Ist Ihnen USB-C ein Begriff? Genau, ich meine die neue EU-weite Norm für Ladestecker von Smartphones, Tablets und Co., die in erster Linie die Entstehung von Elektroschrott reduzieren soll. Darüber hinaus ist der neue Stecker aber auch ein hervorragendes Beispiel für das aus Japan stammende Prinzip des Poka Yoke (dt. »dumme Fehler vermeiden«): Anders als vorherige USB-Stecker-Generationen, kann der USB-Typ-C Stecker nicht falsch herum gesteckt werden, da er symmetrisch gestaltet ist (wer jetzt nicht innerlich etwas Erleichterung verspürt, werfe den ersten USB-Stick!). Der neue Standard ist also »fehlhandlungssicher«, ergo nutzungsfreundlich. Wäre das nicht auch wünschenswert für das Laden von deutlich größeren Akkus, z.B. beim Laden von elektrischen Pkw? In diesem Blog-Beitrag möchte ich einige Erkenntnisse aus den Fehleranalysen im Forschungsprojekt »Wirkkette Laden« präsentieren, aus denen wir Gestaltungsprämissen für die öffentliche Ladeinfrastruktur abgeleitet haben.

Nachdem Mira Kern und Lukas Keicher auf diesem Blog kürzlich bereits die Erlebnisse und Wahrnehmung unerfahrener und erfahrener Nutzenden von Elektrofahrzeug-Ladeinfrastruktur dargestellt haben (siehe Leselinks), möchte ich nun Licht auf die Backend- und Betriebssicht werfen. Dazu gehören sowohl Erfahrungen aus den im Rahmen des Projekts durchgeführten Big-Data-Analysen als auch fallbasierte Auswertungen der Tagebuchstudie, die durch Kombination von Backend-Daten mit der Vor-Ort Dokumentation von Ladevorgängen eine nahezu 360°-Betrachtung fehlerhafter Ladevorgänge ermöglichte.

Das 1×1 des Ökosystems Laden

Eine kurze technische Einführung: Um die nachfolgend beschriebenen Sachverhalte zu verstehen, sollten ein paar Grundlagen der ladeinfrastrukturellen Hard- und Softwarelandschaft bekannt sein. Ladestationen, egal ob AC oder DC, sind i.d.R. über OCPP (Open Charge Point Protocol) an ein softwareseitiges Backendsystem des Ladestationsbetreibers, dem CPO (Charge Point Operator), angebunden. Möchte nun eine Person bspw. mithilfe der Smartphone-App eines Elektromobilitätsanbieters (EMSP, E-Mobility Service Provider) einen Ladevorgang starten, so nimmt das entsprechende EMSP-Backend Kontakt zum CPO-Backend der genutzten Ladestation auf. Dies kann entweder auf direktem Weg (»peer-to-peer«), meist über das OCPI-Protokoll (Open Charge Point Interface) oder mithilfe einer Roaming-Plattform, bspw. via Hubject und deren Protokoll OICP, geschehen. Wesentlich für die gelungene Kommunikation der beteiligten Komponenten sind darüber hinaus eindeutige Kennungen für den genutzten Ladepunkt (EVSE-ID) und das genutzte Kundenkonto (EVCO-ID).

Die ernüchternde Realität: Gründe für Ladevorgangsende aus Datensicht oft unklar

Gestartet mit dem Ziel, die Häufigkeiten verschiedener Fehlerarten über eine Vielzahl von Ladestationstypen hinweg auf Basis einer statistischen Datenanalyse zu ermitteln, mussten wir im Projektverlauf schnell feststellen, dass uns bereits die Bereinigung und Harmonisierung der von den im Projekt beteiligten CPO und EMSP bereitgestellten Daten vor große Herausforderungen stellte. Das sage ich nicht, um mich über unser Schicksal als Forschende zu beklagen, sondern weil auch hier Poka Yoke helfen kann, den beteiligten Akteuren die Fehleranalyse und -behebung zu erleichtern.
So gibt es in den aktuell implementierten Versionen der Roaming-Protokolle OCPI und OICP keinen Parameter, der bspw. mit einer Vorgangs-ID beschrieben werden könnte, um eine eindeutige Zuordnung der Autorisierungsanfrage des EMSP und der beim CPO erstellten »Ladevorgangsaufzeichnung« (CDR, Charge Detail Record) zu ermöglichen. Immerhin: Im vergleichsweise jungen Release 2.2 von OCPI ist hierfür nun das Feld »authorization_reference« spezifiziert. Nur weil ein Feld existiert, heißt dies aber noch lange nicht, dass es auch genutzt wird, wie folgende Erkenntnis zeigt.
Wenn ein Ladevorgang beendet wird – sei es gewollt oder aufgrund eines Fehlers – schickt die Ladestation eine sogenannte »StopTransaction«-Nachricht via OCPP an das CPO-Backend. Das Protokoll sieht für diese Nachricht auch das Feld »Reason« (dt. Ursache) vor – dessen Nutzung jedoch nicht verpflichtend ist (»SHOULD«, nicht »MUST«, im Protokollsprech). Somit war auch für uns im Projekt nicht eindeutig nachvollziehbar, ob ein Ladevorgang tatsächlich aufgrund einer im zeitlichen Zusammenhang auftretenden Fehlermeldung endete oder weil er von der ladenden Person bzw. dem Fahrzeug beendet wurde.
An dieser Stelle sei außerdem erwähnt, dass die eben erwähnten Fehlermeldungen nicht herstellerübergreifend standardisiert sind und sich die Implementierungen von OCPP je nach Ladestationstyp mitunter deutlich unterscheiden. Dies schafft zusätzliche Komplexität, die Ladestationsbetreiber beherrschen müssen. Könnte hier die EU nicht auch mal …? Wenn, dann aber bitte natürlich so, dass Innovation weiter möglich bleibt!

Was der Blick ins Tagebuch verrät

Die Tagebuchstudie ist ein Klassiker der Elektromobilitätsforschung und so durfte dieser Ansatz natürlich auch in der ganzheitlichen Vorgehensweise von »Wirkkette Laden« nicht fehlen. Dazu haben wir im Projekt 61 Personen rekrutiert, die ein Elektrofahrzeug nutzen und bereit waren, ihre Ladevorgänge individuell zu dokumentieren. Im Zeitraum von Januar bis Ende Juni 2022 wurden insgesamt 312 Ladevorgänge vollständig dokumentiert. Davon wurden 88 (28 Prozent) als fehlerhaft bewertet, 203 waren fehlerfrei, genauso wie 21 weitere, in deren Kontext aber anderweitig Kritik geäußert wurde.

Abbildung 1: Auswertung der im Rahmen der Tagebuchstudie dokumentierten Ladevorgänge. Quelle: eigene Abbildung

Abbildung 1: Auswertung der im Rahmen der Tagebuchstudie dokumentierten Ladevorgänge. Quelle: eigene Abbildung

Quick-Wins für »fehlhandlungssicheres« Laden

Für die fehlerhaften Ladevorgänge, die an der Ladeinfrastruktur der Projektpartner stattfanden, wurde nun nicht nur das Feedback der Studienteilnehmenden ausgewertet, sondern auch die zugehörigen Aufzeichnungen in den Backends der beteiligten Partner betrachtet. In 44 Prozent der Fälle gab es ein technisches Problem mit der Ladestation – es bestätigt sich also mehr oder weniger der von Kollege Keicher auf Basis seiner semantischen Analyse ermittelte, aus Kundschaftssicht wahrgenommene Problemschwerpunkt im Prozessschritt »Laden«. Poka-Yoka-mäßig ist hier aber nichts zu holen (zumindest nicht für mich), weswegen ich abschließend zwei anschauliche »quick wins« darlegen möchte:

  • Eindeutige Kennzeichnung des Ladepunkts: Mehrfach gab es in der Tagebuchstudie Probleme beim Starten von Ladevorgängen durch das Scannen des auf der Ladestation angebrachten QR-Codes, weil in diesem Code nicht die branchenweit eindeutige Kennung des Ladepunkts, die EVSE-ID, sondern nur eine ladestationsbetreiberspezifische ID enthalten war. Deutlich »fehlhandlungssicherer« wäre es, durchgehend und ausschließlich die EVSE-ID oder ein Teil der EVSE-ID zu nutzen.
  • Unmissverständliche visuelle Hinweise: Weil die zwei identischen, fest angeschlagenen CCS-Kabel einer Schnellladestation vertauscht zurück in ihre Fassungen gesteckt wurden (erinnert irgendwie an den USB-Exkurs aus der Einleitung, hm?), gingen bei einem dokumentierten Ladevorgang 10 Minuten verloren, bis die ladende Person erkannte, dass sich das von ihr aktivierte Kabel nicht in der dafür vorgesehen (und sogar farbig aufleuchtenden) Fassung befand. Wirklich »fehlhandlungssicher« wäre es bspw., wenn nicht die Fassung, sondern der aktivierte Stecker selbst aufleuchten würde.

Weitere Prämissen für die nutzungsfreundliche Gestaltung öffentlicher Ladeinfrastruktur, die wir nicht nur aus der Tagebuchstudie, sondern auch aus dem von Mira Kern beschriebenen Reallaborversuch abgeleitet haben (siehe Leselinks), finden Sie in einer PDF, die in den Leselinks verlinkt ist. Wir wollen mit diesem Dokument unseren Beitrag dazu zu leisten, das Ökosystem Laden weiter zu verbessern, sodass »Einfach Laden« immer und überall funktioniert – egal, wie man es dreht und wendet.

Leselinks:

Felix Röckle

Studierter Wirtschaftsingenieur und Innovationsmanager, der Ineffizienz nicht ausstehen kann. Deshalb forscht er am Fraunhofer IAO zu effizienten Lösungen für die Mobilitätsherausforderungen von morgen. Auch privat viel unterwegs – in der Stadt am liebsten mit dem Fahrrad.

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Kategorien: Future Mobility, Innovation
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