Deutsche Mittelständler sind Innovationsmotoren in vielen wichtigen Märkten – doch die Instrumente, die viele Jahrzehnte für neue Produkte und Services gesorgt haben, reichen für die Herausforderungen der digitalen Transformation nicht mehr aus. Wer seine Spitzenposition auch in Zukunft behalten will, muss auch neue, kreative Wege gehen können.

Warum Erfolg auch zum Innovationsproblem werden kann

Erfolgreiche Mittelständler stecken in einem Innovationsdilemma: Je besser die Auslastung, je erfolgreicher das aktuelle Produkt und je fordernder das Tagesgeschäft, desto schwerer fällt es, mit der hart arbeitenden Belegschaft an neuen Ideen und Konzepten zu tüfteln. Unsere Analyse im Rahmen des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums am Fraunhofer IAO zeigte uns zwar, dass es den bestehenden Mitarbeitenden in der Regel nicht an Kreativität und Ideenreichtum fehlt – dass aber Arbeitsalltag, eingeschliffene Denkweisen und notorischer Zeitdruck es nahezu unmöglich machen, Bestehendes grundlegend zu reflektieren und gedankliche Neuansätze zu wagen. Gerade Mittelständler verfügen selten über eigene Innovationsmanager, die trotz Zeitdruck und Auslastung an zukunftsfähigen neuen Wegen tüfteln. Auch kreative Räume, spezifische User Research-Räume und Kreativplattformen oder einfach Rückzugsmöglichkeiten, um Ideen jenseits des alltäglichen Standards zu entwickeln, sind meinst ein Privileg großer Unternehmen. Im Rahmen des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Usability entwickeln wir daher am Fraunhofer IAO eine Lösung gegen diesen Engpass.

Disruption vom Alltag

Für eine erfolgreiche und grundlegende Innovation ist die richtige Vorgehensweise und das entsprechende Mindset von enormer Bedeutung, da sind sich alle einig. Und dieses Mindset benötigt drei wesentliche Komponenten:

  • Zeit für neue Denkwege und Experimente,
  • Methoden für gezielte Neuansätze und Kundenperspektiven sowie
  • kreative Räume außerhalb des Alltagstrotts und der permanenten Erreichbarkeit.

Mit den richtigen Methoden (z.B. Design Thinking, Lean Start up) können innovative Produkte, Systeme und Dienstleistungen geschaffen werden, die eine optimale Nutzung und positives Produkterleben ermöglichen und so die Marktposition des Unternehmens sichern.

Raum für Ideen

Im Rahmen unserer Bedarfsanalyse betrachteten wir zunächst die Situation vor Ort bei verschiedenen mittelständischen Unternehmen. Wie erwartet waren Räume, in denen sich einzelne Mitarbeitende oder Teams zurückziehen können, Mangelware. In Fokusgruppen und Befragungen ergaben sich vielfältige Anforderungen der Mitarbeitenden, wie z.B. der Wunsch nach Inspiration durch Verlassen des bekannten Raums oder einer flexiblen Unterstützung an verschiedenen Orten und Arbeitsplätzen. Auch eine Möglichkeit zur Individual- und Gruppenarbeit war den Befragten sehr wichtig.

Um diese ersten Anforderungen noch zu konkretisieren und tiefere Insights zu erhalten, führten wir ein »Site Visit«, d.h. eine ganztägige strukturierte Begleitung und Erfassung eines normalen Arbeitstages durch. Dieses Mal bei dem Start-Up Moviefy.

Fallstudie: Storytelling an realen Schauplätzen

Moviefy ist ein Startup von Fabian Eck und Sophie Burger. Die beiden setzen Apps für interaktive Erlebnisse mit starkem Lokalbezug um. Moviefy-Nutzer werden virtuell selbst zur Hauptfigur einer interaktiven Geschichte. Sie erleben eine beliebige Umgebung, beispielsweise einen Stadtteil oder ein Festival als Schauplatz einer Erzählung und lernen sie so auf spielerische Weise (neu) kennen. Moviefy stimmt die Handlung sowie die Emotionen der Protagonisten auf die Atmosphäre der jeweiligen Orte ab und macht Nutzer zu Akteuren, die den Storyverlauf interaktiv mitgestalten.

Anforderungsworkshop mit Moviefy
Erprobung mit Moviefy
PopUp Toolkit – Prototyp

Ein häufiger Ortswechsel samt kreativer Tools für die Entwicklung ist für Moviefy wichtig, weil er Möglichkeiten für Perspektivwechsel bietet – für Fabian Eck ein wesentlicher Aspekt auch unternehmerischer Kreativität: »Wir arbeiten für sehr unterschiedliche Auftraggeber, die jeweils ein eigenes gedankliches Modell mitbringen, welche Erfahrung ihre Kunden mit einer Moviefy Geschichte machen sollen. Da ist es wichtig, dass wir direkt mitdenken und nah an der jeweiligen Zielgruppe entwickeln. Ein Produkt, das Kinder für Film begeistern soll, funktioniert natürlich ganz anders als ein Entschleunigungstool für mehr Achtsamkeit im Alltag.«

Inspiration »out of the box«: PopUP Toolkit für Mittelständler, KMU und Startups

In Kreativräumen stehen vielfältige flexible Nutzungsmöglichkeiten, Methoden und Tools zur Verfügung, die Mitarbeitenden beim Innovationsprozess unterstützen. Um mit Orts- und Perspektivenwechsel den Innovationsprozess zu erleichtern, sollten diese jedoch am besten jederzeit und überall verfügbar sein.
Aufgrund der Beobachtungen und Interviews mit Moviefy erstellten wir daher eine erste protypische Umsetzung unserer Idee des »mobilen Kreativraums«.

Herausgekommen ist ein PopUP Toolkit für die Tasche, welches es ermöglicht, jederzeit und überall die typischen Funktionen eines Kreativraums zu nutzen. Es enthält diverse mehrfach beschreibbare Projektflächen für Sketches, Strategien, Brainstormings etc., die auf vielfältige Weise allein oder in der Gruppe verwendet werden können sowie ergänzende Kreativmaterialien wie Post-It’s, Stifte etc.

Als nächstes wird das PopUP Toolkit im Rahmen einer Roadshow in Baden-Württemberg und Bayern getestet und iterativ weiter angepasst und optimiert.

Die Termine werden auf der Webseite des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Usability veröffentlicht unter https://www.kompetenzzentrum-usability.digital/themen/arbeit-40

Wer uns bei der weiteren Bedarfsanalyse unterstützen möchte, kann uns gerne kontaktieren oder an unserer Umfrage teilnehmen unter https://ww2.unipark.de/uc/ID7_Forschung/9be8/ospe.php?qb

Das PopUP Toolkit ist eine Entwicklung der Wissenschaftlerinnen Stefanie Lutz und Anne Elisabeth Krüger, die im Rahmen des Forschungsvorhabens »Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrums Usability« entstanden ist.

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