Neurotechnologien bieten die Möglichkeit, technischen Systemen Informationen über mentale Zustände, Emotionen und Intentionen der Nutzer zu liefern. Auf Basis dieser zusätzlichen Nutzerinformationen können die Systeme ihr Verhalten gezielt an die individuellen Bedürfnisse des Nutzers anpassen und ihm passgenau Unterstützung, z.B. bei Arbeitsaufgaben, liefern (vgl. letzten Blogbeitrag). Aber wollen wir überhaupt, dass ein Computer unsere Gedanken liest? Für viele Menschen ist ein »Allwissender Computer« doch eher ein Horror-Szenario oder zumindest ziemlich unheimlich. Unter welchen Umständen und in welchen Situationen wäre dies akzeptabel, ja sogar erwünscht? Welche Bedenken gibt es?

Frag‘ doch mal den Nutzer

Befriedigende Antworten können – und müssen – uns nur die Nutzer selber liefern. Im neurowissenschaftlichen Bereich sind Forschung und Entwicklung immer noch stark technikgetrieben. Wissenschaftler konzentrieren sich vor allem darauf, neue technische Lösungen zu entwickeln – und vergessen dabei oft zu hinterfragen, ob die Nutzer diese wirklich brauchen oder nutzen würden.

Wir haben zwei Menschen aus unterschiedlichen Arbeitskontexten zu ihren Ideen bezüglich Einsatzszenarien, Interaktionsgestaltung und Datensicherheit von neuro-adaptiven Systemen befragt. Kim (32) ist Projektleiterin für ein mittelständisches Bauingenieursbüro, Sportfanatikerin und eine echte Teamplayerin. Winnie (19) ist Produktionsmitarbeiter bei einem namenhaften Automobilhersteller, Autofan und hat seit neuestem einen Roboter als Kollegen.

Wie würdest du ein neuro-adaptives System im Arbeitsalltag einsetzen?

Kim: »Ich würde mir für mein 4-köpfiges Team ein System wünschen, das sowas wie Stress, Aufmerksamkeit, Müdigkeit, Über- und Unterforderung erkennt. Mir ist es wichtig, dass meine Teammitglieder gesund sind und sich wohlfühlen. Leider bekomme ich von ihnen selten Feedback über Arbeitsbe- und -auslastung. Daher muss ich immer lange überlegen, welche Aufgaben ich an wen verteile.«

Winnie: »Mit dem neuen Roboterarm als Unterstützung geht beim Einbau der Navigationssysteme vieles leichter. Das Ding kann Lasten heben – da brauchten wir früher mindestens vier Kollegen. Der Roboter bewegt sich immer gleich – ich nicht. Manchmal muss ich Zwischenschritte einbauen. Dann muss ich den Arm umprogrammieren. Ich fände es gut, wenn er das automatisch merkt. Dazu darf er meinetwegen auch meine Gedanken lesen.«

Wie stellst du dir die Interaktion mit dem System vor?

Kim: »Für den Anfang würde es mir erst mal reichen, wenn das System mir die Stress- oder Unterforderungswerte für meine Mitarbeiter visualisiert. Dann könnte ich die Mitarbeiter individuell ansprechen und im gemeinsamen Gespräch die Aufgaben umverteilen. Ideal wäre natürlich, wenn das System automatisch einen Vorschlag für die Aufgabenverteilung macht – das würde mir noch zusätzlich Zeit sparen.«

Winnie: »Mir geht es hauptsächlich um die Bewegungsabstimmung. Der Roboter hält zum Beispiel ein Rohr, ich fädle das Kabel durch. Wenn ich einen Zwischenschritt brauche, will ich nicht neu programmieren müssen. Da soll der Roboter einfach kurz warten oder mir bei dem Zwischenschritt zur Hand gehen. Automatisch.«

Wie sollten Zugriff, Speicherung und Weitergabe der erfassten Hirndaten geregelt sein?

Kim: »Ich fände es schon gut, die Daten für jeden einzelnen Mitarbeiter zu sehen. So könnte ich jeden persönlich unterstützen und besser auf individuelle Probleme und Bedürfnisse eingehen. Aber ob die Mitarbeiter das so toll fänden?«

Winnie: »Dass der Roboter meine Daten erhält, finde ich okay. Aber mein Chef oder die Kollegen – niemals! Da würde auch unser Betriebsrat gar nicht mitmachen.«

Nutzerstudien im NeuroLab

Die beiden fiktiven Nutzer Kim und Winnie sind im Rahmen eines Innovationsworkshops zum Thema »Gehirn-Computer-Schnittstellen für die Arbeit von morgen« auf der »Mensch und Computer«-Konferenz 2015 entstanden. Solche Beispielnutzer können dabei helfen, relevante Fragen, Bedürfnisse und Anforderungen der Zielgruppe herauszufinden, ersetzen aber nie den Austausch mit realen Nutzern.

Neurotechnologien
Kim und Winnie @ work – wie können Neurotechnologien ihre Arbeit in Zukunft erleichtern?

 

Mit den echten Nutzern setzen wir uns seit diesem Jahr im NeuroLab des Fraunhofer IAO auseinander – und hoffen, dass sie uns in Gesprächen, Gruppendiskussionen und Nutzerstudien dabei helfen, Neurotechnologien sinnvoll in Mensch-Technik Systeme zu integrieren. Ob das Ergebnis zu den Ideen von Kim und Winnie passt, wird sich noch zeigen. Es bleibt spannend!

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Kathrin Pollmann

Advokatin für menschzentrierte Gestaltung mit dem Ziel, positive Nutzungserlebnisse mit Technik zu erschaffen. Kathrin hat beruflich einen Faible für Roboter, sich privat aber mehr Digital Detox vorgenommen.

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Kategorien: Digitalisierung, Mensch-Technik-Interaktion
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