Agilität erfordert Selbständigkeit und Eigenverantwortung von den Beschäftigten. Viele Führungskräfte fragen sich: Können und wollen meine Mitarbeiter das überhaupt? Auch dabei kommt es ganz auf die Führung an.
Von Natur aus agil oder von der Struktur her träge?
Für die meisten Menschen ist es motivierend, die Arbeit selbst zu gestalten und gute Ergebnisse durch die persönliche Leistung zu beeinflussen. Die meisten Menschen können und wollen mehr Zuständigkeiten übernehmen als bisher. Viele Beschäftigte tun das heute bereits, obwohl das Management es gar nicht vorgesehen hat. Das geschieht zum Vorteil des Unternehmens, denn ein bloßer Dienst nach Vorschrift würde jedes Unternehmen lahmlegen.
Unpassender Führungsstil kann eine Ursache dafür sein, dass Beschäftigte Agilität ablehnen. Ein in den Unternehmen oft zitiertes Bonmot besagt, dass jede Führungskraft die Beschäftigten hat, die sie verdient. Die Theorien X und Y von McGregor Kirchler, Meier-Pesti, Hofmann (2004) bringen dies wissenschaftlich auf den Punkt.
So geht es aufwärts: Eigendynamik initiieren
Theorie Y beschreibt einen »Engelskreis«, der das Unternehmen immer agiler macht. Die Führungskraft sorgt für geeignete Leistungsbedingungen und wird zum Coach und Enabler für die Beschäftigten. Sie lässt die Zügel immer lockerer und die Beschäftigten übernehmen Verantwortung und zeigen Eigeninitiative. Die Führungskraft merkt, dass ihr Vertrauensvorschuss gerechtfertigt war, und kann weiter loslassen. Die Beschäftigten entwickeln Zutrauen in ihre eigene Leistungsfähigkeit und übernehmen Zug um Zug weitere Aufgaben.
So geht es abwärts: Hausgemachte Selbstblockaden
Theorie X setzt dagegen einen »Teufelskreis« in Gang, der das Unternehmen immer träger macht. Auslöser ist ein tayloristisches Menschenbild, nach dem die Beschäftigten nicht fähig und auch nicht bereit sind, ihre Arbeit richtig zu verrichten. Aufgabe der Führungskräfte ist es dann, die Menschen durch Vorgaben, Kontrolle und Druck zu effizienter Arbeitsausführung zu bewegen. Unter derartigen Rahmenbedingungen übernehmen die Beschäftigten aber wenig Verantwortung und zeigen kein Engagement. Es entsteht ein Arbeitsverhalten, das der Führungskraft bestätigt, dass sie nicht loslassen kann, sondern noch mehr Einfluss ausüben muss. Mit jeder Maßnahme geht es weiter abwärts.
Grundzüge der agilen Führung
Machen Sie sich bewusst, dass ein agiles Unternehmen sich nicht planen und steuern lässt wie ein Uhrwerk. Unternehmen sind organisierte Sozialsysteme mit einem unplanbaren Eigenleben. Sie bestehen aus Menschen, die unterschiedliche Lebensläufe, Erfahrungen und Identitäten mitbringen. Gemeinsam entscheiden und handeln die Menschen oft anders, als man dies erwarten kann. Dagegen anzukämpfen, kann kaum gelingen. Einem Manager, der das erfolglos versucht, wird die Herrschaft über den Veränderungsprozess entgleiten. Die Entwicklung bleibt dann mangels Unterstützung stecken, eventuell kommt es zu offenen Widerständen.
Besonders eine agile Unternehmenskultur lässt sich nicht am Reißbrett entwerfen und zentral gesteuert umsetzen. Denn der Input des Managements ist nur eine unter vielen Quellen, die auf die Kultur wirken. Anstatt also mit dem Setzen der Agenda, sollten Sie zunächst mit Zuhören beginnen. Fragen Sie die Beschäftigten, wie die Unternehmenskultur tatsächlich gelebt wird und wie sie gestaltet werden sollte. Verändern Sie gemeinsam mit allen Betroffenen die Prozesse und die Zuständigkeiten. Dazu sind viel Kommunikation, Zuhören und Austausch nötig.
Es ist also eine Führungsaufgabe, die Beschäftigten an die neuen Aufgaben und Verantwortungen heranzuführen. Agilität entsteht aber nicht durch einen Paukenschlag, machen Sie also zunächst kleine Schritte. Auf diese Weise wachsen die Beschäftigten in ihre neue Rolle hinein. Sie merken, dass sie tatsächlich gefragt sind, erlernen die neuen Aufgaben und erleben Selbstwirksamkeit. Und Sie als Führungskraft erleben, dass sie Ihren Beschäftigten tatsächlich vertrauen können und dass Sie loslassen können. Die Schritte können schnell größer werden. Ausdauer ist gefragt, Grenzen setzt dem Engelskreis wahrscheinlich nur der Mut der Verantwortlichen loszulassen.
Und lassen Sie sich durch Rückschlage nicht gleich entmutigen. Sie gehören zu jedem Veränderungsprozess dazu – und wo Reibung ist, entsteht Energie.
So geht es weiter
In der Blogreihe »Arbeitswelt 4.0« zeigen wir auf, was sich verändert, welche Handlungsmöglichkeiten für Unternehmen resultieren und worauf sie im Veränderungsprozess achten sollten. Dargestellt werden Ergebnisse aus dem Projekt »DIALOG ARBEITSWELT 4.0 IN BADEN-WÜRTTEMBERG«. In diesem Projekt haben wir erforscht, wie kleine und mittelständische Unternehmen im Ländle ihre führende Position in den kommenden Jahren verteidigen können. Das Projekt wurde vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg gefördert und gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Soziologie der Universität Hohenheim bearbeitet.
Mein nächster Blogbeitrag in der Blogreihe »Arbeitswelt 4.0« untersucht, das Zusammenwirken von Mensch, Organisation und Technik. Er wird in wenigen Tagen erscheinen.
Literatur: Kirchler, E.; Meier-Pesti, K.; Hofmann, E. (2004): Menschenbilder in Organisationen. WUVUniv.-Verlag (Arbeits- und Organisationpsychologie, 5), Wien.
Leselinks:
- Alle Blogbeiträge zum »Dialog Arbeitswelt 4.0 in Baden-Württemberg«
- Fachliche Vertiefung: »5. Leitsatz: Gewährleistet die Wirksamkeit der Menschen durch innovative Organisation«
- Projektwebseite »Dialog Arbeitswelt 4.0 in Baden-Württemberg« (wm.baden-wuerttemberg.de)
Kategorien: Advanced Systems Engineering (ASE), New Work / Connected Work
Tags: Arbeit der Zukunft, Arbeitsgestaltung, Arbeitswelt 4.0, Dialog Arbeitswelt 4.0 in Baden-Württemberg, Industrie 4.0