Während in manchen Ländern der Zugang zu ausreichender Energie – von sauberer Energie ganz zu schweigen – noch immer eine Herausforderung darstellt, schwelgen andere Länder im Überfluss des Konsums. Die Diskrepanz hinsichtlich Energiezugang und -verbrauch zwischen den Ländern des Globalen Nordens und Globalen Südens ist unbestreitbar. Die Ungerechtigkeiten im Energiebereich manifestieren sich jedoch auch entlang der Achsen von Geschlecht, Klasse, Race und Einkommen. Während die Energiewende den Anspruch erhebt, nicht nur nachhaltiger, sondern auch gerechter zu sein, stellt sich die zentrale Frage: Wird sie diesem Anspruch gerecht?

Wie unser Energiesystem Gewinner und Verlierer produziert

Neben der fraglichen Realisierbarkeit einer raschen und wahrhaft nachhaltigen Energiewende innerhalb der planetaren Grenzen durch technologische Lösungsansätze allein (siehe mein vorheriger Blogbeitrag), produzieren die globalen Energiesysteme eine komplexe Dynamik von Gewinnern und Verlierern. Die Ungerechtigkeiten, die die »Verlierer« erfahren, zeigen sich unter anderem in vier zentralen Dimensionen:

  • Verteilungsgerechtigkeit: ungleiche Verteilung von Nutzen, Ressourcen, Chancen und Lasten des Energiesystems. Zum Beispiel: Belastung durch schädliche Emissionen durch fossile Brennstoffe, Exposition gegenüber Risiken beim Abbau Seltener Erden für grüne Technologien oder ungleicher Zugang zu sauberer Energie.
  • Verfahrensgerechtigkeit: fehlender Zugang zu transparenten Informationen und fehlende Partizipationsmöglichkeiten, darunter ungleiche Bildungs- und Berufschancen im Energiesektor sowie fehlende Einbeziehung in Entscheidungsprozesse (auf lokaler oder nationaler Ebene).
  • Anerkennungs-Gerechtigkeit: fehlende Anerkennung und Berücksichtigung bestimmter Werte, kultureller Identitäten und Forderungen unterrepräsentierter und marginalisierter Gruppen bei Entscheidungsprozessen im Energiesektor.
  • Erdsystem-Gerechtigkeit: Ungleichheit beim Zugang zu Ressourcen und bei der Verteilung von Nutzen und Lasten – gegenüber 1) anderen Lebewesen und Ökosystemen, 2) nachkommenden Generationen, und 3) Menschen in anderen Ländern, Communities oder mit anderen Identitäten.

Eine kritische Auseinandersetzung mit ungerechten Strukturen des Globalen Nordens

Diese Ungerechtigkeiten treffen besonders Frauen, People of Color, indigene Bevölkerungsgruppen und finanziell benachteiligte Personen verhältnismäßig stark. Das ist darin begründet, dass den globalen Energiesystemen tief verwurzelte patriarchalische, rassistische und kolonialistische Strukturen zugrunde liegen, die bereits seit Jahrhunderten anhalten, und die oben genannten Ungleichheiten seit jeher (re)produzieren. Diese Dynamik ist nicht willkürlich, sondern das Ergebnis komplexer Wechselwirkungen zwischen historischen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Energiewende nicht nur eine technische oder wirtschaftliche Herausforderung ist, sondern ein vielschichtiger Prozess, der eine sorgfältige Prüfung historischer Ungleichheiten und systemischer Machtverhältnisse erfordert.

Die Unsichtbarkeit von Frauen im Energiesektor

Patriarchale Strukturen bilden ein wesentliches Fundament des globalen Energiesystems und prägen es durch tief verwurzelte Geschlechterungleichheiten.

Der Energiesektor zählt nach wie vor zu den am wenigsten geschlechterdiversen Bereichen der Wirtschaft. Frauen sind in Führungspositionen stark unterrepräsentiert und finden sich eher in schlechter bezahlten Berufen, in stereotypisch »femininen« Tätigkeiten oder Teilzeitpositionen mit weniger Einflussmöglichkeiten wieder. Diese Unterrepräsentation liegt zu einem großen Teil daran, dass überwiegend Frauen nach wie vor die unbezahlte und wenig wertgeschätzte Haus-, Pflege- und Fürsorgearbeit übernehmen. Der Mangel an Sichtbarkeit und Einflussmöglichkeiten führt dazu, dass die Anforderungen und Bedürfnisse von Frauen in der Energiepolitik häufig übersehen und nicht berücksichtigt werden (Verfahrensgerechtigkeit und Anerkennungs-Gerechtigkeit).

Darüber hinaus führt die mangelnde Sensibilität für Geschlechterfragen in der Energiepolitik dazu, dass Frauen (aufgrund fehlender/geringerer Einkommen und Rentenansprüche) eine unverhältnismäßige Last von Armut und entsprechend Energiearmut tragen. Ein Zustand, der sich im Globalen Süden verschärft. Dort kommt hinzu, dass Frauen vermehrt gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sind. Denn die Nutzung der ihnen zur Verfügung stehenden unsauberen Energiequellen für Kochen und Heizen – Aufgaben, die vorwiegend von Frauen übernommen werden – haben erhebliche Auswirkungen auf ihr Wohlergehen. Zusätzlich sind Frauen im Globalen Süden besonders stark von den Folgen der Klimakrise betroffen – eine Krise, für die sie keine Verantwortung tragen. Denn Unterschiede im Zugang zu Informationen, Mobilität und Entscheidungsstrukturen beeinträchtigen ihre Fähigkeit, mit den Auswirkungen der Krise umgehen zu können (Verteilungsgerechtigkeit, Erdsystem-Gerechtigkeit).

Die Erfahrungen von Frauen im Energiesektor sind vielfältig und hängen von ihren diversen Identitäten ab. Weiße Frauen, Women of Color, Indigene Frauen, LGBTQIA+ Frauen, Frauen mit Behinderungen und solche mit wirtschaftlicher Benachteiligung – sie alle erleben unterschiedliche Ausprägungen von Diskriminierung. Diese intersektionale Perspektive ist notwendig, um anzuerkennen, dass einige Menschen stärker von Energieungerechtigkeit benachteiligt sind als andere.

Reproduzierte rassistische Strukturen und koloniale Machtverhältnisse

Bei der Betrachtung intersektionaler Ungerechtigkeiten im Energiesystem wird eines ganz deutlich: das globale Energiesystem basiert nach wie vor auf rassistischen und kolonialen Strukturen. Die Anhäufung von Energiereichtum und Ressourcen im Globalen Norden geht oft auf die historische Ausbeutung marginalisierter Gemeinschaften, insbesondere BiPOC im Globalen Süden, zurück. Dies perpetuiert Muster der Ungerechtigkeit, bei denen die männliche weiße Elite Reichtum anhäuft, während marginalisierte BiPOC-Gemeinschaften die unverhältnismäßige Last von Umwelt- und sozialen Auswirkungen tragen. Diese historische Ausbeutung hat eine Abhängigkeit geschaffen, die die bestehenden Wirtschaftsstrukturen weiterhin prägt und verstärkt. Die Aneignung von Ressourcen und die ungleiche Verteilung des Nutzens verhindern die unabhängige Entwicklung im Globalen Süden und verschärfen globale Ungleichheiten.

Bei der genauen Betrachtung des European Green Deals (EGD) der Europäischen Union warnen Forschende bereits davor, dass er eine fortwährende Abhängigkeit von etablierten Rahmenbedingungen aufweist und Bedenken hinsichtlich seiner potenziellen Rolle bei der Aufrechterhaltung eines grünen Kolonialismus aufwirft. Denn am Ende müssen wir uns zwei Fragen stellen:

1) Wer sind die tatsächlichen Gewinner und Verlierer von grünen Technologien, für deren Entwicklung oder Betrieb die Ressourcen, das Land und die Arbeitskräfte vorrangig aus dem Globalen Süden kommen, während die Menschen vor Ort kaum davon profitieren?

2) Wer sind die tatsächlichen Gewinner und Verlierer einer Energiepolitik, die nicht innerhalb der planetaren Grenzen denkt und Umweltkrisen im Globalen Süden dadurch befördert?

Eine wahrhaft sozial-gerechte Energiepolitik muss die zugrundeliegenden historisch-bedingten Machstrukturen aufbrechen und sicherstellen, dass Energiepolitik global sozial-gerecht ist. Das heißt: Die »Verlierer« des aktuellen Energiesystems und deren Werte und Bedarfe anerkennen, sie prozedural einbinden und Nutzen und Lasten fair verteilen. Und das innerhalb planetarer Grenzen.

Im nächsten Blogbeitrag und damit letzten meiner Reihe möchte ich eine Antwort auf die toten Winkel der Energiewende finden und erklären, wie ein Feministisches Energiesystem nicht nur zu einem sozial-gerechten, sondern auch nachhaltigen Energiesystem innerhalb der planetaren Grenzen beitragen kann.

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Sabine Loos

Sabine ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am CeRRI des Fraunhofer IAO und widmet ihre Zeit der Erforschung einer sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Energiewende. Dabei fließen feministische Perspektiven und das Konzept »planetaren Grenzen« maßgeblich in ihre Forschung ein.

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