Es war nicht anders zu erwarten: Seit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr dieses Jahres hat sich das Konsumverhalten der Menschen verändert. Nicht nur, dass die Nachfrage nach bestimmten Produkten wie Tiefkühlgerichten, Bildschirmen oder Gymnastikbällen stark zunahm, auch der Ort des Konsumierens wurde ein anderer.

Durch die temporäre Schließung eines großen Teils des stationären Einzelhandels blieben für den Kaufrausch nur digitale Marktplätze und Einkaufsstraßen. Einige Konsumierende, vor allem aus der Babyboomer-Generation sammelten so erste Erfahrungen im Umgang mit Online-Shopping. Viele stellten fest: Online kann eine gute Alternative zu offline sein – nicht nur bei der Durchführung von Meetings und Absprachen mit Teammitgliedern im beruflichen Kontext, sondern eben auch beim Einkaufen. Gemütlich mit dem Kaffee in der Hand auf der Couch nach den neusten Sommerkleidern stöbern oder noch schnell im Zug die kaputte Kaffeemaschine durch das aktuellste Modell ersetzen. Weniger Zeitaufwand, eine größere Auswahl, teilweise bessere Preis-Leistungsverhältnisse. Zudem ein direkter Überblick über die Verfügbarkeit und zusätzlich bereits individuelle Vorschläge für weitere Produkte auf dem Weg zum perfekten Kaufglück. Die Liste der Vorteile des Online-Shoppings ist mindestens ebenso lang wie die Möglichkeiten. Neben der agilen, flexiblen, ortsungebundenen virtuellen Kaufwelt voller »Easyness« wirken die endloslangen monotonen Schaufensterfassaden der Innenstadt mit Wühltischen und gelbem Kunstlicht oft wie die Kulisse eines Einkaufsvergnügens aus einer anderen Zeit.

Urbane Manufakturen als Identitätsstifter

Zur Revitalisierung der Innenstädte bedarf es weit mehr als nur einer homogenen Monokultur, wie man sie heute in vielen, wenn nicht gar allen Einkaufsstraßen von deutschen Innenstädten vorfinden kann. Es sind neue Formate und innovative Konzepte gefragt, die nicht mit dem Online-Handel konkurrieren, sondern sich auf ihre eigenen individuellen Werte besinnen. Jede Stadt ist einzigartig, keine Entstehungsgeschichte gleicht jemals einer anderen. Die Prägung durch unterschiedliche kulturelle Einflüsse, historische Ereignisse und die natürliche Umgebung macht jeden Ort zu etwas ganz Besonderem. Die Stärke der eigenen Authentizität ist ein Wert, der in den letzten Jahrzehnten zunehmend in Vergessenheit geriet und nun von einer Schicht an Kaufhaus- und Restaurantketten verdeckt ist. Es braucht eine Rückbesinnung auf das ganz Eigene, nicht auf das zehnte gleiche Shoppingcenter mit einer perfekt geformten Kulisse, sondern das Herausarbeiten authentischer Orte, mit allen Ecken und Kanten, die Persönlichkeit vermitteln und einen wahren Kern haben. Denn in solchen Atmosphären können neue Ideen erst wachsen.

Eine Idee zur Transformation der Innenstadt von einer internationalen, Fast-Fashion geprägten Markenlandschaft hin zu einer ungeschminkten und ehrlichen Stadt ist die Etablierung von urbanen Manufakturen und Produktionsstätten im Zentrum. Noch vor einigen Jahren war die Idee, Industrien in die Innenstädte zu verlegen, undenkbar. Industrie und Produktion standen für Schmutz und Lärm sowie eine graue, traurige Kulisse. Gewohnt und gelebt wurde in getrennten Quartieren fernab der Produktion.

Heutzutage werden Herstellungsprozesse jedoch zunehmend emissions- und lärmfrei, außerdem erlauben neue Technologien und Spezialisierungen eine effizientere Raumnutzung. Manufakturen und Produktionsstätten können deshalb auch problemlos wieder in die Stadtzentren verlegt werden. »Urban Manufacturing« hat sich in den letzten Jahren zu einem großen Trend herauskristallisiert. Immer wieder kann man vor allem in Kreativquartieren die Öffnung von kleinen Manufakturen beobachten, die sowohl einen Verkaufsraum als auch einen Produktionsbereich haben. Diese Entwicklung ist nicht nur der Möglichkeit eines saubereren Herstellungsprozesses geschuldet, sie bietet allgemein Vorteile, sowohl für die Kundschaft als auch für Produzent*innen und basiert auf einem starken Verlangen nach mehr Transparenz und Authentizität innerhalb der Produktion. Urbane Produktionsstätten schaffen eine neue Nähe, zudem verwandeln sie Orte zu Erlebnisräumen. Gerade bei der Suche nach der eigenen Identität können urbane Manufakturen die Innenstädte unterstützen. Die Herstellung von Produkten mit einem regionalen Bezug macht neugierig auf Kaufmöglichkeiten, die man so nicht online finden kann, ein großer Vorteil auf der Liste »Realität vs. Virtualität«.

Konzepte für neue Symbiosen: Pop-up-Spaces und Co.

Doch muss es überhaupt ein Konkurrenzdenken à la »Realität vs. Virtualität« geben? Auch Konzepte, die die virtuelle und reale Welt als neue Einheit zu sehen, können ein Ansatz sein, der Innenstadt eine lebendige Zukunft zu geben. Ein Beispiel dafür ist die Ergänzung von Online-Shops durch Pop-up-Spaces in Städten.

Pop-up-Spaces entstehen meist unerwartet, ohne Vorwarnung für die Kundschaft. Zum Teil auf leerstehenden Geschäftsflächen, in Lagerhallen oder auch im urbanen Außenraum in Parkanlagen oder Einkaufszentren. Sie wecken die Neugierde und haben den Überraschungseffekt auf ihrer Seite – zudem kann man sich nie sicher sein, ob sie morgen nicht schon wieder verschwunden sind. In Pop-up-Spaces steht nicht immer das Verkaufsprodukt im Vordergrund, sondern das Erlebnis, die Begegnung und Inspiration.
Die Nutzung von Pop-up-Spaces ist auch für Start-ups ein erfolgsversprechendes Konzept. In einem unverbindlichen Rahmen können sie so ohne großen Kostenaufwand ihre Ideen präsentieren und den Markt testen. Auch reine Online-Shops nehmen Pop-up-Spaces immer mehr als Chance wahr, denn beim Online-Shopping fehlt oft Transparenz und Offenheit sowie die direkte Nähe zu der Klientel. Auf einer Pop-up-Fläche haben Produzent*innen die Möglichkeit, direkt mit ihrer Kundschaft zu interagieren. Das Pop-up-Space wird zu einem Showroom inklusive Events: Die Palette reicht von Kochkursen vom nachhaltigen Bambusgeschirr-Anbieter bis hin zu DIY-Fahrradreparatur-Workshops vom neusten Start-up einer Bike-Sharing-Plattform. Kaufen online, erleben offline – ein Modell, das Zukunft verspricht.

Die Pandemie verändert nicht nur den Einzelhandel als Stadteinheit, sondern betrifft insgesamt das Ökosystem »Stadt«. Die neuen Herausforderungen und Chancen brauchen eine kritische Reflexion vorheriger Raumstrukturen und erste Ansätze und Ideen das Ökosystem neu zu denken. In meinem Whitepaper »Was wäre wenn … – Die Auswirkungen der Pandemie auf das städtebauliche Umfeld und seine Funktionen«, das zeitnah erscheinen wird, habe ich die aktuellen Entwicklung ganzheitlich betrachtet und Zukunftsszenarien für eine Stadt mit Möglichkeitsspielraum beschrieben. Nicht nur für den stationären Handel, sondern für einen lebendigen Ort der Begegnung.

Wichtig ist bei allen Betrachtungen, die Stadtentwicklung in ihrer aktiven Rolle zu verstehen und die Pandemie als Chance zu begreifen. Das reine Aufrechterhalten von Innenstädten durch finanzielle Unterstützungen zur Überbrückung der Corona-Krise ist keine Lösung mit Bestand, sondern höchstens eine Erste-Hilfe-Maßnahme. Zur langfristigen Stabilisierung braucht es vor allem jede Menge kreativer, innovativer Ideen und den Mut, Wandel genau jetzt zu gestalten.

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Katharina Dienes

Teil des Teams Smart Urban Environments am Fraunhofer IAO. Interessiert an allen Geschichten hinter der Geschichte und fasziniert von kreativen Räumen in urbanen Quartieren oder im unmittelbaren Bürokontext. Überzeugte Co-Working Liebhaberin mit einem Faible für Schnittblumen, schwarzen Kaffee & Wein!

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Kategorien: Stadtentwicklung
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