Digitale Disruption
Blogreihe »Digitale Disruption«: Technologien und Anwendungsfelder mit Disruptions­potenzial: »Das Bessere ist des Guten größter Feind« – frei nach diesem alten Sprichwort von Voltaire lädt das Fraunhofer IAO zu einer Blogreihe ein, in der unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler disruptive Trends und Technologien vorstellen und deren Potenziale für Wirtschaft und Gesellschaft aufzeigen. Diskutieren Sie mit!

Ich lade Sie heute ein zu einer kurzen Zeitreise in die Smart City Stuttgart: Wir spulen vor in den März 2018. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat Dieselfahrzeuge aus der Innenstadt verbannt und der Einzelhandel klagt, dass die Kunden nicht mehr in die Stadt kommen und der Umsatz ausbleibt. Die Stadtregierung argumentiert, so schlimm sei der Rückgang nicht – es gäbe ja immerhin kostenlosen ÖPNV für die Nutzer von Dieselfahrzeugen.

Daten als Grundlage für politische Entscheidungen

Mehrere Kreditkarten-Unternehmen speichern bereits seit Jahren sekundengenau Umsätze in ganz Stuttgart (und dem Rest der Welt) als Datenpunkte in ihren Datenbanken und bieten diese Daten nun OB Fritz Kuhn zum käuflichen Erwerb an. Der stolze Preis liegt bei 2,5 Mio Euro. Für eine Jahreslizenz inklusive aller historischer Transaktionen in Stuttgart (anonymisiert versteht sich). Kuhn weiß, dass eine Auswertung dieser Daten Aufschluss geben könnte: nicht nur über die lokalen Effekte des Dieselverbots, sondern – kombiniert mit weiteren Datensätzen – auch Hinweise auf bessere politische Entscheidungen beinhalten. Aber welchen Wert haben diese Daten für die Stadt Stuttgart? Wie viel wäre OB Kuhn (oder der Stadtrat) gewillt, für diese Daten zu zahlen? Und woher wüsste er, ob 2,5 Mio Euro angemessen sind oder nicht?
Außerdem: Was sind die echten Kosten, die durch die Bereitstellung und Aufbereitung der Daten anfallen? Und bei wem fallen sie an?

Je smarter unsere Städte werden, umso weniger scheinen wir ihren Wert zu kennen. Oder frei nach Oscar Wilde: »We know the costs of everything but the value of nothing.«

Daten sind die neue Währung für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung

Daten entwickeln sich immer mehr zur Währung in der Entwicklung von Städten. Ob Passagierflüsse im ÖPNV, Energiedaten in dezentralen Netzen, WLAN-Nutzung im öffentlichen Raum, Umsatz an Liter Bier pro Person, Luftqualitätsmessung oder Fußgängerströme bei großen Veranstaltungen: Alle Informationen können zunehmend digital und in Echtzeit bereitgestellt werden, damit unsere Städte effizienter, die Umwelt sauberer, der Verkehr ruhiger und das Leben lebenswerter wird. Bei der ganzen Euphorie um Smart Cities haben wir aber vergessen, uns zu fragen: Welchen Wert schaffen wir durch die Daten und für wen? Die Beantwortung dieser Frage ist ganz entscheidend – nicht nur, weil wir in der Smart City Gefahr laufen, die Balance unserer öffentlichen Identität vom Bürgersein zunehmend zum Kundensein zu verschieben, sondern auch, weil an ihr die Frage der Finanzierung von Stadtentwicklung hängt.

Die Stadt als Zukunftsmarkt für Unternehmen

Eine Vielzahl an Daten sind für Städte schwer oder nur käuflich zu erhalten. Sie bräuchten sie aber, um bessere Entscheidungen treffen zu können und ihr Geld effizienter einzusetzen. Unternehmen haben das erkannt und bieten immer öfter Infrastruktur und Dienstleistungen umsonst an, machen dann aber ihr Geschäft mit den Daten, die dabei anfallen. Freies WLAN, intelligente und vernetzte Straßenbeleuchtung, Bike-Sharing-Systeme etc. sind Beispiele hierfür. Die ersten Städte steuern gegen und verpflichten Unternehmen, die im öffentlichen Raum operieren, dazu, ihre Daten mit der Stadt zu teilen. Das löst aber noch nicht das Grundproblem, nämlich, dass Städte nicht wissen, welcher Wert in welchen Daten steckt und wie viel sie maximal investieren sollten, um einen Datensatz aufzubereiten bzw. eine kontinuierliche Einbindung von Echtzeit-Daten in eine Plattform der Stadt sicherzustellen.

Der Wert urbaner Daten: Anwendungsfälle und Rechenmodelle

Diese Frage lässt sich nur lösen, wenn man sie anhand von echten Anwendungsfällen in unterschiedlichen Städten durchrechnet und ein Modell entwickelt, das Städten dabei hilft, diese Use Cases auf die eigenen Umstände zu kalibrieren.

Genau das ist Inhalt des neuen Verbundforschungsprojekts »Value of Urban Data« des Fraunhofer IAO. Die Beispiele für urbane Wertschöpfung durch eine gezielte Nutzung von Daten sind vielfältig:

  • Kaufentscheidungen in der Innenstadt
  • Optimierung von Stadtlogistik
  • Verbesserung der Luftqualität
  • Investitionen in Radwege
  • Schutz vor Überflutung durch Regensensoren

Ein Konsortium aus Städten, Unternehmen und der Finanzindustrie definiert und priorisiert gemeinsam die wichtigsten Anwendungsfälle, erhebt die Daten hierzu und modelliert die Auswirkungen von Investitionsentscheidungen, die auf der Datenanalyse basieren. Hierüber erhalten Städte in Zukunft tatsächlich die Möglichkeit, die Konsequenz von politischen Entscheidung zu messen und zu entscheiden, wann sich eine Investition in Daten lohnt und wann nicht.

Wir spulen noch weiter vor in den März 2020. Dieselfahrzeuge fahren wieder in die Stuttgarter Innenstadt. Dafür gibt es jetzt ein Mautsystem, das zu unterschiedlichen Tageszeiten unterschiedliche Preise für die Einfahrt in die Stadt verlangt. Die Preise sind gestaffelt für unterschiedliche Fahrzeugklassen. Die Erfassung erfolgt per Sensor und die Abwicklung erfolgt automatisch über das Internet. Reine Elektrofahrzeuge fahren kostenlos. Alte Diesel sind am teuersten. Die hierdurch eingenommenen Mittel werden zu 100 Prozent in den Ausbau nachhaltiger Mobilitätslösungen und zur Verbesserung der Luftqualität investiert. OB Kuhn hat die Wiederwahl gerade nochmal für sich entscheiden können.

Sie wollen wissen, welche Daten sie als Stadt wirklich brauchen?
Sie wollen wissen, wie viel Ihre Daten wirklich wert sind?
Sie wollen sich an einem spannenden Forschungsprojekt zur Zukunft der Smart City beteiligen?
Kontaktieren Sie uns und werden Sie Teil des Forschungsprojekts »Value of Urban Data«

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