Ein technologischer Imperativ zur Bekämpfung des Klimawandels reicht nicht aus, denn neben dem CO2 in der Atmosphäre bedroht das Überschreiten weiterer planetarer Grenzen die menschliche Zukunft. Gleichzeitig unterliegen sowohl dem fossilen als auch dem erneuerbaren Energiesystem jahrhundertealte Strukturen, die Ungerechtigkeiten entlang von Geschlechter-, Einkommens- und ethnischen Dimensionen weiter reproduzieren, ohne dass sich die meisten Entscheidungstragenden dessen bewusst sind.

Die Antwort auf bevorstehende Umweltkrisen und globale Ungerechtigkeit erfordert mehr als grüne Technologien – sie erfordert das systemische Umdenken unserer Strukturen. Globale Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit bedingen sich gegenseitig und können daher nicht getrennt voneinander betrachtet werden.

Im Rahmen meiner Promotion beschäftige ich mich mit der Frage: Wie kann ein feministisches Energiesystem zu einer wahrhaft nachhaltigen und gerechten Transformation beitragen? Im Folgenden möchte ich die Eckpunkte einer feministischen Energiewende skizzieren.

Warum wir ein feministisches Energiesystem brauchen

Vorneweg: Nein, ein feministisches Energiesystem bedeutet nicht Männer=böse, Frauen=gut. Vielmehr setzt es sich mit den Ursachen ungleicher Machtstrukturen auseinander und fordert globale Gerechtigkeit.

Im vorherigen Blogbeitrag habe ich die intersektionalen Ungerechtigkeiten von denen weiße Frauen, Women of Color, Indigene Frauen, LGBTQIA+ Frauen, Frauen mit Behinderungen und solche mit wirtschaftlicher Benachteiligung betroffen sind erklärt, die durch ungleiche Machtverhältnisse produziert werden. Es ist dabei wichtig anzumerken: Natürlich – nicht nur Frauen werden im Energiesystem marginalisiert. Auch Männer und Jungen können Formen der Diskriminierung erleben. Das tun sie besonders dann, wenn sie den Erwartungen und Normen widersprechen, die vom bestehenden Energiesystem bezüglich männlicher Identitäten implizit diktiert werden – auch wenn es von den meisten Entscheidungstragenden vermutlich so nicht intendiert wird. Vor diesem Hintergrund ist eine strukturelle und intersektionale Betrachtung, die nicht alle Frauen pauschal als Opfer und alle Männer als verantwortlich bezeichnet, sondern die der Wurzel dieses Machtgefälles auf den Grund geht, unerlässlich.

Ein intersektionales feministisches Energiesystem lehnt es ab, Frauen grundsätzlich als »gut« oder »Opfer« und Männer als »schlecht« oder »Täter« zu kategorisieren. Frauen sind demnach auch kein alleiniges Allheilmittel für die Klimakrise – und sollten in einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema auch nicht ausschließlich als Klimaretterinnen romantisiert werden. Ein intersektionales feministisches Energiesystem geht auch über die (notwendigen, aber zu vereinfachten) Forderungen nach der Repräsentation von Frauen in Führungspositionen und mehr MINT-Bildungsmöglichkeiten für Mädchen hinaus.

Ein intersektionales feministisches Energiesystem verbindet Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit

Ein intersektionales feministisches Energiesystem hinterfragt die vorherrschenden weißen hetero-patriarchalen Strukturen ungleicher Machtverhältnisse kritisch und setzt sich für eine inklusive Energiewende ein, in der die Stimmen marginalisierter Menschen und Gemeinschaften gleichwertig mit denen weißer männlicher Eliten gewertet werden. Ein feministisches Energiesystem fordert Gerechtigkeit an mehreren Fronten, einschließlich Verteilungs-, Verfahrens-, Anerkennungs- und Erdsystem-Gerechtigkeit für alle, und umfasst dabei politische, technologische, wirtschaftliche und sozio-ökologische Dimensionen (mehr dazu in untenstehender Grafik).

Der Imperativ eines feministischen Energiesystems liegt daher in seiner harmonischen Existenz innerhalb der planetarischen Grenzen, um die Ökosystemfunktionen der Erde und die Lebensgrundlage der Menschen zu gewährleisten. Gelingt dies nicht, können die Ungerechtigkeiten, denen diejenigen ausgesetzt sind, die durch das vorherrschende Energiesystem am allermeisten an den Rand gedrängt werden, insbesondere Frauen und Menschen im Globalen Süden, unbeabsichtigt fortbestehen und verstärkt werden.

Ein feministischer Energieansatz geht in seinem Bestreben nach globaler Gerechtigkeit und wahrhaftiger Nachhaltigkeit Hand in Hand mit anti-rassistischen und post-kolonialen Theorien. Es erkennt die untrennbaren Verbindungen zwischen Geschlechterungleichheiten, rassistischen Strukturen, kolonialen Erblasten und ausbeuterischen Logiken des Kapitalismus im Energiesystem an und strebt nach einer ganzheitlichen Transformation, die alle diese Aspekte gleichermaßen berücksichtigt.

Ein solches Energiesystem erkennt bestenfalls im ersten Schritt strukturelle Machtverhältnisse an und etabliert institutionelle Rahmenbedingungen für Verteilungs-, Verfahrens-, Anerkennungs- und Erdsystem-Gerechtigkeit. Gleichzeitig definiert es Nachhaltigkeit im Sinne der planetaren Grenzen und strebt ein Leben innerhalb dieser (à la »Missionsorientierung im Rahmen planetarer Grenzen« oder »Planetary Boundaries New Deal«) an. Wie das genauer gelingen kann, untersuche ich im Rahmen meiner Doktorarbeit und im Projekt gEneSys.

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Sabine Loos

Sabine ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am CeRRI des Fraunhofer IAO und widmet ihre Zeit der Erforschung einer sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Energiewende. Dabei fließen feministische Perspektiven und das Konzept »planetaren Grenzen« maßgeblich in ihre Forschung ein.

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Kategorien: Innovation, Mensch-Technik-Interaktion, Nachhaltigkeit
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