Amerika ermöglicht, Frankreich verbietet und Deutschland lavierte lange Zeit herum. Das Thema E-Scooter spaltet die Verwaltung und Öffentlichkeit weltweit. Doch in der polarisierenden Diskussion zwischen Gegnern und Befürwortern gehen die konkreten Anforderungen und Herausforderungen an das neue Mobilitätsvehikel derzeit völlig unter. Entscheidend ist nicht »Ja« oder »Nein«, sondern »wie« und »zu welchen Bedingungen«.

Das Bundesverkehrsministerium hat sich viel Zeit gelassen bei der Zulassung der neuen Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung und somit bei der Zulassung der Elektro-Tretroller. Jetzt sind die kleinen Roller auf Deutschlands Straßen und Radwegen offiziell zugelassen. Nicht nur viele Deutsche, welche die Roller bereits in Urlaubs- oder Städtereisen kennenlernen konnten, haben auf die Freigabe gewartet, sondern auch die zahlreichen Verleihdienstleister, die nun in den kommenden Wochen die deutschen Städte als Markt mit erschließen möchten. Lime und Bird, wie auch die europäischen Mitbewerber von VOI oder TIER haben mit ihren bunten Fortbewegungsmitteln in zahlreichen nordamerikanischen und europäischen Metropolen für viel Aufsehen, Spaß aber auch Frust gesorgt.

Regulieren versus Innovieren?

Vergleicht man den Mobilitätsmarkt in Deutschland mit dem der USA, so fällt auf, dass öffentlicher und privater Sektor grundlegend anders bewertet werden. In den USA ist der ÖPNV aufgrund des noch viel dominanteren Individualverkehrs in vielen Städten unterentwickelt und fällt sogar zunehmend aufgrund zahlreicher privatwirtschaftlicher Konkurrenzangebote weiter zurück. Gerade Ride-Sharing-Unternehmen wie Uber, die hierzulande wiederrum in den letzten Jahren durch regulative Hürden zurückgedrängt wurden, kannibalisieren den konventionellen ÖPNV in den USA.

Die zurückhaltenden Vorgaben und Rahmenbedingungen in den USA erleichtern den dortigen Unternehmen Innovationen. In der Folge sind sie zu den weltweit führenden Technologieanbietern im Mobilitätsmarkt aufgestiegen. Gleichzeitig sind es genau diese Rahmenbedingungen, die es den US-amerikanischen Städten erschweren, diese Technologien auch möglichst progressiv einzusetzen. Je nach Sichtweise wird die Regulatorik als Innovationshemmnis wahrgenommen oder als wichtiges Instrument zur Ausgestaltung eines gesellschaftsdienlichen Mobilitätssystems.

Es ist kompliziert: Die Beziehung der Franzosen zu den Scootern

Während die Roller nun bei uns Einzug halten und als neuer Verkehrsteilnehmer auf den Straßen zugelassen sind, gilt das Experiment in anderen Städten wie Paris bereits als gescheitert. So beklagt die Stadt, dass sich trotz tausender verfügbarer Leihroller keine Verringerung des motorisierten Individualverkehrs erkennen lässt. Viel mehr nutzen Bürger oder Touristen die Roller zur Fortbewegung, statt zu Fuß zu gehen oder das Fahrrad zu nutzen. Eine Entwicklung, die bereits vom Car- oder Bike-Sharing bekannt ist. Eine solche Sichtweise ist allerdings zu kurz gedacht. Der (Leih-)Roller ist kein Allheilmittel, sondern ein Baustein in einem attraktiveren öffentlichen Mobilitätssystem, das viele gleichwertige Optionen verknüpft und anbietet. Diese Integration ist notwendig, um die Grundvoraussetzung zum Verzicht auf das eigene Auto in der Stadt zu schaffen: eine als gleichwertig empfundene Alternative durch den ÖPNV. Tausende bunte Roller verschiedenster Hersteller als isoliertes Beförderungsangebot reichen hier nicht aus. Stattdessen ist eine starke Verzahnung von kommunalen ÖPNV-Diensten und dem privatwirtschaftlichen Mobilitätsportfolio notwendig. Doch wie sieht ein progressiver Einsatz tatsächlich aus? Wie lassen sich die Fahrzeuge in Deutschland sinnvoll in den Verkehr integrieren?

Erfolgsbeispiel Los Angeles: Kooperieren statt Ausschließen

Wie dies gelingen kann, zeigt ein Beispiel aus den USA. Die Stadt Los Angeles hat bei der Gestaltung des regulatorischen Rahmens auch die Bereitstellung von Nutzungsdaten in einem standardisierten Format eingefordert. Die »Mobility Data Specification« erlaubt es den städtischen Behörden, die Einhaltung der Regeln zu prüfen und ermöglicht den Zugang zu Echtzeitdaten. Mit diesen kann die Platzierung der Roller auch in Bereichen der Stadt angefordert werden, die vom konventionellen ÖPNV nicht ausreichend abgedeckt sind. Im Gegenzug stellt die Stadt den Anbietern Verkehrsinformationen bereit, die die Sharing-Dienste für sich nutzen können. Privater und öffentlicher Sektor arbeiten also synergetisch zusammen und schaffen es, die E-Scooter als Baustein eines größeren Mobilitätskonzepts sinnvoll zu integrieren.

München als Vorreiter in Deutschland?

Für deutsche Stadtverwaltungen und kommunale Verkehrsbetriebe bedeutet dies strategische Partnerschaften einzugehen, klare Spielregeln zu kommunizieren und die Kompromissbereitschaft der Verleihunternehmen einzufordern. Gerade die Misere um die zahlreichen Leihfahrräder in Deutschlands Großstädten in den vergangenen beiden Jahren hat die Kommunen aufgeschreckt. Gleichzeitig wurden allerdings auch die Rolleranbieter dafür sensibilisiert, dass eine enge Zusammenarbeit mit den Behörden notwendig ist, um längerfristig bestehen zu können. Denn auch der Sharing-Markt der elektrischen Tretroller muss sich in den kommenden Monaten erst noch konsolidieren. Wie bei den Leihfahrrädern hat das zur Folge, dass die bunte Flotte in den Innenstädten noch an Farbe verliert.

Besonders leidgeprüft von der Leihfahrradschwemme war damals die Stadt München, die von tausenden gelben Rädern des asiatischen Start-ups oBike »heimgesucht« wurde. In München hat man aus der Situation gelernt: Die Münchner Verkehrsgesellschaft MVG arbeitet mit dem Berliner Sharing-Dienst TIER Mobility zusammen und integriert 1000 Tretroller in die eigene App. Eine solche Vernetzung verschiedener Mobilitätsangebote durch die Verknüpfung von kommunalen und privatwirtschaftlichen Leistungen zeigt, wie es funktionieren kann.

Im Projekt »2049: Zeitreise Mobilität« entwerfen wir im Rahmen des Deutschlandjahrs USA und in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Rundfunk Zukunftsbilder für die Mobilität in beiden Ländern. Hierzu sammeln wir sowohl Expertenstimmen als auch Nutzermeinungen. Ergebnisse aus der resultierende Studien werden in einer Dokumentation von arte aufgegriffen.

Wenn auch Sie Interesse daran haben, Ihre Vision einer zukünftigen Mobilität mit uns zu teilen, können Sie dies über den folgenden Link tun: https://www.befragung.iao.fraunhofer.de/3/limesurvey/index.php/943642?lang=de

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Patrick Ruess

Leitet das Team »District Innovation Ecosystems« und die Fraunhofer IAO-Außenstelle in München. Forscht daran, wie sich Neues in Städten etabliert und Innovationen übertragen werden können.

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Kategorien: Future Mobility, Innovation, Stadtentwicklung
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