Wie so vieles, hat die Pandemie auch die berufliche Bildung in Deutschland direkt betroffen. Bekannte Entwicklungsrichtungen haben sich verstärkt; zusätzlich alarmierend wirken ganz aktuelle Zahlen in Bezug auf den Rückgang von Azubi-Zahlen. Gleichzeitig sind sich alle einig, dass berufliche Aus- und Weiterbildung mit Blick auf die beschleunigte digitale Transformation ein wesentliches Aktionsfeld im strukturellen und demografischen Wandel darstellt. Grund genug, sich die aktuelle Situation einmal genauer anzusehen. Für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt ist die berufliche Bildung das grundlegende Fundament, um dem zunehmenden Innovationsdruck standzuhalten. Vor dem Hintergrund unseres Verbundprojekts BexElektro im Rahmen der InnoVET-Initiative des BMBF wollen wir in mehreren Blogbeiträgen wesentliche Themen der beruflichen Bildung und mögliche Lösungsansätze beleuchten. Wie gelingt es im Bereich Elektrotechnik mit Schwerpunkt Elektromobilität attraktive, effiziente und durchlässige Bildungswege mit hochwertigen Abschlüssen zu entwickeln? Insbesondere vor dem Hintergrund der Energie- und Mobilitätswende eine zentrale Frage, die wir im Rahmen des Projekts beantworten möchten.

Zum Einstieg unser Bild der Gesamtlage:

Uns gehen die Lehrlinge aus

Die aktuellen Meldungen der letzten Wochen verheißen nichts Gutes. Die Anzahl abgeschlossener Lehrverträge ist auf einem erneut sehr niedrigen Stand und bedeutet mit Blick auf den schon bestehenden, in Zukunft noch verstärkten Fachkräftemangel eine erneute Verschlechterung der Lage. So meldete der SWR am 8.6.2021, dass deutschlandweit von Oktober 2020 bis Ende April, also nach mehr als der Hälfte des laufenden Bewerbungsjahres, nur rund 430.000 Lehrstellen gemeldet wurden. Das seien etwa 60.000 weniger als im Vergleichszeitraum 2018/2019, also vor der Pandemie. Im vorläufigen Berufsbildungsbericht des BiBB für 2021 wird der Rückgang an abgeschlossenen Ausbildungsverträgen auf 11 Prozent beziffert. Vor allem der Rückgang bei den betrieblichen Ausbildungen schlägt hier zu Buche. Dies ist sicher zum einen pandemiebedingt zu erklären, weil auch typische Informationstage für Schüler*innen, Schnupperpraktika etc. ausfallen mussten. Dennoch hängt dieser Rückgang zum anderen auch mit dem schon länger bekannten veränderten Bildungswahlverhalten der Jugendlichen ab, die zunehmend hochschulische Alternativen prüfen, wenn es der individuelle Bildungserfolg ermöglicht. Besonders in Branchen mit bereits bestehendem Fachkräftemangel, wie z.B. im Bereich der Mechantronik und der Elektro-, IT- oder der Gesundheitsbranche machen sich diese Entwicklungen dramatisch bemerkbar. Auch wenn die Pandemie hier einen zusätzlichen negativen Effekt herbeigeführt hat, wird hier ein Trend verlängert, der schon seit Jahren anhält.

Berufliche Bildung zwischen Traditionsbewusstsein und Akademisierungstrend

In Deutschland sind wir zu Recht stolz auf unser bewährtes System der beruflichen Bildung, das betriebliche Praxis und die Vermittlung von grundständigem Wissen in Berufsschulen und überbetrieblichen Ausbildungsstätten verbindet. Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung finden ein etabliertes System weiterführender Qualifizierungsangebote vor, die zusätzlich zur bekannten Meisterprüfung, eine Vielzahl an Höherqualifizierungen z.B. in Form sogenannter Berufsspezia-list*innen vorsieht. Mit der Reform des Berufsbildungsgesetzes 2020 wurden mit dem Bachelor Professional und dem Master Professional weitere Schritte in Richtung einer größeren Gleichwertigkeit von Bildungsabschlüssen beruflicher und akademischer Ausrichtung gegangen. Allerdings müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass die über Jahrzehnte betriebene Bildungspolitik den Trend zu akademischer Bildung stark in den Vordergrund gestellt hat und berufliche Bildung allzu oft als weniger attraktiv erscheinen lässt. Auch wenn es im Corona-Jahr 2020 Dellen im Bereich der Aufnahmezahlen für ein Studium gab (die vor allem auf das Wegbleiben ausländischer Studierender zurückgeht), wird der Anteil der Schulabgänger*innen, die eine hochschulische Ausbildung anstreben, immer größer. Es wird zu prüfen sein, ob die Bemühungen zur Schaffung und Vermarktung von neuen Abschlussformen wie der Bachelor Professional tatsächlich zu einer Aufwertung der beruflichen Bildung führen werden. Auch das ist eines der Forschungsfragen im Projekt BexElektro.

Weiterbildungsbeteiligung, -formate und Geschäftsmodelle im Wandel

Die konsequente Weiterentwicklung von Beschäftigten nach Beendigung der Ausbildung ist in Zeiten digitaler Transformation wichtiger denn je. Eine relevante Kennzahl hierfür ist die Weiterbildungsbeteiligung. Über einen längeren Zeitraum betrachtet, ist ein deutlicher Anstieg der Weiterbildungsbeteiligung der Betriebe festzustellen. Waren 2001 nur 36 Prozent der Betriebe weiterbildungsaktiv, lag die Weiterbildungsbeteiligung 2019 bei 55 Prozent (2018: 54 Prozent). (BiBB-Berufsbildungsreport 2021). Das IAB-Betriebspanel beziffert die Weiterbildungsquote der Beschäftigten 2019 auf 34 Prozent (2018: ebenfalls 34 Prozent), wobei es branchen- und unternehmensgrößenspezifisch große Unterschiede gibt. Auch sinkt die Weiterbildungsbeteiligung in der Regel mit dem Alter der Beschäftigten. Mit Blick auf die häufig noch immer dominante Durchführungsform präsenzorientierter Angebote und die allgemeine Krisensituation ist es nicht überraschend, dass im Corona-Jahr 2020 38 Prozent des Mittelstands Weiterbildungen reduzierte, gut die Hälfte davon (20 Prozent) sogar auf null. Je stärker die Krisenbetroffenheit, desto häufiger der Rückzug. Corona schlägt sich nach der Untersuchung der KfW auch in der inhaltlichen Ausrichtung der Nachfrage nieder: Die Vermittlung von Digitalkompetenzen ist wesentlich wichtiger geworden.

Corona als Katalysator für digitale Vermittlungsformate – mit großem Aufholbedarf

Somit hat sich Corona auch im Bereich der Aus- und Weiterbildung als Katalysator für digitale Umsetzungsformate erwiesen, wobei deren Umsetzung und Nutzung noch sehr unterschiedlich sind. Für den ersten Lockdown zeigt die wbmonitor36-Umfrage von BIBB und dem Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE), dass vier von zehn bereits laufenden Weiterbildungsveranstaltungen (41 Prozent) fortgesetzt werden konnten, indem sie in den virtuellen Raum verlagert wurden oder weil sie bereits als Online-Format stattfanden. Der Anteil der Unternehmen, die Ausbildungsaktivitäten in den virtuellen Raum verlegen konnte, ist mit einem geschätzten Drittel noch kleiner; sie setzen dann zunehmend mobile Endgeräte und Videokonferenzsysteme ein. Gerade Unternehmen des Handwerks fallen hier besonders ab. Damit verändern sich auch Anforderungen an Bildungsanbieter und Lehrpersonal: Schon vor der Pandemie schätzten Weiterbildungsanbieter digitale Kompetenzen als relevant für die Auswahl ihres Lehrpersonals ein; mit der Pandemie nimmt deren Bedeutung erheblich zu. Die Weiterqualifizierung des Personals im Bereich digitaler Kompetenzen stellt somit ebenfalls eine wichtige Aufgabe dar. Wir können gespannt sein, in welchem Umfang diese große Gewöhnung an virtuelle Formate in neue, hybride Formate münden werden, wo sich Präsenzformate weiter bewähren und nachgefragt sein werden, welcher Marktdruck in Richtung digitaler Angebote aufgebaut werden wird, und was dies nicht zuletzt für die Geschäfts- und Pricingmodelle der Bildungsanbieter bedeuten wird.

Weiterbildung zwischen Selbstverantwortung, Führung und Personalentwicklung

In Bezug auf die Notwendigkeit lebenslanger Entwicklungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft gibt es keinen Dissens. Eine intensive Debatte findet sich allerdings in Bezug auf die Frage, wer für ihre Umsetzung die Hauptverantwortlichkeit trägt. Die Zeiten, in denen eine Weiterbildung im jährlichen Mitarbeiter*innengespräch thematisiert, in einen zu buchenden Kurs von der Personalabteilung organisiert und dann belegt wurde, gelten mit Blick auf kurzzyklische Themenentwicklungen, prozess- und arbeitsintegrierte Lernformen als überholt, zumal sich die genannte Reihenfolge und deren strukturelle Umsetzung in KMU bis heute oft nicht so strukturiert finden lässt. Man wird davon ausgehen können, dass es in Zukunft wesentlich mehr Verantwortlichkeit auch auf Seiten des Mitarbeitenden selbst und seiner Führungskraft allokiert werden muss, da nur diese die unmittelbaren Bedarfe und Fähigkeiten der einzelnen wirklich einschätzen können. Hierfür aber müssen sich auch Rollenbeschreibungen und Kompetenzen von Führungskräften weiterentwickeln.

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Josephine Hofmann

Leitet das Team »Zusammenarbeit und Führung« und forscht zum Thema Führungskonzepte und flexible Arbeitsformen. Bloggt am liebsten im Zug und nach inspirierenden Veranstaltungen und Begegnungen.

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Kategorien: Future Mobility, New Work / Connected Work
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