Es ist an der Zeit der geneigten Leserin und dem geneigten Leser, die interessiert sind an Themen wie Digitale Bildung, MINT, Bürgerbeteiligung, Stadtentwicklung und Kindern, ein Update in Sachen Projekt Kinderstadtteilforschung aus dem Stuttgarter Westen zu geben. Als Ostergruß sozusagen…

In den letzten Monaten hat in den vergangenen Schulferien wieder der eine oder andere Aktionstag des Projekts stattgefunden. Also dann, wenn die Kinder Zeit und Muße haben, etwas zu lernen, das über den Tellerrand des Bildungsplans hinausgeht aber zweifelsohne in ihrem weiteren Wirken und Werden im Leben wichtig werden wird.

Neue Nachbarn – mit Flüchtlingskindern zusammen den eigenen Kiez erleben

Saba, Sinan, Hussein, Ledan und Gianna – das sind Namen von Kindern, die als Interims-Nachbarn in die leerstehende Friedensschule, eine ehemalige Hauptschule Mauer an Mauer mit der Schwabschule, eingezogen waren. Es war den Kindern ein Anliegen, diese »Fremden« kennen zu lernen und ihnen aus ihrer eigenen Sicht ihr Heimatquartier vorzustellen. So wurden ausgewählte Lieblingsorte und gefährliche Orte gezeigt. Und es wurde gezeigt wie es geht, in einem Discounter-Supermarkt Kleinigkeiten einzukaufen.

Der Aktionstag Augentausch mit Flüchtlingskindern war für alle Beteiligten eine große Herausforderung, da der Übersetzer an diesem Tag krank war. Aber mit Händen und Füßen sowie Einsatz von drei Smartphones mit unterschiedlichen Übersetzungs-Apps, mit und ohne natürliche Spracheingabe, gelang eine Kommunikation und es wurde viel gelacht.

Freundschaften sind nicht entstanden, die Nachbarn sind auch schon wieder weitergezogen, aber dass Kinder den beteiligten Sozialpädagogen und Forschern die Botschaft erzählten, dass es diesen Menschen gleich erginge wie Jesus in der Weihnachtsgeschichte, lässt nachdenklich werden.

Demokratische Nutzung des öffentlichen Raums in »Smart Cities«

Zur Erinnerung: Quintessenz der Kinderstadtteilforschung in Bezug auf den Verkehr vor der Grundschule war gewesen, dass rund 62 Prozent der Autofahrer das Tempolimit von 30 km/h einhalten, 38 Prozent allerdings schneller unterwegs sind.

Deshalb wurde konsequent weitergedacht, partizipativ ein Konzept entworfen und mit der Stadt Stuttgart im Rathaus diskutiert, ob und wie es möglich werden könnte, dass die Kinder einmal im Jahr zumindest stundenweise eine Straße für ihre Zwecke nutzen. Der Wunsch war, eine Kinder-bemalen-die-Straße-Aktion durchzuführen.

Im Endeffekt war die Zeit noch nicht reif, die Hauptverkehrsstraße Schwabstraße für ein paar Stunden demokratisch umzunutzen (z.B. beim Stadtteilfest oder bei einem Feinstaubalarmtag). Doch unter tatkräftiger Mithilfe unterschiedlicher Ämter und Beauftragter der Landeshauptstadt Stuttgart konnte der verkehrsberuhigte Bereich neben der Schwabschule zum Ort der Wahl werden. Die Aktion wurde synchronisiert mit dem jährlichen ParkingDay, der weltweit stattfindet.

Verkehrsberuhigte Bereiche eignen sich im Rahmen der StVO hervorragend für solche Belange: Die Nutzung eines solchen Bereichs beschränkt sich nicht nur auf Fortbewegung, sondern beinhaltet ebenso die kommunikative Nutzung wie z.B. gemeinsame Freizeitaktivitäten. Es darf nur Schrittgeschwindigkeit gefahren werden, d.h. maximal 7 Stundenkilometer. Kfz-Fahrer, Radfahrer und Fußgänger sind gleichberechtigt. Fahrzeugführer dürfen Fußgänger weder gefährden noch behindern, wenn nötig müssen sie warten. Parken ist außerhalb der dafür gekennzeichneten Flächen unzulässig, ausgenommen zum Ein- und Aussteigen oder zum Be- und Entladen. Die Zone ist straßenverkehrszeichentechnisch und baulich zu kennzeichnen mit der Beschilderung »Beginn eines verkehrsberuhigten Bereichs« bzw. »Ende eines verkehrsberuhigten Bereichs« sowie beispielsweise durch eine niveaugleiche Pflasterung.

Und so haben die Kinder den verkehrsberuhigten Bereich neben der Schwabschule für einen Freitagnachmittag gleichberechtigt in Anspruch genommen und eine Fläche von ca. 200 Quadratmeter öffentlichen Raums mit Kreide bemalen können.

Aufgrund des sozio-technischen Forschungsdesigns passieren bei einer Intervention wie dieser sehr viele Dinge parallel; Kinder, Anwohner und Durchfahrende geben eine Vielzahl an verbalen und non-verbalen Feedbacks und interagieren. Erste Erkenntnisse sind explorativer Art, sie werfen aber ein Schlaglicht auf den weiteren Forschungsbedarf:

  • Reallabor-Forschung (Forschungsansatz). Die Reaktionen der Beteiligten waren vielschichtig. Sie reichten vom O-Ton einer wohlwollenden Anwohnerin: »Endlich sind Sie da und machen was gegen das Rasen in der verkehrsberuhigten Zone. Wenn Sie ein Auto haben in Stuttgart, haben Sie mehr Rechte als mit Kindern« bis hin zu passierenden Radlern und PKW-Lenkern, die abwinkten und in keinen Dialog eintreten wollten. Einige Menschen gaben als Feedback, dass sie vor der Situation der herrschenden verkehrlichen Kräfteverhältnisse kapituliert hätten.
  • Mobilitätsforschung (Sicherheit und Kultur). Ein sehr interessantes Ergebnis der Beobachtung war: Autos fuhren subjektiv zu schnell, auch wenn eine Horde von rund 50 Kinder im Maximum für eine Aktion in einem verkehrsberuhigtem Bereich unterwegs sind. Man brauchte aus Sicherheitsgründen durchaus die 4 bis 8 Erwachsenen die jeweils gleichzeitig als Ordner im Einsatz waren, die Hälfte davon mit Ordnerbinde gekennzeichnet, um eine solche Intervention verantwortlich durchzuführen.
  • Zukunftsforschung (automatisiertes und autonomes Fahren).
  • Während etliche Autofahrer mangelnde Kenntnis der StVO aufwiesen und nicht wussten, dass in einem verkehrsberuhigten Bereich Schrittgeschwindigkeit zu fahren ist, hatte ein anderer Teil der Autofahrer sichtlich Probleme damit, die heutigen Autos technisch überhaupt in Schrittgeschwindigkeit und nicht schneller bewegen zu können. Dies scheint für die Mobilität der Zukunft in Smart Cities offenkundig die Anforderung für den Einbau eines »Schrittfahr-Tempomaten« in den Bordcomputer von Autos zu signalisieren. Besser noch eines »intelligenten Tempo-Wächters und -Begrenzers«, der Tempolimits ortsbezogen automatisch erkennt, umsetzt und zusammen mit zukünftigen interdependenten Autopiloten-Systemen das sichere Miteinander von Auto und Mensch in der Stadt gewährleistet.

Im Nachgang freut es das Projektteam sehr, dass die Landeshauptstadt Stuttgart über Aktionen von Politik und Verwaltung zur Sensibilisierung aller Verkehrsteilnehmer in verkehrsberuhigten Bereichen nachdenkt. Wir sind interessiert wie es weitergeht.

Die Polizei kommt – und zeigt wie kind sich auf 2 oder 8 Rädern am besten fortbewegt

In der vorletzten Kinderstadtteilforschung kam die Polizei auf den Schulhof und zeigte den Kindern in theoretischer und praktischer Physik, wie Inline-Skates und Roller am besten beherrscht werden können. Es wurde sogar eine mobile Geschwindigkeitsmessanlage im Schulhof aufgestellt. Eine »Fallschule«, angeleitet von zwei leibhaftigen Polizistinnen auf Inline-Skates und mit richtiger Schutzkleidung brachte bei, wie man mit Rollen unter den Füßen fahren und stürzen kann, ohne sich die Knochen zu brechen. Das machte schweren Eindruck auf die jungen Verkehrsteilnehmer und hat Vorbildcharakter. Informativ: Bitte keine Hooverboards, Monowheels und Segways zum nächsten Fest wünschen. Das ist nichts für Kinder, je nachdem brauchen sogar Erwachsene Zulassung, Versicherung, Führerschein, Schutzhelme etc. dafür und dürfen sie in etlichen Fällen nur auf privatem Gelände benutzen.

Vielen Dank an die Verkehrspolizisten des Stuttgarter Polizeipräsidiums für die hervorragende Präventionsveranstaltung!

Aktionstag Augentausch mit Flüchtlingskindern
Bildquelle: Projekt Kinderstadtteilforschung
Präventionsveranstaltung mit der Polizei
Die Polizei kommt – und zeigt wie Kinder sich am Besten auf 2 oder 8 Rädern fortbewegen. Bildquelle: Projekt Kinderstadtteilforschung
Präventionsveranstaltung mit der Polizei
Ein perfekter Aufbau ist alles: Von der mobilen Geschwindigkeitsmessanlage... Bildquelle: Projekt Kinderstadtteilforschung
Präventionsveranstaltung mit der Polizei
... über den Hütchen-Parcours bis... zur Wippe....
Präventionsveranstaltung mit der Polizei
Fahrtraining auf 2 Rädern. Bildquelle: Projekt Kinderstadtteilforschung
Präventionsveranstaltung mit der Polizei
Fahrschule-Theorie muss sein! Bildquelle: Projekt Kinderstadtteilforschung
Kinder-bemalen-die-Straße Intervention
Kinder-bemalen-die-Straße Intervention im Rahmen des ParkingDay 2016. Ausgangspunkt: Beforschung der Einhaltung des Tempolimits auf der Straße vor der Schwabschule. Bildquelle: Projekt Kinderstadtteilforschung
Brief an Stadtverwaltung
Kinder-bemalen-die-Straße Intervention im Rahmen des ParkingDay 2016, Bildquelle: Projekt Kinderstadtteilforschung
Projektskizze für Stadtverwaltung
Kinder-bemalen-die-Straße Intervention im Rahmen des ParkingDay 2016, Bildquelle: Projekt Kinderstadtteilforschung
Forschungsimpressionen
Kinder-bemalen-die-Straße Intervention im Rahmen des ParkingDay 2016, Bildquelle: Projekt Kinderstadtteilforschung
Umsetzungsort = Verkehrsberuhigter Bereich hinter der Schule
Kinder-bemalen-die-Straße Intervention im Rahmen des ParkingDay 2016, Bildquelle: Projekt Kinderstadtteilforschung

Im nächsten Teil der Blogreihe berichte ich darüber, wie die Kinderstadtteilforscherinnen und -forscher sich in die Bürgerbeteiligung zur Planung des Olga-Areals in Stuttgart eingebracht haben. In den jetzt anstehenden Osterferien ist zudem geplant, sich des Themas Feinstaub anzunehmen und dabei zu sein, wenn Kinder mit Mikrocontrollern und Sensoren unsichtbare Dinge wie Feinstaub messen und verstehen lernen. Ebenso sind Moose und Mooswände ob ihrer interessanten Eigenschaft, Feinstaub reduzieren zu können, in aller Munde – von der FAZ über Lift-Stadtmagazin bis hin zur SWR-Wissenschaftsredaktion. Grund genug, kleine Mooswände einmal selbst herzustellen, ganz nach der Forscher-Devise »Do-it-Yourself (DIY)«…

Danksagung

Danke an alle Forscherkinder fürs Mitmachen. Danke an Martina Joos (Projektleiterin) und Yasemin Mengüllüoglu (Hausleitung) und alle anderen beteiligten Sozialpädagogen vom Caritasverband für Stuttgart e.V. für die hervorragende Projektierung. Danke an meinen Arbeitgeber Fraunhofer IAO für die Unterstützung. Sowie danke an alle Bürgerinnen und Bürger, Organisationen und Verwaltungen, mit denen wir bislang in Interaktion getreten sind.

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