Unternehmen in Baden-Württemberg haben mehrere industrielle Revolutionen erfolgreich bewältigt. Dampfkraft, Elektrizität, Chemie und zuletzt die Informationstechnologien führten dabei jedes Mal zu Wachstum, neuen Branchen und zahlreichen Chancen für innovative Unternehmen. Wir können und sollten uns daher auch heute ohne Angst den Herausforderungen der Industrie 4.0 und der Zukunft der Arbeit stellen und uns auf die neuen Gestaltungsmöglichkeiten konzentrieren.
Veränderung als Chance begreifen: Partizipative Vorgehensweise für KMU
Auch die 4. Industrielle Revolution hält wieder gewaltige Chancen für diejenigen bereit, die diese erkennen und zu nutzen wissen. Veränderte Werte in Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft erzeugen Bedarfe für neue Leistungsangebote. Die Digitalisierung, KI, Robotik und intelligente Sensorik schaffen hervorragende Möglichkeiten für neue Geschäftsmodelle. Aus Umbrüchen auf den Absatz- und Arbeitsmärkten entstehen Nischen für kleine und mittlere Unternehmen.
Um diese Chancen zu ergreifen, müssen die Unternehmen sich und ihre Beschäftigten aktiv weiterentwickeln und auch bei der Art der Veränderung neue Wege gehen: Wer die Beschäftigten als proaktive und verantwortungsvolle Mitgestalter will, wer den Innovations- und Unternehmergeist auf allen Hierarchieebenen wecken möchte, der muss sich vom Prinzip der Verordnung von oben verabschieden. Doch Veränderungen erzeugen auch immer Irritation, weil bestehende, verlässliche Denkmuster und Strukturen hinterfragt, neu justiert oder sogar ersetzt werden. Irritation kann zum lähmenden Störfaktor werden oder durch kluges Management sogar zum Ausgangspunkt für eine gezielte Neuausrichtung von Beschäftigten und Unternehmen.
Mitarbeiter abholen und mitnehmen: Das Beispiel Zukunftskonferenz
Zweck einer Zukunftskonferenz ist es, bei den Beschäftigten Verständnis für den Handlungsbedarf zu wecken, Perspektiven aufzuzeigen, Ängste auf und ernst zu nehmen und so eine echte Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Dazu werden alle Beschäftigten eingeladen.
Eine solche Zukunftskonferenz kann beispielsweise mit einem Impulsvortrag beginnen, der den Handlungsbedarf erklärt und die Chancen für alle Beteiligten aufgezeigt.
Anschließend besuchen die Beschäftigten Dialog- und Lernstationen. Diese zeigen beispielsweise den IST-Zustand des Unternehmens mit Stärken und Schwächen, absehbare Entwicklungen in Märkten und Gesellschaft sowie Beispiele innovativer Technologien auf. In ergebnisoffenen Gesprächen auf Augenhöhe denken Beschäftigte und Management über mögliche Auswirkungen für die Leistungsangebote des Unternehmens nach. Andere Stationen verdeutlichen den Nutzen einer agilen Organisation und zeigen Beispiele erfolgreicher Vorreiterunternehmen. Hier entwickeln sich Diskussionen, welche Flexibilität das Unternehmen benötigt und unter welchen Bedingungen die Menschen gerne wirken wollen.
Am Nachmittag bilden sich interdisziplinäre Ideenrunden. Sie vertiefen relevante Themen und nehmen erste Ideen und Vorschläge zur Weiterentwicklung des Unternehmens auf. Abschließend wird das weitere Vorgehen abgestimmt.
Mitarbeiter als Mitgestalter: Agile Lern- und Entwicklungskreise
Aus den Ideenrunden entstehen agile Lern- und Entwicklungskreise. Alle Beschäftigten sind zur Mitwirkung eingeladen. Längerfristige Aufgabe ist es, das Unternehmen, die Produkte und die Prozesse neu zu erfinden. Zunächst geht es aber vor allem darum, die Beschäftigten an neue Aufgaben und an mehr Eigenverantwortung heranzuführen und gleichzeitig die Führungskräfte erleben zu lassen, dass das funktioniert. So entsteht beiderseitiges Vertrauen.
Startup-Mentalität: Klein anfangen, um groß raus zu kommen
In den ersten Wochen lösen die Kreise kleine, konkrete Probleme. Die grundsätzliche Vorgehensweise ist immer wieder dieselbe: Planen, umsetzen, testen und Reflexion. Da ständig Neues entwickelt wird, lernen alle Beteiligten zu lernen. Parallel zum agilen Vorgehen findet also ein agiles Lernen statt, das nicht auf Vorrat erfolgt, sondern dem jeweils aktuellen Bedarf folgt.
Die Menschen wachsen mit den Aufgaben und gehen bald größere Herausforderungen an. Mit der Zeit verändert sich die Einstellung bei Management und Beschäftigten und eine agile, am Menschen und an den Kunden orientierte Unternehmenskultur entwickelt sich.
Agiles Management: Vom Leiter zum Anleiter
Eine Zukunftskonferenz braucht Vorbereitung. Sie kann nur gelingen, wenn im Topmanagement Einigkeit über den Handlungsbedarf und die Stoßrichtung der zukünftigen Unternehmensentwicklung besteht. Dazu entwickelt die Geschäftsleitung eine grobe Vision vom zukünftigen Unternehmen und stellt Konsens über grundsätzliche Fragen her, beispielsweise, ob man die Beschäftigten tatsächlich eigenverantwortlich einbinden und wirkungsvolle Schritte in Richtung Selbstorganisation zulassen will.
Mit dieser Vorgehensweise wird kein detaillierter Plan zur Entwicklung des Unternehmens vorgelegt, sondern Leitplanken vorgegeben, die Freiräume für aktive Mitarbeiterbeteiligung bieten. Konkrete Vorgaben sind nicht das Wesen eines agilen Unternehmens. Das Topmanagement macht durchaus verbindliche Ansagen, allerdings lediglich in Form einer groben Vision und grundsätzlicher Prinzipien und Werte. Diese gilt es sorgfältig zu wählen, damit sie einerseits die Agilität nicht unnötig einschränken, aber andererseits in die gewünschte Richtung wirken. Dann kann sich das Topmanagement im Veränderungsprozess mehr und mehr zurücknehmen.
Es entwickelt sich ein lernendes, agiles Unternehmen, dessen Beschäftigte permanent nach neuen Möglichkeiten spüren und in der Lage sind, Chancen schnell in Produkte und Dienstleistungen zu überführen.
So geht es weiter
Einblicke, wie beteiligungsorientiertes Lernen in der Praxis funktioniert, bieten sich übrigens bei der Abschlusskonferenz »Zukunftsprojekt Arbeitswelt 4.0« am 7. Oktober im Haus der Wirtschaft in Stuttgart. Ich lade Sie herzlich dazu ein, zu diesem sowie zu den weiteren Themen meiner Blogreihe rund um die Arbeitswelt 4.0 (Agile Unternehmen, digitale Transformation, Mensch-Maschine-Verhältnis…) tiefer einzusteigen und in den Dialog zu kommen – ich freue mich auf den Austausch mit Ihnen!
In der Blogreihe »Arbeitswelt 4.0« zeigen wir auf, was sich verändert, welche Handlungsmöglichkeiten für Unternehmen resultieren und worauf sie im Veränderungsprozess achten sollten. Dargestellt werden Ergebnisse aus dem Projekt »DIALOG ARBEITSWELT 4.0 IN BADEN-WÜRTTEMBERG«. In diesem Projekt haben wir erforscht, wie kleine und mittelständische Unternehmen im Ländle ihre führende Position in den kommenden Jahren verteidigen können. Das Projekt wurde vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg gefördert und gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Soziologie der Universität Hohenheim bearbeitet.
Die Blogreihe »Arbeitswelt 4.0« wird in losen Abständen fortgesetzt.
Leselinks:
- Alle Blogbeiträge zum »Dialog Arbeitswelt 4.0 in Baden-Württemberg«
- Fachliche Vertiefung: »10. Leitsatz: Habt keine Angst vor tiefgreifenden Veränderungen« (.pdf)
- Projektwebseite »Dialog Arbeitswelt 4.0 in Baden-Württemberg« (wm.baden-wuerttemberg.de)
Kategorien: New Work / Connected Work
Tags: Arbeit der Zukunft, Arbeitsgestaltung, Arbeitswelt 4.0, Dialog Arbeitswelt 4.0 in Baden-Württemberg, Industrie 4.0