Alexander Bernert, Head of Retail Market Management Zurich Gruppe Deutschland, hält beim Fraunhofer-Forum »Innovate Insurance« am 19. Juni 2018 in Stuttgart einen Vortrag zum Thema »Hack your company – Wie man mit Design Thinking und agilem Arbeiten das Unternehmen verändert«. Im Vorfeld haben wir mit ihm über Experimentierfreude und agile Versicherer gesprochen.

Herr Bernert, wie schafft es Zurich als Versicherungskonzern, eine innovative Unternehmenskultur zu verankern?

Alexander Bernert: Durch einfaches Tun! Es reicht nicht aus, gerne und viel über agiles Arbeiten zu reden, sich dabei der Krawatten zu entledigen und bunte Sneaker zu tragen. Das sieht dann nach vorne innovativ aus, aber im Kern ändert sich dann oft nicht wirklich viel. Wir bei Zurich haben schon vor Jahren damit begonnen, tatsächlich agil zu arbeiten und das Thema mehr und mehr zu leben. Denn eine Innovationskultur kann man nicht verordnen – jedoch fördern. Es geht also um das Stärken einer fruchtbaren Denkweise, durch die schließlich innovative Lösungen entwickelt werden.

Was bedeutet das konkret?

Im Unternehmen braucht man den echten Willen, neue Dinge auszuprobieren und auch die Bereitschaft, zu akzeptieren, wenn mal was schiefgeht. Am Anfang wissen Sie ja nicht, ob eine Idee gut ist. Innovationskultur bedeutet also, dass die Leute bereit sind, etwas auszuprobieren. Und man braucht natürlich die Ressourcen dafür, das im Kleinen Bewährte systematisch auszurollen und zu verfeinern. Pharma-Unternehmen sind da ein gutes Beispiel: Jedes Medikament ist ein Experiment, ob die Innovation funktioniert – eine Erfolgschance von 1:99 ist da normal. Wenn das Pharma-Unternehmen sagen würde, wir machen nur Medikamente, bei denen wir uns hundertprozentig sicher sind, dann würde es wohl keine Innovation geben.

Also sollte eine Kultur des Scheiterns bedingungslos akzeptiert werden?

Das klingt jetzt so, als wollte man um jeden Preis scheitern. Ich würde das eher Portfolio- oder Venture-Kultur nennen. In einer Venture-Kultur gibt es eine Regel: Wenn man mit jedem Unternehmen, das man fördert, Erfolg hat, dann geht man zu wenig Risiko ein und reizt die Risk-Return-Quote nicht optimal aus. Man muss Innovationen immer im Portfolio denken und akzeptieren, dass in einem Portfolio immer ein Teil nicht funktionieren wird. Man kann nicht immer voll auf Nummer sicher gehen.

Das Risiko ist bei Versicherern besonders hoch – es gibt teils lange Fristen von zwanzig Jahren, die ein Produkt überdauert.

Das ist richtig und wirklich problematisch. Man muss also sehr genau darüber nachdenken, in welchen Bereichen man wie innoviert und welche langfristigen Konsequenzen das haben kann. Man experimentiert dann häufig erst mal in unkritischen Bereichen.

Woran testen Sie? Welche Themen und Trends haben Sie gegenwärtig auf dem Radar?

Ein großes Thema für uns nach wie vor ist, wie wir mehr mit Kunden in Kontakt kommen. Es geht um Services, bestimmte Erweiterungen eines Versicherungsprodukts oder -prozesses. Telematik ist ein Klassiker, da kann man Gründe für die Kundeninteraktion schaffen. Sonst hat der Kunde selten Kontakt zum Versicherer und nimmt den eher als lästig wahr. Obgleich eine Versicherung ein sehr emotionales Produkt ist. Es geht schließlich um Leben, um Sterben oder um den Schutz der Dinge, die man liebt. Die technische Seite ist am Ende nur ein Hilfsmittel, um Empathie zu schaffen. Wir testen gerade den bestmöglichen Einsatz von Künstlicher Intelligenz, vor allem in der Kundeninteraktion aber auch intern bei uns im Backend, um Prozesse zu optimieren. Über Augmented und Virtual Reality bzw. Blockchain machen wir uns auch Gedanken.

Sie bauen intern sogenannte agile Champions auf. Was hat es damit auf sich?

Die Champions haben sich bei uns in den letzten beiden Jahren fest etabliert. Die interdisziplinären Teams sind praktisch interne Start-ups und schaffen Räume, in denen man experimentieren kann und darf. Und in denen der Portfoliosteuerungsgedanke gelebt wird. Die Aufgabe der Champions, die wir nach Kundensegmenten aufgestellt haben, ist es, zu schauen, wie unsere Kunden eigentlich Zurich als Versicherer entlang der verschiedenen Berührungspunkte erleben. Mithilfe der klassischen Persona- und Design Thinking-Ansätze wird untersucht, was Kunden wirklich wollen bzw. brauchen. Die Champions haben so schon zusammen mit der klassischen Linie eine innovative Lösung für die Schadenmeldung mitentwickelt. Kunden können jetzt Schäden am Auto per Video viel schneller als früher begutachten lassen.

Sie haben auch Einiges an Hackathon-Erfahrung gesammelt. Wie hat das geklappt?

Hackathons ermöglichen es, Ideen von außen reinzubringen und auch uns selbst herauszufordern. Es ist spannend zu sehen, wie lange es braucht, eine Idee als Prototyp in die Tat umzusetzen und motiviert ungemein. Die Ergebnisse, die daraus entstehen, sind in der ersten Runde für den Kunden testbar, sodass er sagen kann: »Ja, das interessiert mich, das gefällt mir« oder eben auch nicht.

Und wenn es gefällt?

Dann nehmen wir die Ideen in unsere Innovationslandkarte mit auf und sie werden Teil des Portfolios. Bei Innovationsvorhaben schaue ich auf das Portfolio – und in meiner Rolle tue ich das ziemlich viel – und sortiere die Ideen. Die Ideen, die eine signifikante Verbesserung bringen können, werden weiterverfolgt, die Themen, an die keiner glaubt, werden nicht weiterverfolgt. Es müssen dann auch nicht acht große Themen im Jahr sein, es reichen auch zwei bis vier Themen, die einen echten Mehrwert für die Kunden bringen.

Ihr Geheimtipp für mehr Innovation?

Die Basis sind unterschiedliche Fähigkeiten in unterschiedlichen Rollen. Man braucht kreative Köpfe, die ausprobieren. Aber auch die klassische Organisation, das heißt Mitarbeiter, die Ideen dann auch konsequent ausrollen und skalieren. Innovationen entstehen nicht im Elfenbeinturm, sondern im lebendigen Austausch miteinander. Dazu müssen alle das gleiche Ziel vor Augen haben und ihre unterschiedlichen Stärken individuell einbringen.

Das vollständige Interview erschien zuerst am 1. Juni 2018 in der Printausgabe der Zeitschrift »Versicherungswirtschaft«.

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Julia Berner

Julia Berner ist Forscherin, Kommunikatorin und Innovationsbegleiterin an der Schnittstelle von Mensch und Technologie. Auf dem Blog teilt sie Ergebnisse und Beobachtungen aus ihrer Arbeit u. a. zu den Themen digitale Transformation, Künstliche Intelligenz, Cloud Computing sowie smarte Services und Produkte. Sie freut sich über eine Vernetzung auf LinkedIn.

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