Die volks- und betriebswirtschaftliche Bedeutung von Dienstleistungen wächst rasant. Aber gibt es auch eine eigenständige Dienstleistungswissenschaft? Die Antwort lautet: Noch nicht, aber es ist an der Zeit, sich über diese Frage Gedanken zu machen. Deshalb hat sich im Rahmen der »Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft« – ein Expertenzirkel, der die Bundesregierung in Innovationsfragen unterstützt – eine Unterarbeitsgruppe »Service Science« gebildet. Ich selbst habe das Vergnügen, die Arbeitsgruppe »Service Science« wissenschaftlich zu begleiten.

Neue komplexe Service-Systeme
In der Arbeitsgruppe diskutieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der deutschen Dienstleistungsforschung über eine stärkere Verankerung des Themenfeldes Dienstleistungen in der akademischen Aus- und Weiterbildung. Warum sie das tun? Nun, weil Dienstleistungen immer wichtiger werden und der Einsatz moderner Informationstechnologie neue, sehr viel komplexere Dienstleistungsangebote er-möglicht. So entstehen z.B. im Umfeld von Social-Media-Anwendungen (Facebook etc.) neue Services, die zwar durch »harte« Informationstechnologien vorangetrieben werden, die jedoch zugleich den Charakter von »weichen« Beziehungsnetzwerken haben. Wenn man nicht nur die technischen, sondern auch die sozialen Funktionsweisen solcher Systeme verstehen will, verlangt das einen interdisziplinären Forschungsansatz, der technische, betriebswirtschaftliche und sozialwissenschaftliche Aspekte berücksichtigt.

Aktivitäten jenseits des nationalen Tellerrands
Der Begriff »Service Science« verweist auf einen solch integrierten Ansatz für die Betrachtung von Dienstleistungen als eigenständiger wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand. Vor allem im internationalen Umfeld ist die Diskussion um die Notwendigkeit der Etablierung einer Dienstleistungswissenschaft weit gediehen. So entstehen im angelsächsischen Raum schon entsprechende Lehrstühle und Curricula. Auch in Asien gibt es erste Forschungsinstitute, die sich »Service Science« auf die Fahne schreiben. Maßgeblich unterstützt werden diese Aktivitäten von Konzernen wie IBM oder Oracle, die Fachkräfte benötigen, die die komplexen Dienstleistungssysteme der Zukunft entwickeln und managen.

Service Science: Fake or Faith?
Die Arbeitsgruppe »Service Science« erarbeitet derzeit ein Positionspapier zum Potenzial einer »Service Science« in Deutschland. Auch ich selbst habe mich mit dem Thema »Service Science« in einem Arbeitspapier auseinander gesetzt. Ob es sich bei Dienstleistungen um einen Untersuchungsgegenstand handelt, der auf Basis (natur)wissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten vollständig plan- und erklärbar ist, kann freilich bezweifelt werden. Auf der anderen Seite sind Dienstleistungen zu wichtig geworden, als dass man die Forderung nach einer stärker wissenschaftlichen Fundierung ignorieren könnte. Die Experten der Arbeitsgruppe empfehlen daher, die Dienstleistungsforschung auf unterschiedlichen Ebenen zu fördern. Neben dem Ausbau der öffentlich geförderten Dienstleistungsforschung gehört dazu eine stärkere Verankerung des Themas »Dienstleistungen« innerhalb der etablierten Wissenschaftsstrukturen. So gibt es noch kaum deutschsprachige Fachzeitschriften zur Dienstleistungsforschung. Auch ist die Dienstleistungsforschung zu wenig in wissenschaftlichen Gremien und Communities organisiert.

Ob sich daraus eine neue Wissenschaftsdisziplin entwickelt, bleibt abzuwarten. Aber schon die wachsende Bedeutung von Dienstleistungen erfordert es, dass sich Wissenschaft, Wirtschaft und Politik mit den Potenzialen einer »Service Science« auseinandersetzen. Neugierig geworden? Sie haben Fragen, Ideen oder Anregungen? Gerne als Kommentar zu diesem Beitrag oder per E-Mail.

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Bernd Bienzeisler

Grenzstellen-Wissenschaftler am Fraunhofer IAO. Findet hier optimale Bedingungen, um seinen Interessen zwischen technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen nachzugehen. Bevorzugt privat die Fortbewegung auf Zweirädern.

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