI im Innovationsmanagement« Interessierten eine Plattform zum informellen Austausch und die Möglichkeit zur Vernetzung zu bieten. Ergänzt wird der Austausch jedes Mal durch Impulse aus der Praxis.
Leselinks:
- Projektwebseite Wirkkette Laden
- Blogbeitrag »Einfach Laden (1): Electric Drive – Electric Thrive? Alles eine Frage des richtigen Einstiegs«:
- Überblick zum Thema Künstliche Intelligenz
- Smart Innovation Community am 18.01.2023
Kategorien: Future Mobility, Innovation, Künstliche Intelligenz
Tags: KI - Künstliche Intelligenz
Diese Beiträge sind reichlich praxisfern. Es gibt schließlich mehr als nur CCS und Typ 2! Was ist mit normalem Netzanschluss? Was mit Drehstrom? Und schließlich: Wo bleibt CHAdeMO, das einzige Ladesystem für Rückspeisung ins Netz??? Fraunhofer hat auch daran geforscht…
Also – wer sich mit der Ladeproblematik beschäftigt – und sei es aus rein wissenschaftlicher Perspektive – sollte auch Realität erfassen…
Hallo Herr Bücken, vielen Dank für Ihr Interesse an unserer Forschung. Da CCS und Typ-2 aktuell (und auch in absehbarer Zukunft) im Markt vorherrschend sind, haben wir im Reallaborversuch nur diese beiden Steckertypen betrachtet. Bidirektionales Laden stand nicht im Fokus des Projekts, sollte mittelfristig aber auch via CCS möglich sein. Viele Grüße, Felix Röckle