Seit zwei Jahrzehnten berate ich kleine produzierende Unternehmen bei tiefgreifenden Veränderungsprozessen. Meine Erfahrung und mein gesunder Menschenverstand sagen mir, dass selbst erfolgreiche Unternehmen, die eine außergewöhnlich gute Lean-Organisation realisiert haben, ihre Potenziale bei Weitem noch nicht ausgeschöpft haben. Wir produzieren zwar die besten Autos und bauen die besten Maschinen, aber wir schaffen es nicht, unsere Innovationsprozesse genauso wirkungsvoll zu verbessern. Dass das möglich ist, zeigt Toyota. Toyota bekommt Abläufe schneller in Griff und verbessert sie wirkungsvoller – nicht nur in der Produktion. Den Grund dafür sehe ich in Selbstverständlichkeiten unserer betrieblichen Organisation, die wir nicht mehr hinterfragen, weil sie selbst zur Grundlage unserer Vorstellung über betriebliche Abläufe geworden sind:

Der Ursprung unserer betrieblichen Selbstverständlichkeiten:
Die grundlegenden Konzepte der Organisationsgestaltung wurden bis etwa 1920 entwickelt. Sie sind verbunden mit Namen wie Max Weber (Legitimation beruht nicht auf Gutsherrenart, sondern auf einem gesatzten, formalen Recht), Frederic W. Taylor (Betriebs- und Arbeitsmethoden müssen systematisch optimiert werden) und Henry Ford (Industrielle Fertigung braucht austauschbare Teile und standardisierte Abläufe). Die damals entwickelten Denkmuster werden intuitiv angewendet, dabei aber nicht mehr bewusst überprüft.
Sind noch alle richtig?

  • Wir müssen unsere Mitarbeiter zwingen, um erfolgreich zu sein.
  • Effizienz wird durch Arbeitsteilung und Spezialisierung garantiert.
  • Die Unternehmensleitung muss alles bis ins Detail kontrollieren.
  • Ein schlechter Plan ist besser, als gar kein Plan.
  • Wir können nicht alle Bedürfnisse der Menschen erfüllen.

Wohl kaum ein Manager würde diese Aussagen uneingeschränkt unterschreiben. Trotzdem beeinflussen sie die Unternehmen bis heute maßgeblich. Ich bin nach gründlicher Prüfung zu dem Schluss gekommen, dass diese Selbstverständlichkeiten mittlerweile grundlegende Fehler in unseren betrieblichen Abläufen produzieren und deshalb überholt sind. Sie sind für sichtbare Fehlentwicklungen verantwortlich, wie wir sie in vielen Unternehmen finden:

  • Verbesserungsprozesse versanden
  • Innovationsprozesse ziehen sich oft endlos dahin
  • Trotz intensivster DV-Nutzung gelingt es nicht, die Produktionssteuerung wirklich in den Griff zu bekommen.

Letztendlich stehen Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit auf dem Spiel, wenn Fehler nicht erkannt werden und deshalb nicht nachhaltig ausgeräumt werden können.

Lean like Toyota: Fundamentalistisch? Blauäugig? Erfolgreich!
Das Beispiel Toyota zeigt eindrucksvoll, wie eine andere Arbeitsgestaltung (besser) funktionieren kann. Toyota begann erst gegen 1950 mit der Realisierung wesentlicher Komponenten des heutigen Toyota Produktionssystems. Das Unternehmen fand einen eigenen Weg und konnte die Kinderkrankheiten der Industrialisierung vermeiden. Toyota respektiert die komplexe Wirklichkeit und verzichtet auf bürokratische Beherrschung bis ins Detail, wie umfassende Kostenrechnungs- oder Zielsysteme. Ein wesentlicher Teil der Koordination erfolgt durch klare Strategien und gemeinsam geteilte Werte. Die hochgradig dezentralen Teams haben eine starke, hochqualifizierte Führung. Sie wirken im Tagesgeschäft weitestgehend eigenverantwortlich, legen ihre Standards selber fest und verbessern sie ständig.

Ich wage die Prognose, dass die Arbeitsplatz- und Einkommenssicherung für Stammmitarbeiter, wie sie bei Toyota bereits seit Jahrzehnten besteht, auch von der aktuellen Krise nicht weggefegt wird.
Toyota wurde vom Amerikaner W. Edwards Deming intensiv beraten. Als ich die Konzepte von Deming kennenlernte, dachte ich spontan: Das enthält viele nachdenkenswerte Gedanken, geht aber in einigen Punkten zu weit. Dann aber wurde mir klar, dass Deming genau diese radikal erscheinenden Ansätze mit Toyota erprobt und verfeinert hat. Wahrscheinlich liegt gerade in den fundamentalistisch oder blauäugig erscheinenden Punkten der unerklärbare Erfolg des Toyota Produktionssystems begründet.
Es lohnt, sich einen Überblick über die Konzepte von Deming zu verschaffen.

Den Betrieb neu denken: Mögliche nächste Schritte
Ich möchte Sie einladen, über eine Arbeitsgestaltung auf Grundlage neuer Denkweisen nachzudenken – über eine Arbeitsgestaltung, die zu den derzeitigen Märkten, zur modernen Gesellschaft und zu den aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaft passt.
Haben Sie dazu Anregungen? Kennen Sie Beispiele für gut funktionierende Innovationen und Verbesserungsprozesse in den Unternehmen? Besitzen Sie Quellen, die geeignete Theorien möglichst knapp und verständlich darstellen? Als Impuls werde ich in weiteren Beiträgen konkrete Forschungs- und Beratungsergebnisse aus meiner Arbeit vertiefen. Dabei lasse ich mich von vier Fragen leiten:

  • Wie kann ein Unternehmen gestaltet werden, damit es mit der explodierenden Komplexität im globalen Kundenmarkt zurecht kommt?
  • Wie kann durch prozessgerechte Dezentralisierung mehr Transparenz mit weniger EDV hergestellt werden?
  • Wie kann durch nachvollziehbare Strategien und Werte eine wirkungsvollere Ausrichtung geschaffen werden, um unflexible Planungs- und Kontrollsysteme zu reduzieren?
  • Wie kann Motivation durch Sinn und Befriedigung möglichst aller Bedürfnisse ohne Druck und rein monetäre Anreize entstehen?

Haben Sie weitergehende Fragen? Fühlen Sie sich herausgefordert oder inspiriert? In jedem Fall bitte ich Sie, mir Ihre Gedanken, Fragen und Anregungen hier per Kommentar mitzuteilen. Ich freue mich auf eine offene Diskussion und auf fachliche Hinweise.

Weitere Einblicke in die Konzepte von Deming finden sich unter:
http://www.wandelweb.de/blog/?p=226
http://www.deming.ch/downloads/quo_vadis.pdf

Axel Korge

Axel Korge hat das Institut verlassen.

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