Büroleben am Unternehmensstandort – Privatleben im eigenen Zuhause? Seit der massiven Zunahme der Flexibilisierung der Büro- und Wissensarbeit geht diese Distanzierung der Lebensbereiche nicht mehr auf. Unser Alltag wird grenzenloser – und unsere Städte sollten dasselbe tun.

Das »New Wow« in der Büro- und Arbeitswelt

Dafür zunächst ein Blick auf das »New Now« in der Büro- und Arbeitswelt, die sich insbesondere für Büro- und Wissensarbeiter in den letzten Jahren rapide verändert hat. Die Corona-Pandemie stellte viele unserer Gewohnheiten im Arbeitskontext in Frage: Sind geschäftlich bedingte Reisen im Hinblick auf Gesundheit, Kosten- und Zeitfaktor sowie die klimatischen Negativeffekte gerechtfertigt? Muss in Zeiten von Flächenmangel in zentrumsnahen Lagen ein Arbeitsplatz pro Arbeitskraft bei einer Anwesenheitsquote von drei Tagen in der Woche vorgehalten werden, um als Ablagestelle für nicht digitalisierte Akten und die Geburtstagskarten der letzten Jahre zu dienen? Und ist es wirklich notwendig, jeden Tag von 9:00 bis 17:00 Uhr physisch an einem Ort anwesend zu sein, die Nerven im Feierabendverkehr zu verlieren und abgehetzt den letzten sterbenden Salatkopf im Supermarkt zu erkämpfen? Arbeit geht auch anders! Und auch wenn es fraglich bleibt, weshalb es eine Pandemie gebraucht hat, um diese neuen Denkanstöße in die Breite der Gesellschaft zu tragen, das Umdenken in der Büro- und Arbeitswelt ist gut und richtig. Dass es sich dabei längst nicht mehr um einen Trend handelt, sondern um eine nachhaltige Veränderung, bestätigen aktuelle Studien. Laut der Studie »Homeoffice Experience – Eine empirische Untersuchung aus Nutzersicht während der Corona-Pandemie« gaben 40 Prozent der Befragten an, dass ihr Arbeitsalltag auch über die Corona-Pandemie hinaus räumlich und zeitlich flexibler wird (siehe Leselinks). Andere Studien zeigen, dass neue Arbeitsorte im Trend liegen, beispielsweise Nachbarschaftsbüros und Kreativorte zu der temporären, kreativen Zusammenarbeit in Teams oder mit Externen. 33 Prozent würden ein Modell á la Arbeiten von zuhause und kreative Treffen ein- bis zweimal im Monat grundsätzlich begrüßen.

Work from anywhere – und die Folgen

Allein die Betrachtung der Studienergebnisse verdeutlicht: Die Auswirkungen der neuen Büro- und Arbeitswelt reichen über die Türschwelle des Büros hinaus und sind ganzheitlich spürbar, sei es durch die leeren Busse und Bahnen – vor allem an Freitagen und Montagen –, den Italiener an der Ecke im Quartier, der plötzlich sein Hauptgeschäft mit dem Mittagstisch verdient, oder dem Yogastudio, das um 7:00 Uhr morgens »Morning Homeoffice Sessions« anbietet. Und nicht nur bestehende Stadtstrukturen ändern sich, zunehmend ist auch davon die Rede, dass Arbeitnehmende sowie Arbeitgeber die Entscheidung für einen Wohnstandort unabhängiger von ihrem Arbeitsort treffen.

Wir wählen unsere Wohnstandorte im Laufe des Lebens meistens passend zu Bildungseinrichtungen oder Arbeitsplätzen. Wir reisen, um uns weiterzubilden – sei es zu Ausbildungsplätzen, Fachhochschulen oder Universitäten. Wir packen die Koffer wieder und wieder, um unsere Zelte in einem pendelgeeigneten Umfeld zu unserem ersten, zweiten oder dritten Arbeitgeber aufzubauen. Somit ist der Unternehmensstandort für viele individuelle Lebenswege, insbesondere die räumliche Ausprägung verantwortlich. Zumindest bis jetzt. Doch der Zusammenhang zwischen der Wahl des Lebensmittelpunkts und des Arbeitgebers verschiebt sich mit steigender räumlicher Autonomie. Mit Blick auf die derzeitige Entwicklung kann davon ausgegangen werden, dass aus einer eher engen Beziehung beider Faktoren eine Art Fernbeziehung entstehen wird. Diese Überlegung ist aus jeglicher Perspektive interessant: Sei es aus Sicht der Unternehmensorganisation, sozialwissenschaftlicher Dimension oder der Überlegung zur Gestaltung der Stadt der Zukunft. Denn wenn wir annehmen, dass eine enge räumliche Bindung zum Unternehmen nicht mehr notwendig ist, bedeutet das vor allem eines: Extreme Entscheidungsfreiheit. Weiche und harte Standortfaktoren verschieben sich grundlegend: War noch vor einigen Jahren die Nähe zum Arbeitgeber entscheidend, sind es momentan Faktoren wie eine schnelle Internetverbindung oder die Nähe zur Natur, wie aktuelle Studien zeigen.

Think work new: Stadtplanung für die entgrenzte Arbeitswelt

Stadt wird anders werden, weil wir sie anders nutzen: Flexibler, vielfältiger mit innovativen Orten und multifunktionalen Räumen, mit Tradition, Authentizität und gewagten Experimenten im Kleinen und Großen.

Um die Interessen der Stadtplanung mit den aktuellen Ergebnissen von Arbeitswirtschaft- und Organisation zusammen zu bringen und neue Konzepte für die Stadt der Zukunft zu entwickeln, bildet das Fraunhofer IAO Schnittstellen zwischen Fachbereichen der Stadtsystemgestaltung und der Büroentwicklung. Forschungsprojekte wie das Innovationsnetzwerk »Future Public Space« (siehe Leselink) und »Future Hotel« (siehe Leselink) beleuchten nicht nur einzelne Bausteine unserer Lebenswelt, sondern stellen Beziehungen zu Entwicklungen in einzelnen Branchen her. Denn interdisziplinäre und offene Zusammenarbeit sind in einer grenzenlosen Umwelt unerlässlich.

Abbildung 1: Think Big - Wie New Work die Stadt von Morgen verändern wird (© Fraunhofer IAO)

Abbildung 1: Think Big – Wie New Work die Stadt von Morgen verändern wird (© Fraunhofer IAO)

Im Rahmen dieser vierteiligen Blogreihe »THINK BIG: die Auswirkungen der neuen Büro- und Arbeitswelt auf das städtebauliche Umfeld« folgt in weiteren Beiträgen die Erläuterung und Einordnung einzelner Trends, die durch die Flexibilisierung der Büro- und Arbeitswelt entstehen (könnten). Unter anderem stehen dabei folgende Fragen im Fokus:

  • »Workation« oder »Bleisure Travel« Trends mit Zukunft?
  • Der ländliche Raum als neues Innovationslabor?
  • Coliving und Coworking für alle?

Denn bei allen Hängematten und Bällebädern in neuen Bürogebäuden – der große Möglichkeitsraum der Umgestaltung liegt im THINK BIG.

Leselinks:

Katharina Dienes

Teil des Teams Smart Urban Environments am Fraunhofer IAO. Interessiert an allen Geschichten hinter der Geschichte und fasziniert von kreativen Räumen in urbanen Quartieren oder im unmittelbaren Bürokontext. Überzeugte Co-Working Liebhaberin mit einem Faible für Schnittblumen, schwarzen Kaffee & Wein!

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Kategorien: New Work / Connected Work, Stadtentwicklung
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