Gastbeitrag
Wissenschaftsjahr 2013: Die demografische Chance

In Deutschland folgt man dem Trend bisher nur zögerlich. Vielleicht aufgrund der mangelnden Wertschätzung der Älteren in der Gesellschaft? In Japan etwa, dem Industrieland mit dem höchsten Anteil älterer Menschen, sind die Senioren auch bei der Produktentwicklung viel stärker im Blick. Ähnlich wie in Japan wird in 10-15 Jahren auch in Deutschland die Altersentwicklung aussehen.

Die technischen Disziplinen sollten deswegen mehr mit anderen Fächern aus den Bereichen der Gesellschafts-, Sozial- und Sportwissenschaften kooperieren, wie dies das Institut für Konstruktionstechnik und Technisches Design (IKTD) seit zwei Jahren im Rahmen des Studiengangs „Integrierte Gerontologie“ erfolgreich praktiziert. Ähnliche Synergien haben sich auch in einem Projekt in der Geriatrie des Robert-Bosch-Krankenhauses, ebenfalls ein Teil des Studiengangs Master-Online-Studiengangs „Integrierte Gerontologie“, ergeben. Dort konnten wir bereits Erfahrungen mit älteren Patienten zwischen 60 und 80 Jahren und deren Umgang mit Tablets sammeln. Touchscreen und die intuitive Steuerung kommen prinzipiell gut an bei Senioren. Sie spielen, recherchieren und lesen Bücher mit den flachen Rechnern. Es gibt aber noch viel Verbesserungspotenzial, welches die Unternehmen noch nicht ausschöpfen.

Für die Ingenieure mit Designausbildung vom IKTD sind Telefone und Tablet-Computer nur ein Teil ihrer Arbeit. Sie prüfen und verbessern viele Produkte aus gerontologischer Perspektive: Bankautomaten, Fernbedienungen oder auch DVD-Spieler. Eine ganz entscheidende Erkenntnis über das Bedienverhalten von Senioren: Ihr Seh- und Hörvermögen lässt oft stark nach, aber ihr Tastsinn bleibt länger erhalten. Senioren wollen sich die Geräte durch Ertasten erschließen. Außerdem ist es wichtig, dass sie vom Gerät Rückmeldung erhalten. Deshalb arbeiten sie am haptischen Feedback. Inzwischen gibt es erste Exemplare von Displays, die dem Benutzer fühlbar Rückmeldung geben.

Technische Spielereien für die Zielgruppe 60-Plus? Mitnichten: Wer sich dem Denken älterer Menschen anpasst, erschließt sich eine wichtige Zielgruppe der Zukunft.

Die Wirtschaft der Zukunft versteht ihre (älteren) Kunden

Nicht nur Spezialbetriebe, sondern auch die großen Technologiekonzerne haben langsam erkannt, wie wichtig es für Ingenieure ist, sich in Ältere einfühlen zu können. Dieses Verständnis wird zu einer Schlüsselkompetenz für die – meist älteren – Kunden der Zukunft. Autohersteller wie BMW und Audi arbeiten schon lange an Lösungen für ältere Fahrer, immer mehr Firmen setzen gezielt auf „Senior Entwickler“. Denn junge Ingenieure können sich nur bedingt nachvollziehen, wie Ältere mit Technik umgehen. Dabei spielt auch die Frage der alternden Belegschaften und wie man deren Erfahrungen und Kompetenzen erfolgreich nutzen kann eine wichtige Rolle. Ein Thema mit dem sich u.a. das Fraunhofer IAO auch im Rahmen des MASTER ONLINE INTEGRIERTE GERONTOLOGIE beschäftigt.

Es zeichnet sich ab, dass die Entwicklungsabteilungen in Zukunft verstärkt Ingenieure mit gerontologischer Kompetenz suchen werden, die Frage ist nur, wann sie endlich ihre demografische Chance ergreifen und mit der Suche beginnen.

Weitere Ansprechpartner zu diesem Thema: Prof. T. Maier und Dipl.-Ing. B. Janny, Institut für Konstruktionstechnik und Technisches Design, und A. Holder, M.A., Master: Online Integrierte Gerontologie, Institut für Sport- und Gesundheitswissenschaften, beide Universität Stuttgart

Thomas Maier

Prof. Dr.-Ing. Thomas Maier ist Leiter des Forschungs- und Lehrgebiets Technisches Design an der Universität Stuttgart.

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Kategorien: Digitalisierung, Mensch-Technik-Interaktion
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