Auf dem Papier und nur mit Blick auf die öffentliche finanzierte F&E steht Deutschland hinsichtlich der Gleichstellung gar nicht so schlecht da. Hochschulen sind heute in der Regel durch die Landesgesetze dazu verpflichtet, Gleichstellungspläne zu erstellen. Im Rahmen des Professorinnenprogramms wird bis zu einer halben Milliarde Euro zur Förderung der Einrichtung von mit Frauen besetzten Lehrstühlen sowie für Gleichstellungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt. Entsprechend sind auch in den Ingenieurswissenschaften sanfte Fortschritte erkennbar. Schaut man jedoch genauer hin, tut sich zum einen nicht genug, zum anderen ist aber noch ganz viel möglich.

Gleichstellung in F&E – wenig bewegt sich, weil die Maßnahmen nicht passen

Vor mehr als zwanzig Jahren wurde gerade einmal jede vierzehnte Promotion in den Ingenieurswissenschaften von einer Frau verfasst. Heute ist es etwa jede fünfte. Bei den C4/W3-Professuren wurde gerade einmal jede fünfzigste von einer Frau bekleidet. Heute ist es jede Zwölfte. Die Grafik zeigt, dass diese Entwicklung im Schneckentempo verläuft und in Bezug auf die Promotionen zum Erliegen gekommen zu sein scheint. In der privatwirtschaftlichen F&E, in der kaum Regelungen zur Gleichstellung bestehen, ist stagnierend jede fünfte Position von einer Forscherin besetzt.

Frauenanteile unter den Promotionen und C4/W3-Professuren in den Ingenieurswissenschaften.
Frauenanteile unter den Promotionen und C4/W3-Professuren in den Ingenieurswissenschaften. Quelle: Gemeinsame Wissenschaftskonferenz: 21.und 22. Fortschreibung des Datenmaterials zu Frauen in Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen.

 

Diese Entwicklung ist kein Grund zum Feiern – im Gegenteil: Wenn wir in absehbarer Zeit wirkliche Gleichstellung auch im F&E-Bereich wollen, müssen wir effektivere Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils entwickeln und einführen.

Mehr bewirken: Tools für Praktiker/-innen für mehr Wirkungsorientierung

Wir haben uns in den letzten drei Jahren als Teil eines internationalen Forschungsteams mit neuen Instrumenten der Gleichstellungsförderung beschäftigt. Wie kann man das bestehende Wissen über effektive Gleichstellungsmaßnahmen für Praktiker/-innen in F&E-Organisationen bündeln und sie bei der Programmgestaltung und der Evaluation von Gleichstellungsmaßnahmen unterstützen? Das Projekt »Evaluation Framework for Promoting Gender Equality in Research & Innovation«, kurz: EFFORTI, wurde von der Europäischen Kommission finanziert und hatte eine Laufzeit von 2016 bis 2019. Bereits nach kurzer Zeit hatten sich in unserem Forschungsteam drei Grundannahmen über smarte Gleichstellungsmaßnahmen herauskristallisiert:

  • Nicht alles funktioniert überall gleich gut: Bei der Entwicklung, Durchführung und Evaluation von Gleichstellungsmaßnahmen ist große Aufmerksamkeit auf deren Kontext zu legen – nicht alles funktioniert überall gleich gut.
  • Effektive Gleichstellungsmaßnahmen gehen über die Gleichstellung der Geschlechter hinaus. Sie verbessern bspw. auch die Leistungsfähigkeit oder Nachhaltigkeit einer Organisation.
  • Gleichstellung bedarf umfassender Ansätze: »Wirkung« ergibt sich in der Regel aus dem Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen und Faktoren und ist nicht fest planbar. Am erfolgversprechendsten sind daher umfassende Maßnahmenpakete, die an mehreren Stellschrauben ansetzen.

Ein Ergebnis von EFFORTI sind zwei Tools, mit denen EFFORTI Gleichstellungsbeauftragte, Programmgestalter/-innen und Evaluatoren/-innen darin unterstützt, Gleichstellungsprogramme wirkungsorientierter und strategischer anzulegen. Im Rahmen der Tools werden Nutzer/-innen für die Kontextfaktoren des von ihnen geplanten Programms sensibilisiert und für dessen potenziellen leistungsbezogenen Effekte.

Lebendiges Wiki mit Geschichten als Impulsgeber: Impact Story Knowledge Base

Die sogenannte Impact Story Knowledge Base ist ein visuell ansprechendes Wiki, in dem gegenwärtig 17 umfassende, auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft basierende Wirkungsmodelle gesammelt sind. Diese Impact Stories lassen sich als komplette Berichte aufrufen und informieren über potenzielle Effekte, Indikatoren und Erfolgsbedingungen von Gleichstellungsmaßnahmen wie Gleichstellungsplänen, Karriereentwicklungsprogrammen oder Gendered User Involvement. Dabei wird der Bogen gespannt zwischen den kurzfristigen, konkreten Effekten einer Maßnahme, ihrer Wirkung auf die jeweilige Zielgruppe und ihre Wirkung über diese hinaus. Karriereentwicklungsprogramme zielen zum Beispiel kurzfristig auf das Erlernen bestimmter Kompetenzen und Fähigkeiten, mittelfristig sollen sie die Karriereaussichten der Geförderten erhöhen und langfristig können sie die Geschlechterzusammensetzung sowie die Arbeitskultur in einer Organisation prägen.

Der Wissensbestand der Impact Story Knowledge Base lässt sich auch zielgerichtet auf bestimmte Gleichstellungsziele oder einzelne Indikatoren hin untersuchen. Praktiker/-innen können sich anhand der Impact Story Knowledge Base Inspiration für die Gestaltung ihrer eigenen Gleichstellungsprogramme verschaffen und konkrete Indikatoren zu deren Evaluation recherchieren.

Benutzeroberfläche der Impact Story Knowledge Base.
Benutzeroberfläche der Impact Story Knowledge Base.

 

Programme Theory Generator: Baukasten für gezielte Gleichstellungsmaßnahmen

Der »Programme Theory Generator« unterstützt Praktiker/-innen bei der Entwicklung maßgeschneiderter Programmtheorien. Er fragt schrittweise ab, welche Maßnahmen durchgeführt werden sollen und welche Effekte diesen zugerechnet werden. Dabei werden über eine Wortsuche automatisch passende Effekte vorgeschlagen. Das Ergebnis bildet ein visuell ansprechendes Template mit dem sich die Theorie eines Gleichstellungsprogramms darstellen und gegenüber ihren Stakeholdern lässt.

Beispiel einer mit dem Programme Theory Generator visualisierten Programmtheorie.
Beispiel einer mit dem Programme Theory Generator visualisierten Programmtheorie.

 

Darüber hinaus finden sich auf der EFFORTI-Homepage noch zahlreiche Guidelines und Berichte, bspw. zum Stand der Gleichstellung in F&E in Deutschland und anderen europäischen Staaten, mögliche leistungsbezogene Effekte von Gleichstellungsmaßnahmen und konkrete Kontextfaktoren.

Gleichstellungsbeauftragten und Diversity-Managern/-innen stehen heutzutage eine umfangreiche Forschung und zahlreiche Tools zur professionellen Entwicklung ihrer Maßnahmen und Programme zur Verfügung. Die Forschungen sind jedoch zum Teil widersprüchlich und die Tools erfordern aufgrund ihrer Komplexität oft eine hohe Einarbeitungszeit. Die EFFORTI Toolbox bietet eine kompakte, praxistaugliche Aufbereitung des vorhandenen Forschungswissens an, die Licht in das gegenwärtige Informationsdickicht bringt. Wir wollen Gleichstellungsbeauftragte sowie Diversity-Manager/-innen darin unterstützen, ihre Arbeit noch professioneller und strategischer auszurichten und somit noch wirkungsvoller zu gestalten. Teilen Sie uns Ihre Erfahrungen mit!

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Clemens Striebing

Clemens forscht am Center for Responsible Research and Innovation des Fraunhofer IAO über Organisationskulturen und Diversity in Forschungs- und Entwicklungsprozessen. Er ist überzeugt, dass es die Reibungen zwischen unterschiedlichen Sichtweisen sind, die zu sozialen Innovationen führen.

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