Wissenschafts­jahr 2018: Arbeitswelten der Zukunft
Wissenschafts­jahr 2018: »Arbeitswelten der Zukunft« ist das Thema des Wissenschaftsjahres 2018. Dabei geht es um Fragen, wie sich Arbeit in Zukunft verändert und welche Rolle Forschung und Wissenschaft bei der Bewältigung dieser Veränderungen spielen.

Ist Selbstorganisation in der Digitalen Transformation das Gebot der Stunde? Und, angesichts des Zielpublikums der Veranstaltung: Welchen Beitrag kann und soll HR in einem solchen Transformationsprozess leisten? Unter dieser Leitfrage stand die von mir geleitete Podiumsdiskussion am diesjährigen DGFP-Congress »Navigating the Future« vom 15. bis 16. November 2018 mit über 400 Top HR-Verantwortlichen.

Gemeinsam mit Anna Stoeber von B.Braun, Dr. Christof Horn von P3, Manuel Ott von Darkhorse und Hermann Arnold von Haufe Umantis sind wir der Frage nachgegangen, ob und wie die zunehmenden Ansätze der Abschaffung klassischer Hierarchien wirklich die Organisationsform der Zukunft sind.

Selbstorganisation auf dem Prüfstand
© DGFP

 

Selbstorganisation und Hierarchieabbau sind kein Selbstzweck

Die Abkehr von klassischen, längerfristig implementierten Organisationsstrukturen und ihren Hierarchien ist mehr als ein Reflex auf veränderte Partizipationswünsche der jüngeren Mitarbeitenden. Ganz klar wurde: die heutigen Marktanforderungen zwingen zu mehr Flexibilität auf allen Ebenen und erschweren unternehmerische Planung. Neue Organisationsprinzipien werden verlangt, die agil wechselnde Kundenbedürfnisse adressieren und neue Herausforderungen schnell und unter bestmöglicher Nutzung aller verfügbaren Ressourcen angehen können. Die gewohnten starren Organigramme neigen dazu, sich selbst zu stabilisieren und den Mitarbeitenden und Führungskräften ständig neue Aufgaben zuschreiben, um die eigene Existenzberechtigung zu stärken. Die Gefahr besteht, dass »Zuständigkeiten« vor Kundenbedarfen diskutiert werden – und die Organisation »versäult«.

Selbstorganisation ist weder Anarchie noch Dauerdebattierclub

Selbstorganisation ist keine Anarchie – sondern zeichnet sich durch eine breite, kontinuierliche und gemeinsame Auseinandersetzung mit den Grundprinzipien von Arbeitsteilung, Rollen- und Verantwortungszuschreibungen und Entscheidungsregeln aus. So wird z.B. in den »Tasks & Teams« Prinzipien bei B.Braun in jedem »Kreis« für sich festgelegt, welche Entscheidungsregeln gelten und wer für was verantwortlich ist. Das Consent-Prinzip sorgt bei Darkhorse dafür, dass Entscheidungen schnell und im Sinne der Gesamtorganisation gefällt werden, ohne alles allzu lange zu debattieren. Zunehmende Selbstorganisation heißt auch, wie bei P3, dass Mitarbeitenden weitgehende Selbstverantwortlichkeit z.B. in der Beurteilung darüber gelassen wird, mit welchen Verkehrsmitteln gereist oder in welchen Hotels übernachtet wird – frei nach dem Motto »unten ist oben«. Dazu gehört aber eben auch, dies im Zweifelsfall bei Rückfrage rechtfertigen zu können. Das wesentlichste Element überall dazu ist: eine sachorientierte, dauerhafte, gemeinsame Auseinandersetzung auf Augenhöhe, die immer wieder um den besten Weg ringt – und nicht »von oben« durchgesetzt wird. Und dann kann, je nach Aufgabe, sogar eine hierarchische Struktur die der Aufgabe angemessenste Lösung sein.

Führung ist eine Funktion – die temporär ausgeübt werden kann

Braucht man also Chefs? Und wenn ja, wer bestimmt, wer das ist? Hier wurde es besonders spannend. Hermann Arnold von haufe Umantis berichtete sehr eindrücklich von seinem ganz persönlichen Erleben im Umgang seiner Kollegen mit seinem Entschluss, die CEO-Funktion freiwillig abzugeben und einen Nachfolger vorzuschlagen. Wie schnell die Aufmerksamkeit von der eigenen Person auf den benannten nachfolgenden Funktionsträger übergeht – und wie stark bei so einer Gelegenheit spürbar wird, dass Aufmerksamkeit und Führungswahrnehmung eben an der Rolle hängen – und NICHT primär an der Person. Diese Initialzündung hat bei haufe Umantis dazu geführt, dass sich in diesem Unternehmen alle Führungskräfte regelmäßig einer Wiederwahl stellen müssen. P3 wählt den Weg, dass Mitarbeitenden sich jährlich selbst den bestehenden Führungskräften zuordnen dürfen. So gibt es denn eben auch die Möglichkeit, dass die Zahl der »Follower« signifikant – und für alle sichtbar – nach unten geht. Diese Themen zeigen: die Führungsaufgabe muss nicht, wie allerdings immer noch die Regel, nach dem Motto »Einmal Führungskraft – immer Führungskraft« vergeben sein – sondern Führung kann temporär ausgeübt werden. Und wenn sich Neigungen, Eignungen, Umweltbedingungen oder Aufgaben ändern, dann muss das Hin- und Herwechseln eine deutlich größere Selbstverständlichkeit werden – und zwar ohne das bisher übliche Gefühl des »Abstiegs«.

Führen und Folgen können sind zwei Seiten derselben Medaille

In diesem Kontext wies Herr Arnold auf die große Bedeutung einer spezifischen Kompetenz hin: nämlich der des »Folgen Könnens«. Wo es Führungskräfte gibt, gibt es auch Kollegen, die deren Entscheidungen mittragen und umsetzen – was eine ganz eigene Disziplin und Weitsicht verlangt, vor allem dann, wenn diese Führungsrolle bis vor kurzem noch selber ausgeführt wurde. Für mich hat sich nochmals bestätigt: Führung ist eine Beziehungsform – die, wenn sie denn gelingen soll, von beiden Teilen gewollt und getragen werden muss, um erfolgreich zu sein.

AN der Organisation arbeiten – und nicht nur IN ihr

Im Verlauf der Diskussion kristallisierte sich eine Erkenntnis immer mehr heraus: die Ansätze der Selbstorganisation bringen es mit sich, dass die Kommunikation und die Abstimmung über die Frage, wie zusammengearbeitet wird, deutlich intensiver und dauerhafter auf der Agenda bleiben müssen. Die Organisation ist dann quasi eine Dauerbaustelle, an der beständig gemauert, wieder eingerissen, neue Leitungen gelegt und andere Fenster montiert werden. Ganz wesentlich ist, dass diejenigen, die diese Organisation bevölkern, sich aktiv als gleichberechtigte Baumeister verstehen, sich in der Planung und Implementierung aber eben auch an selbst vereinbarte Regeln halten und diese immer wieder auf den Prüfstand stellen. So wie es aussieht, werden sich diese Dauerbaustellen in Zukunft durch einen deutlich modulartigeren, hoch vernetzten und flexiblen Aufbau auszeichnen müssen.

HR als Facilitator, Enabler, Dirigent

Hier siedelte sich dann auch die letzte, entscheidende Frage und Antwort an: Welchen Beitrag kann der Bereich Human Resources (HR) hierbei leisten? HR kann hier logischerweise keine Vorgaben machen, die strikt befolgt werden – nein, HR muss hier, in der Einschätzung der Diskutanten, im Selbstverständnis des Facilitators, des Ermöglichers, oder gar des Dirigenten agieren. Christof Horn wählte das Bild des »Scrum Masters« – also desjenigen, der die gute Praxis kennt, Regeln vermittelt und die Beteiligten in ihrem Zusammenwirken orchestriert – sich aber ansonsten heraushält. Wie gut, wenn HR dann, wie z.B. bei B.Braun sich zuallererst selbst als logischen Erprobungsbereich für diese Organisationsformen sieht und all das Geschilderte zuerst einmal »am eigenen Leib« umsetzt.

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Josephine Hofmann

Leitet das Team »Zusammenarbeit und Führung« und forscht zum Thema Führungskonzepte und flexible Arbeitsformen. Bloggt am liebsten im Zug und nach inspirierenden Veranstaltungen und Begegnungen.

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Kategorien: New Work / Connected Work
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