In dieser Blog-Reihe wollen wir mit Ihnen diskutieren, wie eine geschlechtergerechte Energiewende aussehen kann.
»Jetzt auch noch Gender-Gaga bei der Energiewende!«. Wenn Sie sich beim Lesen des Titels bei diesem oder einem ähnlichen Gedanken erwischt haben, möchten wir Ihnen eine Brücke zum Thema dieses Beitrags bauen. Auch die Gestaltung unserer Energiewende wird beeinflusst von Stereotypen und Biases – die in manchen Aspekten sogar erfolgskritisch sein könnten.
In der Forschung besteht ein weitgehender Konsens, dass das Soziale und Kulturelle unsere wissenschaftliche Agenda und die Entwicklung der Technik beeinflusst. Gleichzeitig schafft die Technik Möglichkeiten für das Soziale und Kulturelle. Bei Technik, Sozialem und Kultur handelt es sich also weniger um klar voneinander abgrenzbare Sphären, als um ein eng miteinander verwobenes System zahlreicher, wechselseitiger und kaum vorhersagbarer Abhängigkeiten.
Die Energiewende prägt unsere Gesellschaft, unsere Gesellschaft prägt die Energiewende
Auch die Energieproduktion, ihr Konsum und damit auch die Energiewende lassen sich als ein soziotechnisches System betrachten. Energie bringt Wärme in unsere Wohnung, sie kocht und backt unser Essen und sie betreibt unsere elektrischen Geräte. Die Art und Weise, wie wir diese Energie herstellen und verbrauchen, prägt Arbeitsalltag und Gesundheitszustand für viele Menschen und damit auch ihre persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten – und sie prägt die Städte und Dörfer, in denen wir leben, sowie die Landschaften, in denen sie erzeugt wird. Es ist also nicht erstaunlich, dass Energiegewinnung und -nutzung, die so ein zentraler Bestandteil unseres Lebens ist, auch in deutlichem Zusammenhang zu den unterschiedlichen sozialen Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft steht. Wenn wir die Zusammenhänge zwischen Geschlecht (und natürlich auch anderen identitätsbildenden Faktoren wie Alter, Ethnie oder Wohnort) und unserem Energiesystem besser verstehen, kann es uns gelingen, nachhaltige Lösungen für eine gerechte und akzeptierte Energiewende zu gestalten.
Keine Wende ohne Frauen: ein Beispiel aus dem globalen Süden
In der Forschung erhält die Frage, wie eine gerechte Energiewende zu sauberer und bezahlbarer Energie gestaltet werden kann, immer mehr Aufmerksamkeit. In einer jüngeren Studie im ländlichen Raum Kenias wurde zum Beispiel ermittelt, dass von Männern geführte Haushalte mit einer bis zu 45 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit an das regionale Stromnetz angeschlossen sind. Von Frauen geführte Haushalte wiesen jedoch eine höhere Bereitschaft auf, saubere Brennstoffe zu nutzen. Die Autorinnen und der Autor sehen dies als Ergebnis der höheren Exposition von Frauen gegenüber giftigen Abgasen, die beim Kochen in geschlossenen Räumen entstehen. Auf dem kenianischen Land könnten Frauen also eine Schlüsselrolle bei der Adaption sauberer Brennstoffe auf Haushaltsebene spielen.
An der Geschlechterrealität vorbei: ein Beispiel aus dem globalen Norden
Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum die meisten smart energy applications an der Realität in unseren Haushalten scheitern? Laut der Wissenschaftlerin Yolande Strengers liegt es daran, dass sie für den »Ressourcen-Mann« designt sind. Dabei muss es sich aus ihrer Sicht nicht zwingend um einen Mann handeln. Der Ressourcen-Mann beschreibt vielmehr das Verbraucher-Bild der männlich geprägten Energie- und IT-Sektoren. Der Ressourcen-Mann ist ein Verbraucher mit viel Technikkompetenz und viel Zeit, sich um die Regulierung seines Energieverbrauchs Gedanken zu machen. Dagegen besteht die Realität aus: Schmutzwäsche, Staubsaugen, Betreuung von Angehörigen und Kindern – alles Tätigkeiten, die sowohl in deutschen Großstädten als auch in kenianischen Dörfern mehrheitlich von Frauen übernommen werden. Jede smart energy app ist zum Scheitern verurteilt, solange sie die faktischen Bedingungen außer Acht lässt, unter denen unser Energieverbrauch auf Haushaltsebene stattfindet. Dabei weisen auch in der EU gerade Frauen im Durchschnitt ein höheres Bewusstsein, eine höhere Handlungsbereitschaft und eine höhere Handlungsorientierung in Bezug auf Maßnahmen zum Energiesparen auf.
Diskutieren Sie mit uns über die Geschlechteraspekte der Energiewende!
Die Energiewende als gesellschaftlicher Transformationsprozess sollte auch sensibel für die soziale Vielfalt von Menschen sein. Das kann gelingen durch selbst-reflexive Forschung, zum Beispiel unter Berücksichtigung des Gendered Innovations-Methoden-Baukastens der Universität Stanford (Link siehe unten). Das Center for Responsible Research and Innovation des Fraunhofer IAO wird in den kommenden Jahren zum Forschungshub für eine bedarfsorientierte und faire Energiewende. Wir prognostizieren den Fachkräftebedarf und den Frauenanteil im Energiesektor Europas, befragen 30 000 Bürgerinnen und Bürger zu Diskriminierungserfahrungen im Zusammenhang mit Energiekonsum und -politik, erforschen unseren Begriff der »gerechte Energiewende« und untersuchen die Verbindung zwischen Gleichberechtigung und CO²-Emissionen. Durch diese Blog-Reihe möchten wir Sie in den kommenden Jahren über unsere Forschung auf dem Laufenden halten.
Leselinks:
- Alle Blogbeiträge zum Thema »Geschlechtergerechte Energiewende«
- Hier finden Sie die zitierte Fallstudie aus Kenia
- Das Konzept des Ressourcen-Manns wird hier ausführlich erklärt
- Studie zu Geschlechterunterschieden bei der Offenheit für die Nutzung von energiesparenden Endnutzenden-Technologien
- Sie wollen mehr zum Thema Gesundheitsschäden durch »schmutziges Kochen« erfahren und vielleicht eine entsprechende Gegeninitiative unterstützen?
- Gendered Innovations-Toolbox für geschlechtssensible Forschungs- und Entwicklungsprozesse
- Downlaod Policy Paper »Transformationen fair & feministisch gestalten«
Kategorien: Innovation, Mensch-Technik-Interaktion
Tags: Energiewende, Feministische Energiewende, Geschlechtergerechte Energiewende, smart energy, Transformation