Vor einem Jahr war ich im Rahmen meines Projekts »2049: Zeitreise Mobilität« auf der re:publica zu Gast, der wichtigsten Konferenz der digitalen Gesellschaft in Europa. Damals hatte ich gerade erstmalig eine neue Herangehensweise getestet, um mittels virtueller Realität (VR) Nutzerreaktionen für die Akzeptanzbewertung von Technologien und Zukunftsszenarien zu erheben. Mit Abschluss des Projekts und dem Erscheinen der Studie ist es nun an der Zeit, noch einmal auf meinen damaligen Blogbeitrag vom Mai 2019 (siehe Leselink) zurückzublicken und die darin enthaltenen Botschaften mit meinem heutigen Wissensstand abzugleichen.

Botschaft 1: VR ist als Marketing-Instrument anerkannt, nicht aber als Testumgebung für Prototypen

Nach wie vor verspricht VR auf Messen und Veranstaltungen Besuchern ein außergewöhnliches Erlebnis, da es die Technologie bislang mehrheitlich noch nicht in die Wohn- und Kinderzimmer geschafft hat. Neugier, Interesse und Emotionen zu wecken sind ganz im Sinne des Marketings, da sie zu positiven Assoziationen mit dem Produkt führen. Von diesen Showcases und virtuellen Showrooms habe ich im vergangenen Jahr einige erlebt. Bedenken sollte man, dass Hardware mit technologischem Fortschritt zwar schnell erschwinglicher, aber potenzielle Kunden mit zunehmender Vertrautheit auch anspruchsvoller werden. Der Effekt nutzt sich also ab. Die Nutzung von VR hingegen, um in einen konstruktiven und offenen Austausch zu gehen, aus dem beide Seiten lernen können, scheint langfristig der vielversprechendere Ansatz zu sein. Denn hier macht man sich eine wesentliche Stärke von VR zu Nutze: Die authentische Vermittlung von erklärungsbedürftigen Konzepten auf visueller, emotionaler und kognitiver Ebene. Botschaft 1 bestätigt sich also auch mit dem Abschluss des Projekts.

VR-Befragung auf der diesjährigen Morgenstadt Werkstatt am Fraunhofer IAO.
VR-Befragung auf der diesjährigen Morgenstadt Werkstatt am Fraunhofer IAO. Copyright: Foto: Elia Schmid © Fraunhofer IAO

 

Botschaft 2: VR ist konventionellen Ansätzen bei Produkttests überlegen

Diese Aussage lässt sich nur schwer vollumfänglich belegen. Aus meiner Sicht gibt es aber starke Anzeichen dafür: Durch das Tragen einer VR-Brille wird eine aktive Auseinandersetzung der Teilnehmer mit den gezeigten Inhalten gefördert. Denn ablenkende Störfaktoren, wie beispielsweise das eigene Smartphone in der unmittelbaren Umgebung werden vollkommen ausgeblendet. Sitzt ein Proband in einem VR-Erlebnis, beispielsweise in einem autonomen Fahrzeug, so kann dieser aufgrund von unmittelbar entstehenden Emotionen beurteilen, ob ihm das Szenario zusagt oder nicht.

Zudem waren VR-Probanden bei der Beantwortung unseres Fragebogens schneller als Teilnehmer der vergleichbaren Online-Befragung. Ein dritter Punkt ist, dass das Gesehene zu einem weiteren Austausch mit den Projekt- oder Produktverantwortlichen anregt und so weiteres qualitatives Feedback zu Tage bringt.

Botschaft 3: VR ist ein sehr geeignetes Werkzeug für die Erhebung von Nutzermeinungen und -feedback

Im Projekt zeigten sich Abweichungen bei Antworten und Feedback zwischen Teilnehmern, die per Online-Erhebung teilnahmen und den VR-Befragten. VR eignet sich demnach insbesondere für Anwendungsfälle mit größerem Praxisbezug wie etwa Produkttests, da hier eine größere »Toleranzschwelle« besteht und oftmals auch schon ein Feedback in Form einer grundlegenden Tendenz oder eines allgemeinen Stimmungsbilds ausreichend ist.

VR ist somit ein sehr vielseitiges und spannendes Werkzeug, welches in Unternehmen auch lange vor der finalen Produktpräsentation und Vermarktung eingesetzt werden kann. Für erste Visualisierungen könnten beispielsweise ohnehin vorhandene 3D-Modelle verwendet werden, komplexere oder erklärungsbedürftigere Ansätze erfordern hingegen aufwändigere Inszenierungen.

Sollten Sie neugierig sein, wie wir VR in unserem Projekt genutzt haben, können Sie gerne einen Blick in unsere Studie werfen.

Demonstration der VR-Experience als 360-Grad-Video

Leselinks:

Patrick Ruess

Leitet das Team »District Innovation Ecosystems« und die Fraunhofer IAO-Außenstelle in München. Forscht daran, wie sich Neues in Städten etabliert und Innovationen übertragen werden können.

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Kategorien: Future Mobility, Stadtentwicklung
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