Blogreihe »BexElektro«
Der Energiesektor sucht händeringend nach Fachpersonal im Bereich der regenerativen Energien und der Elektromobilität. Die schleppende Umsetzung der Energiewende liegt auch an fehlendem Fachkräftepotenzial. Unsere bestehenden Systeme der Aus- und Weiterbildung geraten durch den exponenziell wachsenden Bedarf an neuen Schlüsselqualifikationen für die Zukunft unseres Energiesystems an ihre Leistungsgrenze. Ein pragmatischer Ausweg könnten unbürokratische, smarte Ansätze der beruflichen Weiterbildung sein.

Vor mehr als vier Jahren konnten wir durch die erfolgreiche Teilnahme am InnoVET-Wettbewerb unser Verbundprojekt BexElektro starten (Was berufliche Bildung mit der Energiewende zu tun hat – Fraunhofer IAO – BLOG). Gemeinsam mit neun Partnern aus ganz Deutschland haben wir uns auf den Weg gemacht, neue modulare Bildungsangebote über die DQR-Stufen 4 bis 7 für Berufe der Energiewende anzubieten, also dort anzusetzen, wo bisher nach der bestandenen Gesellenprüfung bisher vor allem der Meister als weitere Karrierestufe wartete. Der Meistertitel qualifiziert bekanntermaßen vor allem für die Gründung oder Übernahme eines Handwerksbetriebs, zielt also auf eine bestimmte Zielgruppe von Menschen, die fachliche wie personenbezogene und unternehmerische Führung übernehmen wollen. Für fachliche Karrieren gab es bisher eher weniger Fortbildung in einem insgesamt auch sehr unübersichtlichen Weiterbildungsmarkt. Unser Anspruch war, ein ganzes Fortbildungssystem zu entwickeln, das die Möglichkeiten des 2020 novellierten Berufsbildungsgesetzes aufgreift und mit den formalen Abschlussstufen Berufsspezialist (DQR-Stufe 5), Bachelor Professional (DQR-Stufe 6) und Master Professional (DQR-Stufe 7) alle potenziellen Entwicklungsstufen umfasst, die gleichwertig zur akademischen Ausbildung sind.

Qualifizierte Fortbildung ist DER Faktor für die Personalbindung gerade in KMU

Dabei liegt gerade nach dem Abschluss der Gesellenprüfung die aus betrieblicher Sicht kritische Phase des Haltens des Personals. Wie Georg Thomas von der Heldele GmbH, die Partner des Projektes ist, in der folgenden Grafik eindrucksvoll dargestellt hatte.

Strategische Personalentwicklung ab DQR-Stufe 5, Quelle: Heldele GmbH

Strategische Personalentwicklung ab DQR-Stufe 5, Quelle: Heldele GmbH

Zu sehen ist der als »personalkritische Pfad« eingetragene Zeitraum nach Beendigung der Ausbildung, in dem typischerweise von fünf fertigen Gesellen nach fünf Jahren noch einer an Bord ist. Sprich: ein großer Teil, der auf Kosten der Betriebe ausgebildeten Personen hat bis dahin den Betrieb schon wieder verlassen, sei es, um den Arbeitgeber (aus Handwerkssicht heute leider häufig in Richtung Industrie) zu wechseln, oder evtl. eine akademisch orientierte Weiterentwicklung anzuschließen. Gerade die Angebote auf der DQR-Stufe 5, die im Projekt entwickelt und praktisch erprobt wurden, füllen hier eine echte Lücke, da sie eine direkt anschlussfähige, an die Berufserfahrung und die Kernthemen der Kunden aufbauende Fortbildung darstellt. Das Projektkonsortium ist stolz darauf, gleich drei Berufsspezialisten (für Erneuerbare Energie, Energieeffizienz und Energiemanagement (EEE), für Ladeinfrastruktursysteme der Elektromobilität (LIS), für Gebäudesystem-Integration (GSI)) im Projektverlauf entwickelt, durch das notwendige Ordnungsverfahren gebracht und praktisch erprobt zu haben. Die Angebote sind modular aufgebaut, in Blended Learning Formaten umgesetzt, und durch zeitgemäßse didaktische Formate unter Nutzung von AR-/VR-Technologien, Projektarbeiten, etc. charakterisiert. Die Teilnehmendenevaluation waren durchgängig sehr positiv, und das übrigens nicht nur seitens der Teilnehmenden selbst, sondern auch von Seiten der jeweiligen Geschäftsleitungen.

Auch Bachelor und Master Professional als sinnvolle Ergänzung

Zusätzlich wurden im Projekt auch die Bildungsabschlüsse für die darauf aufbauenden DQR-Stufen 6 (Bachelor Professional in Elektromobilität und nachhaltige Energiesysteme) und einer auch hierauf aufbauenden Master Professional entwickelt. Beide Abschlüsse verstehen sich NICHT als Konkurrenz zum Meister, der ja eher auf die Betriebsgründung oder -übernahme abzielt, sondern als Ergänzung für Personen, die sich fachlich spezialisieren, in größeren Projekten auch leitende Verantwortung einnehmen, aber keine primär disziplinarische Führungsfunktion einnehmen wollen. Beide Fortbildungsstufen müssen sich nun ebenfalls am Markt gleichberechtigt zu den akademischen Abschlüssen positionieren.

Qualität hat ihren Preis und erfordert ein mehrstufiges Ordnungsverfahren

Ein wichtiges Learning für das Projektkonsortium war auch der Umgang mit dem erforderlichen Ordnungsverfahren, um die Abschlüsse in den DQR-Rahmen einzupassen und die notwendigen kammer- bzw. ministeriumsseitigen Beschlüsse zu erlangen. Die DQR-Systematik umzusetzen und nachzuweisen, erfordert differenzierte Aufbereitungen, die Darstellung von vermittelten Kompetenzen und der dazugehörigen Methoden, und muss mit einer Anzahl prüfender Stellen abgestimmt und zeitlich eingetaktet werden. Das ist vor allem für die Bildungsanbieter ein Arbeitsaufwand, der rechtzeitig kalkuliert und kapazitativ sichergestellt werden muss. Er ist notwendig, um die Qualität und DQR-Einstufung abzusichern und damit den Teilnehmenden die Sicherheit zu vermitteln, ein hochqualitatives Bildungsangebot wahrzunehmen. Wie jede prozessuale Neuordnung müssen sich dazu aber auch noch Arbeitsprozesse standardisieren und gut abgestimmt werden.

Podiumsdiskussion bei der Abschlussveranstaltung am 23.10.2024, Quelle: IAO

Podiumsdiskussion bei der Abschlussveranstaltung am 23.10.2024, Quelle: IAO

Gleichwertig, aber eben nicht gleichartig: Plädoyer für mehr Selbstbewusstsein der beruflichen Bildung

In unserer Abschlussveranstaltung haben wir die Ergebnisse auch unter einer bildungspolitischen Perspektive diskutiert, unter anderem mit Thomas Bürkle, Unternehmer und Vorstandsmitglied der Innung für Elektro- und Informationstechnik Stuttgart, Präsident des Fachverband Elektro- und Informationstechnik Baden-Württemberg: Vizepräsident des Zentralverband der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH), Prof. Gerd Gidion, Professor für Technikdidaktik am KIT und auch Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des Projektes, mit den Geschäftsführern der Bildungsanbieter etz Stuttgart und der Erprobungspartner Heldele und Meyer Technik sowie einem Vertreter des Bundesinstituts für Berufsbildung BiBB, das das Projekt als Projektträger fachlich betreut hat. Eine wesentliche Einsicht war: Die Vermittlung der Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung in den Köpfen der Menschen ist wichtig und dringend notwendig, aber sie sollte NICHT mit einer »Gleichmacherei« im Sinne der Gleichartigkeit erkauft werden. Denn: beide Bildungsbereiche, die berufliche wie die akademische, haben ihre Berechtigung, ihr Profil und ihren Markt; ihre Unterschiede sollten selbstbewusst formuliert und in ihrer Komplementarität geschätzt werden. Aber festzuhalten bleibt eben (zumindest bisher) immer auch: Unser berufliches Bildungssystem in Deutschland ist stark, wir sind zu Recht stolz auf die Tradition und Qualität unserer beruflichen Ausbildung. Die darauf folgenden Stufen der beruflichen Fortbildung aber müssen jenseits des bekannten Meisterabschlusses aber eindeutig mehr Wertschätzung und Aufmerksamkeit erhalten, um die breit diagnostizierte Fachkräftelücke zu schließen. Der Trend zur Akademisierung ist unverändert stark. Die neuen Fortbildungsabschlüsse müssen sichtbarer in Tarifverträgen und Entgeltstufen verankert sein, in der Öffentlichkeitsarbeit der relevanten Verbände aufgenommen werden, aktiv vermarktet werden.

Die Projektbeteiligten von BexElektro sind stolz darauf, unter Förderung des BMBF dazu einen Teil beigetragen zu haben.

Josephine Hofmann

Leitet das Team »Zusammenarbeit und Führung« und forscht zum Thema Führungskonzepte und flexible Arbeitsformen. Bloggt am liebsten im Zug und nach inspirierenden Veranstaltungen und Begegnungen.

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Kategorien: New Work / Connected Work
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