First-Science-KIT: IAO-Blogreihe zum Corona Krisenmanagement
First-Science-KIT: Blogreihe zum Corona Krisenmanagement
Die Coronakrise fordert von uns allen ganz neue Herangehensweisen und Lösungen im beruflichen Miteinander. Das Fraunhofer IAO hat deshalb eine Blogreihe gestartet, mit der wir schnell anwendbare Praxistipps weitergeben, gut funktionierende Beispiele vorstellen und Lösungswege während und aus der Krise aufzeigen wollen.

Fernsehen zu schauen kann in diesen Tagen sehr anstrengend sein. In zahllosen Nachrichtensendungen und Polit-Talk-Shows lernt man die unterschiedlichen Facetten rund um die COVID-19-Ausbreitung und mögliche Strategien zur Eindämmung, Prävention und zum persönlichen Selbstschutz kennen. Im TV sind es sogar oft die gleichen Politikerinnen und Politiker, die den Zuschauenden die Situation erklären, der sie sich aber selbst nicht ganz sicher sind bzw. sich dieser auch selbst nicht sicher sein können.

Das geben die Betreffenden auch unumwunden zu. So zum Beispiel Ursula von der Leyen, die in einem Interview angab: »Ich glaube, wir alle, die wir nicht die Experten sind, haben am Anfang das Coronavirus unterschätzt«. Besonders interessant waren für mich die Auftritte von Armin Laschet in den letzten Tagen, der in seinen Antworten mehrmals verwundert rekapitulierte, wie sich die Ereignisse in den vergangenen Tagen überschlagen haben: Von zuschauerfreien Fußballspielen, über die komplette Absage von allen öffentlichen Veranstaltungen, bis hin zur Schließung von Einzelhandelsfilialen, Schulen und Kitas. Die stark ansteigenden Infektionszahlen erforderten jeden Tag eine neue Bewertung der Vorsichtsmaßnahmen und eine neue Prognose der wohl bereitzustellenden medizinischen Bedarfe.

Was Armin Laschet hier beschreibt, ist eine exponentielle Entwicklung aus einer linearen Perspektive. Denn über einen kurzen Zeitraum hinweg liegen exponentielle und lineare Entwicklungen nah beieinander. Nun kennt jeder den exponentiellen Anstieg der Infizierten-Statistik in Deutschland, aber auch in anderen Ländern der Welt. Das erscheint nachvollziehbar. Weniger leicht können wir uns hingegen vorstellen, dass unser persönlicher Handlungsspielraum in gleichem Maße abnimmt.

Wie also gelingt es, aus diesem Denkmuster auszubrechen? Wie können wir uns persönlich, aber auch innerhalb unserer Unternehmen und Organisationen aufstellen, um solchen Veränderungen in unserer linearen Welt zu begegnen?

Vom linearen und exponentiellen Denken

Wir kennen exponentielle Entwicklungen aus dem Bereich neuer Technologien. Gleichzeitig denken wir oft linear, was dazu führt, dass ein technologischer Wandel nicht zwangsläufig auch mit sozialen und kulturellen Veränderungen im gleichen Maße einhergeht. Nur weil die technischen Mittel für Remote- oder Heimarbeit schon lange zur Verfügung stehen, bedeutet das nicht, dass sich die Kultur oder die Prozesse einer Organisation daran angepasst haben.

Nun zwingt uns derzeit eine weltweite Pandemie aus unseren linearen Bahnen auszubrechen. Das wäre aber auch ohne Corona-Virus notwendig. Nicht umsonst nennt Tim Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, unsere Zeit das Jahrhundert der Beschleunigung – und die führt bekanntermaßen dazu, dass eine zurückgelegte Wegstrecke in einer gleichbleibenden Zeit immer schneller wächst, sich also exponentiell ändert.

Wir müssen also unser linear-kausales Denken überwinden, um die Komplexität unserer Zeit beherrschbar und begreifbar zu machen. Wie das gelingen kann? Mit Szenarien.

Vom Denken in Szenarios und Alternativen

Wichtig ist, zu verstehen und anzuerkennen, dass Szenarien keine Zukunftsvorhersagen sind. Stattdessen bedeutet in Szenarien zu denken, in Alternativen zu denken. Diese Alternativen sind formulierte Annahmen, die bewusst überspitzt und strukturell unterschiedlich, aber inhaltlich konsistent und plausibel sind. Ziel ist es, Wirkzusammenhänge und Effekte von derzeitigen und zukünftigen Einflussgrößen zu verstehen.

Warum ist das Denken in Szenarien nützlich?

  • Mit Szenarien lassen sich strategische Ausrichtungen, Handlungsspielräume und Zeitpläne definieren und legitimieren.
  • Szenarien erlauben es einen Diskurs anzuregen, da sie eine gemeinsame Entscheidungsgrundlage bilden können oder den Anlass für einen intensiven Austausch bei der kollaborativen Entwicklung darstellen.
  • Szenarien sensibilisieren stärker für das tatsächliche Geschehen, da sie es ermöglichen, die Folgen von bereits erkennbaren Tendenzen einzuordnen.
  • Mit Szenarien lassen sich bestehende Strategien und Maßnahmenpläne im Hinblick auf verschiedene Einflussfaktoren testen.

Mit Szenarien umzugehen bedeutet, bekanntes weiterzudenken, dabei aber auch den Einfluss von noch unbekannten Entwicklungen zuzulassen. Das Unvorhergesehene wird somit als Möglichkeit in Betracht gezogen.

Von schwarzen Schwänen

Nun muss man zur Ehrenrettung von Herrn Laschet und Frau von der Leyen sagen, dass es weltweit wohl niemanden in der Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft gab, der auf die aktuelle Situation angemessen vorbereitet war.

Der Autor und Forscher Nassim Nicholas Taleb hat in diesem Zusammenhang den Begriff des »schwarzen Schwans« geprägt, mit dem er ein extrem unwahrscheinliches Ereignis beschreibt, welches eine erhebliche Auswirkung hat und welches lediglich im Nachhinein als erwartbar eingestuft wird. Betrachtet man die COVID-19-Pandemie als schwarzen Schwan, so laufen konventionelle Risikomanagement-Betrachtungen sowohl auf volkswirtschaftlicher als auch auf betriebswirtschaftlicher Ebene ins Leere.

Doch auch das lehrt uns die vorherrschende Komplexität in Zeiten der Beschleunigung: Es geht nicht darum, Entwicklungen in ihrem vollen Umfang vorherzusehen, sondern es geht darum, angemessen darauf reagieren zu können. Genau hier können Szenarien helfen.

Und auch wenn es nicht ausreichend kommuniziert wird, denkt auch die Bundesregierung in Szenarien: »60 bis 70 Prozent der Bevölkerung könnten infiziert werden«, verkündete Angela Merkel vor zwei Wochen auf einer Bundespressekonferenz. Eine Aussage, die besorgniserregend ist, die aber für Handlungsfähigkeit und Orientierung sorgt, da sie eine Richtung vorgibt und Entscheidungen ermöglicht.

In diesem Sinne:

PS: Wenn Sie sich nun fragen, wie die Entwicklung von Szenarien genau vonstattengeht, dann haben Sie in meinem kommenden Blogbeitrag die Möglichkeit, mehr darüber zu erfahren.

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Patrick Ruess

Leitet das Team »District Innovation Ecosystems« und die Fraunhofer IAO-Außenstelle in München. Forscht daran, wie sich Neues in Städten etabliert und Innovationen übertragen werden können.

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Kategorien: Stadtentwicklung
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