Heute hier, morgen dort, übermorgen – wo auch immer. Unsere Gesellschaft wird immer flexibler, unabhängiger und global vernetzter. Doch trotz aller Freiheit: Als soziale Wesen brauchen wir auch Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Wie wirkt sich das auf unsere Wohnräume aus? Der neue Lebensstil zwischen Freiheit und Zugehörigkeit verändert die Anforderungen an Räume, Infrastrukturen und Services. Was es braucht, sind agilere, wandlungsfähige und resiliente Strukturen, die die benötigte Unabhängigkeit der Nutzenden ebenso unterstützen wie die Zusammenstellung neuer Gemeinschaften außerhalb der Kernfamilie – wie das Modell des Co-Livings. Steckt dahinter nur ein neues Trendwort für WG-Leben oder eine Antwort auf die Frage, wie wir in Zukunft wohnen und leben möchten?

Connectivity, Community, Co-Living

Co ist cool! Es scheint, als hätte die Vorsilbe in den letzten Jahren ihren Weg in fast alle Lebensbereiche geschafft: Co-Working, Co-Creation, Co-Working Spaces, Co-Parenting und eben auch Co-Living. Hinter dem Begriff Co-Living steckt allerdings weit mehr als nur ein Trend. Er beschreibt die Veränderung der Gesellschaft und insbesondere den Wandel im Bereich der Gruppenbildung, Dazugehörigkeit und Identitätsfindung. Laut des 2021 erschienen Berichts »The art of coliving« von Gui Pedrix kann Co-Living wie folgt beschrieben werden:

»The voluntary use of a residential structure that accommodates three or more biologically unrelated people who share major resources«.

Die Nutzenden von Co-Living Spaces sind vielfältig und reichen von digital Nomades, Studierenden und Start-up-Gründerinnen und -Gründern über Berufsanfängerinnen und -anfänger. Meistens sind Co-Living-Nutzende der Generation der Millennials (geboren zwischen 1980 und 2000) zugehörig und nehmen die Wohnungen temporär in einer bestimmten Phase ihres Lebens in Anspruch – jedoch nicht längerfristig. Egal, ob digital Nomades oder Studierende, die Motivationen für die Wahl des Umzugs in einen Co-Living Space lassen sich grundsätzlich auf folgende Faktoren zurückführen:

  • Community
    »Das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein.«
  • Connectivity
    »Die Möglichkeit, von anderen zu lernen und sich weiterzuentwickeln.«
  • Cost of living
    »In der Lage zu sein, seine eigenen vier Wände zu finanzieren.«
  • Flexibilität
    »In der Lage zu sein, seine eigenen vier Wände zu finanzieren.«
  • Service
    »Die Sicherheit, eines Rundum-Sorglos-Pakets.«

Die Besonderheit von Co-Living Spaces liegt mit Sicherheit nicht nur in den vollmöblierten Mikroappartements, die sich von klassischen Hotelzimmern meistens durch Ausstattungsmerkmale wie einer Küche inklusive Zubehör und kleinem Essbereich sowie mehr Stauraum unterscheiden, sondern insbesondere in dem hohen Anteil an Community-Flächen. Co-Living lebt von der Gemeinschaft – oder wie es Lea Hermanns über Poha House beschreibt, von dem Gefühl: Du bist nicht allein.

Trotz temporärer Nutzung investieren Co-Living-Anbieter in eine lebendige und inspirierende Gemeinschaft – nicht nur durch das passende Flächenangebot, sondern auch durch Leisure Offerings wie Yoga Sessions, Afterwork-Feiern, gemeinsame Kochabende, Ted Talks und vieles mehr. Gemeinsame Erlebnisse unterstützen dabei die Bildung von Teamgeist, Zugehörigkeit und Identität trotz hoher Wechselrate, Unabhängigkeit und Freiheit. Dass die Suche nach Gemeinschaft insbesondere für jüngere Generationen eine große Rolle spielt, ist kein Zufall, sondern das Resultat komplexerer Lebensläufe mit steigenden geographischen Verortungen.

Abbildung 1: Wohnen auf Zeit in einer lebendigen Community mit Yoga-Angeboten und gemeinsamen Kochsessions? Co-Living verbindet Freiheit und Zugehörigkeit. (© Fraunhofer IAO)

Abbildung 1: Wohnen auf Zeit in einer lebendigen Community mit Yoga-Angeboten und gemeinsamen Kochsessions? Co-Living verbindet Freiheit und Zugehörigkeit. (© Fraunhofer IAO)

Die unbegrenzten Möglichkeiten der »Generation global«

Vergleicht man Lebensläufe unterschiedlicher Generationen werden die starken Differenzen zwischen der Anzahl an »Heimaten« schnell deutlich: Wohingegen die Nachkriegsgeneration teils ihr ganzes Leben an einem Ort verbrachte und in eine geographisch festgelegte Community hineingeboren wurde, wechseln jüngere Generationen, wie die Generation Y (Millennials) oder Z, ihr Umfeld in einer unglaublich schnellen Dynamik und mit einer neuen Selbstverständlichkeit: für das Erasmussemester nach Spanien, zum Work-and-Travel-Erlebnis nach Australien, für den ersten Job nach Paris, den zweiten ins Ruhrgebiet und so weiter. Die sogenannte »Generation global« ist von einem Lebensstil zwischen Freiheit, Unabhängigkeit, Diversität sowie steigenden Gestaltungsmöglichkeiten geprägt. Die Herausforderung dabei: Den eigenen individuellen Weg in einer scheinbar grenzenlosen Welt an Optionen zu finden oder eben dauerhaft auf der Suche zu bleiben. So werden der »Generation global« oft auch Adjektive wie orientierungslos, überfordert, entscheidungsunfähig oder einsam zugeschrieben – mit Sicherheit nicht unbegründet, dennoch auf Basis der Entwicklung verständlich. Was es in der Welt der unbegrenzten Möglichkeiten insbesondere braucht? Eine neue Form der Gemeinschaft abseits der ursprünglichen Kernfamilie.

Co-Living und das, was kommt

Der Kern des Co-Living-Konzepts reagiert auf den Bedarf der Generation global. Die Community vor Ort, so heißt es, wird zur Familie auf Zeit mit intensiven gemeinsamen Erlebnissen auf Basis der Gewissheit, dass dieser Moment einzigartig sei. Der Trend um Co-Living Spaces verdeutlicht die aktuelle Problematik eines Wohnungsmarkts, der in großen Teilen nicht mehr zu den derzeitigen Anforderungen der Nutzenden passt. Es braucht kleinere private Flächen und große geteilte Gemeinschaftsbereiche, die eine hohe Flexibilität und modulare Angebote je nach individuellem Bedarf ermöglichen. Co-Living Spaces sind Vorzeigebeispiele einer neuen Wohnungsgeneration, die noch weitergedacht werden kann. Denn nicht nur die Generation global braucht neue Gemeinschaftsformen, auch ältere Menschen oder Alleinerziehende könnten zu den dauerhaften Zielgruppen gehören. Zusätzlich sollte Co-Living nicht nur gebäudebeschränkt betrachtet werden, sondern auch auf das umliegende Umfeld ausgeweitet werden. Co-Living-Quartiere mit einer extrem hohen Anzahl von Co-Spaces, zum Beispiel in Form von Nachbarschaftsbüros zum gemeinsamen Co-Working, sind ebenso vorstellbar wie gemeinsame Co-Kitchens. Die Potenziale von Co-Spaces sind groß und die Möglichkeiten scheinbar endlos. Es ist an der Zeit für einen Wandel der Ich- hin zu einer Wir-Kultur mit Flächen, die sich den neuen Bedarfen anpassen und nicht umgekehrt.

Um neue zukunftsfähige Wohnräume zu entwickeln und den Wohnungsmarkt in Richtung Avantgarde zu treiben, setzte ich mich gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Team Smart Urban Environments in mehreren Innovationsverbänden mit der Thematik auseinander. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus der Hotelindustrie entstehen im Verbund »FutureHotel« (siehe Leselinks) neue Businessmodelle zum Wohnen auf Zeit in der Hotelbranche. Im Innovationsnetzwerk »Future Public Space« wiederum steht insbesondere die Schnittstelle zwischen öffentlichen und privaten Räumen im Mittelpunkt (siehe Leselinks). Die unterschiedlichen Sichtweisen in interdisziplinären Teams ermöglichen die Entwicklung vielfältiger Ansätze für experimentelle, diverse Wohnkonzepte für eine Gesellschaft von morgen. Wir freuen uns über jeden Zuwachs in unseren Netzwerken, der weitere Ansichten und Ideen miteinbringt.

Leselinks:

Katharina Dienes

Teil des Teams Smart Urban Environments am Fraunhofer IAO. Interessiert an allen Geschichten hinter der Geschichte und fasziniert von kreativen Räumen in urbanen Quartieren oder im unmittelbaren Bürokontext. Überzeugte Co-Working Liebhaberin mit einem Faible für Schnittblumen, schwarzen Kaffee & Wein!

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Kategorien: New Work / Connected Work, Stadtentwicklung
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