Haben Sie sich schon einmal bei einem großen Unternehmen oder einer Behörde beworben? Dann haben Sie vielleicht selbst schon einmal die Stufen eines Masseneinstellungsverfahrens durchlaufen. Unsere Beobachtung: Diese Verfahren weisen oft einen doppelten Gender Bias auf. Unsere Fallstudie: die Bundespolizei.

Diskriminierung passiert, auch wenn sie nicht gewollt oder nicht beabsichtigt ist. Der Bias-Teufel steckt im Detail: Nicht selten entstehen Ungleichbehandlungen durch maschinelle Datenverarbeitung und stereotype Muster in Prozessen – ohne dass diese bewusst implementiert werden. Die Bundespolizei hat uns freundlicherweise Daten aus ihren Einstellungsverfahren zur Verfügung gestellt, mit denen sich verborgene doppelte Gender Biases in mehrstufigen Einstellungsverfahren identifizieren lassen. Vielen Dank an dieser Stelle, denn von den Ergebnissen können viele andere Organisationen auch profitieren.

Das Einstellungsverfahren für den gehobenen Dienst bei der Bundespolizei besteht aus einem Kurzaufsatz, einem Sporttest und einem Assessment-Center. In den letzten vier Jahren bewarben sich hier mehr als 10 000 Personen.

Einstellungssache: Versteckte Biases aufspüren

Mit einer sogenannten Adverse-Impact-Analyse lässt sich prüfen, ob ein Einstellungsverfahren geschlechtssensibel ist. Dafür teilt man den Anteil der in einem Prozessschritt erfolgreichen Männer durch den Anteil der erfolgreichen Frauen. In Diagramm 1 haben wir die Erfolgsquoten für den Kurzaufsatz, den Sporttest und das Assessment-Center für Frauen in Relation zu Männern dargestellt. Demnach lag die Erfolgsquote der Frauen im Durchschnitt bei 86 Prozent der Erfolgsquote der Männer – eine überraschende Beobachtung, da Frauen in sprachlichen Fächern in Schule und Studium generell bessere Leistungen erbringen als Männer.

Adverse-Impact-Analyse der Bewerbendenzahlen in den Stufen des Einstellungsverfahrens der Bundespolizei (Durchschnitt der Jahre 2020 bis 2021)

Adverse-Impact-Analyse der Bewerbendenzahlen in den Stufen des Einstellungsverfahrens der Bundespolizei (Durchschnitt der Jahre 2020 bis 2021)

Unsere Analyse zeigt außerdem: Während der Gender Bias beim Kurzaufsatz eher gering ist und beim Sporttest kein Gender Bias vorliegt (da hier geschlechtsspezifische Leistungsnormen definiert sind), fällt der Gender Bias im Assessment-Center zu Ungunsten von Männern aus. Männer erreichen hier im Schnitt nur 86 Prozent der Erfolgsquote der Frauen.

Dieses Muster findet sich so auch in anderen Organisationen

Nach eingehender Forschung zu Einstellungsverfahren und Einblicken in die schwer zu erhaltenden Daten einiger großer Organisationen stellen wir fest: Das beschriebene Muster ist typisch für mehrstufige Einstellungsverfahren. Frauen haben systematisch geringere Erfolgsquoten in kognitiven Fähigkeitstests (oft als »Intelligenztests« bezeichnet), während Männer in den anschließenden Assessment-Centern regelmäßig schlechter abschneiden. Dieses Muster bei der Bundespolizei ist beispielsweise auch in Bundestags-Drucksache 19/32523 (Seite 3, Antwort auf Frage 8) dokumentiert. Auch bei einer Reihe von Stadtverwaltungen deutscher Metropolen, die uns freundlicherweise ihre Einstellungsdaten zur Verfügung gestellt haben, sowie für die Polizei Nordrhein-Westfalen existieren Belege, die einen Gender Bias im kognitiven Fähigkeitstest vermuten lassen (bei der betreffenden Studie liegt der Fokus jedoch auf dem Faktor Migrationshintergrund, siehe Leselinks). Interessant ist, dass wir dieses Muster im Einstellungsverfahren zum mittleren Dienst der Bundespolizei nicht finden. Auch das scheint typisch zu sein.

Geschlechterdiskriminierung: Wie viel ist zu viel?

Dass kognitive Fähigkeitstests einen negativen Effekt auf die Diversität der Belegschaft haben, ist für US-amerikanische Unternehmen umfassend dokumentiert. Dabei stellt sich die Frage: wie viel Diskriminierung durch Einstellungstests ist zu viel?

In Deutschland gibt es keine festgelegten Grenzwerte, um zu beurteilen, wie viel Bias zu viel ist. In den USA hingegen gilt die 80%-Regel bei einer Adverse-Impact-Analyse: Wenn die Erfolgsquote einer Personengruppe (z. B. Männer) 80 Prozent oder weniger der Erfolgschancen einer Referenzgruppe beträgt, dann gilt die jeweilige Methode der Personalauswahl als potenziell diskriminierend und bedarf einer genaueren Prüfung. Im Diagramm haben wir dies durch rote Linien dargestellt.

Die Suche nach Antworten: Warum gibt es diese Gender Biases?

Aber warum schneiden Frauen im als »Intelligenztest« bezeichneten Kurzaufsatz der Bundespolizei schlechter ab? Wichtig ist: das Vorhandensein von Gender Bias bedeutet nicht zwangsläufig, dass eine Diskriminierung vorliegt. Leistungsunterschiede zwischen den Geschlechtern können andere Gründe haben.

Im Rahmen unseres Projekts recruitFAIR entwickeln wir einen geschlechtssensiblen Kompetenztest zur Personalauswahl. Wir haben festgestellt, dass eine Vielzahl dieser Tests – die oft in Anlehnung an psychologische Intelligenztests konzipiert sind – aktuell Frauen systematisch benachteiligen. Sehr häufig wird der Test IST-2000R als Vorlage verwendet, der den größten und vermutlich rechtlich problematischen Gender Bias aufweist. Aus unserer Sicht kann das problematisch sein, denn hier scheint ein Gender Bias direkte Folge des Tests zu sein. Manche Tests wie der M-KIT haben nachweislich keinen Gender Bias, andere Tests, eben wie der IST-2000R, einen sehr großen.

Und warum scheinen Männer im Assessment-Center im Durchschnitt schlechter abzuschneiden? Mit dieser Frage befasst sich mein Kollege Dr. Moritz Maier im zweiten Teil dieses Blog-Beitrags.

Wie sollen wir umgehen mit dem Gender Bias in »Intelligenztests«?

Wenn in einem Personalauswahlverfahren ein kognitiver Fähigkeitstest angewendet wird, ist also eine wesentliche Wahrscheinlichkeit gegeben, dass er Frauen benachteiligt. Was denken Sie? Wie sollten wir dieser Herausforderung begegnen: durch die gesetzliche Regulierung von diskriminierenden Algorithmen, durch obligatorische Adverse-Impact-Analysen für Unternehmen, durch strengere Qualitätskontrollen für die Entwicklung psychologischer Tests? Wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen!

Leselinks:

Clemens Striebing

Clemens forscht am Center for Responsible Research and Innovation des Fraunhofer IAO über Organisationskulturen und Diversity in Forschungs- und Entwicklungsprozessen. Er ist überzeugt, dass es die Reibungen zwischen unterschiedlichen Sichtweisen sind, die zu sozialen Innovationen führen.

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