Wie isst man einen Elefanten? In Scheiben! Es ist ein bewährtes Mittel komplexe Aufgaben dadurch handhabbar zu machen, dass man sie modularisiert, also in Teilaufgaben aufspaltet. Funktionale Arbeitsteilung macht die Tätigkeiten, die ein Bereich oder ein Mitarbeiter auszuführen hat, überschaubar. Der Vertrieb spezialisiert sich auf den Verkauf, die Fräserei braucht sich nur um diesen Bearbeitungsschritt zu kümmern. Durch Spezialisierung und Übung werden Produktivität und Qualität der Ausführung positiv beeinflusst.

Das ist die gute Nachricht. Die funktionale Arbeitsteilung hat aber einen Haken. Jeder Prozess durchläuft eine Vielzahl von Bereichen. Die Aktivitäten und Ressourcen der einzelnen Bereiche müssen koordiniert, also sorgfältig geplant und aufeinander abgestimmt werden. Dabei müssen alle Bereiche gleichzeitig betrachtet werden. Koordination wird also durch Arbeitsteilung nur scheinbar modularisiert. In Wirklichkeit bleibt die volle Komplexität erhalten.

Arbeitsteilige Strukturen sind kaum beherrschbar
Bild 1: Arbeitsteilige Strukturen sind kaum noch beherrschbar

Warum funktionale Arbeitsteilung nicht mehr funktionieren kann


 Arbeitsteilige Strukturen
Präsentation 1: Arbeitsteilige Strukturen sind kaum noch beherrschbar

Wie bei einer Spinne in ihrem Netz laufen alle Fäden beim Management zusammen. Dort schlägt die volle Komplexität auf, weil hier die Entscheidungskompetenz selbst zu Detailfragen angesiedelt ist. Probleme werden von unten nach oben delegiert und die Lösungsanweisungen gehen den ganzen Prozess wieder zurück. Management wird zum Engpass, der Aufwand in den indirekten Bereichen explodiert, Ein eventueller Effektivitätsgewinn durch Spezialisierung bei den direkten Aufgaben geht dadurch verloren. Die Transparenz der Prozesse schwindet. Alles hängt „irgendwie“ mit allem zusammen. Aus der Notwendigkeit zur Koordination entstehen Zentralbereiche, Bürokratie (Verwaltung, Formalismen und Vorschriften) und Planwirtschaft (deterministische Steuerungs- und Kontrollsysteme). Diese Instrumente sollten eigentlich Komplexität reduzieren. In der funktionalen Arbeitsteilung schaffen sie neue Komplexität (Die Illusion der Planbarkeit)

  • Aufgrund des Koordinationsbedarfs kann es kaum gelingen, schnelle, selbststeuernde Regelkreise zu installieren. Das Unternehmen wird langsam und unflexibel
  • Entscheidungen müssen oftmals ohne Wissen um die konkrete Situation vor Ort getroffen werden. Weil die Folgen letztendlich kaum mehr vorhersagbar sind, erwächst aus jeder Innovation und jeder Veränderung eine potentielle Gefahr.

Bereiche nach Prozessen und Produkten schaffen Transparenz
Es ist die Komplexität der Koordination, die nicht mehr bewältigt werden kann. Sie steigt mit der Anzahl der zu koordinierenden Bereiche. Ohne funktionale Arbeitsteilung gäbe es keine Schnittstellen im Prozessablauf, und damit kaum Notwendigkeit zu koordinieren.
Wenn Koordinationsbedarf aus der funktionalen Arbeitsteilung entsteht, so kann er durch eine prozessgerechte Aufbauorganisation einfach und wirkungsvoll reduziert werden. Die Bereiche im Unternehmen werden nicht mehr nach Funktionen, sondern nach Prozessen und Produkten gliedert. Prozessgerechte Organisationsformen wie Sparten, Mini-Factories, Auftragscenter und Fertigungsinseln haben sich vielfach bewährt. Prozessorientierung wird hier nicht durch ein (zentrales, deterministisches) Koordinationssystem angestrebt, sondern in der Aufbauorganisation (Organigramm) abgebildet. Auf allen Ebenen des Unternehmens erfolgt die Gliederung der Bereiche nach umfassenden Prozessen vom Kunden zum Kunden.
Zu beachten ist allerdings, dass bei der prozessgerechten Aufbauorganisation Funktionen auf mehrere Bereiche aufgeteilt werden. Deshalb müssen Synergien, wie Erfahrungsaustausche oder Schulungen, gezielt organisiert werden. Wenn dadurch eine Matrixorganisation entsteht, so muss die disziplinarische Weisungsbefugnis beim Prozessverantwortlichen liegen, die fachliche Weisungsbefugnis wird dieser untergeordnet.

Autonome Teams befreien Management und Stäbe vom Tagesgeschäft
Es gibt eine zweite Art von Schnittstellen aus denen Koordinationsbedarfe entstehen, nämlich die Trennung von Entscheidung und Ausführung. Diese Schnittstellen werden durch eine konsequente Dezentralisierung und Delegation entlastet. Das Tagesgeschäft ist Aufgabe der Teams. Die prozessgerechte Aufbauorganisation folgt einer Art Subsidiaritätsprinzip, wonach Management und Stäbe keine Aufgabe übernehmen sollen, die von den Teams wahrgenommen werden können. Autonome Teamarbeit wird zur Regel-Arbeitsform, die Teams treffen Entscheidungen im Rahmen der Selbstorganisation und Selbststeuerung größtenteils selbst. Dies erfordert starke Teams und hochqualifizierte Teamleiter mit echter Führungsverantwortung, aber auch die Bereitschaft des Managements, loszulassen. Auch brauchen die Teams Unterstützung, vor allem für Aufgaben außerhalb des Tagesgeschäfts, sonst entstehen „Killerjobs“, denen kein gewöhnlicher Mensch gewachsen sein kann.

Der Koordinationsbedarf wird wirkungsvoll reduziert
Die prozessgerechte Aufbauorganisation bedeutet keinen Verzicht auf Spezialisierung. Auch sie modularisiert die Ausführung wirkungsvoll, denn jeder Bereich kümmert sich nur um eine begrenzte Produktmenge (sog. Mengenteilung). Die Bündelung ähnlicher Produkte reduziert die Komplexität in jedem Bereich durch Spezialisierung auf die produktspezifischen Prozesse.
Zusätzlich wird auch die Aufgabe der Koordination modularisiert. Jeder Bereich kann weitestgehend unabhängig von anderen Bereichen wirken (er ist autark) und koordiniert lediglich die eigenen Prozesse. Beispielsweise muss ein Bereich nur seine eigenen Maschinen und Aufträge steuern, Störungen in einem anderen Bereich wirken sich nicht aus. Außerdem liegt die Verantwortung für den gesamten Prozess in einer Hand, dadurch wird die Notwendigkeit zur Abstimmung mit anderen Bereichen weiter minimiert. Koordination kann zeitnah vor Ort erfolgen.

Die prozessgerechte Aufbauorganisation erschließt zahlreiche Vorteile:

  • Schnelligkeit durch kurze Wege
  • Flexibilität durch Transparenz
  • Schnittstellenminimierung und durchgängige Zuständigkeit
  • Motivation durch ganzheitliche Aufgaben und echte Verantwortung

Fazit:
Mit einer prozessgerechten Aufbauorganisation kann die Komplexität im globalen Kundenmarkt bewältigt werden. Die Komplexität wird sozusagen auf mehrere Bereiche und Teams aufgeteilt, es entsteht Transparenz. Selbstorganisation wird möglich, auf zentrale, deterministische Instrumente zur Koordination kann weitgehend verzichtet werden. Dies erfordert eine neue Form der Führung, die ich demnächst in einem weiteren Beitrag behandeln werde.

Axel Korge

Axel Korge hat das Institut verlassen.

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