Wissenschaftsjahr 2013: Die demografische Chance

Die industrielle Produktionsweise wird sich in den kommenden Jahren wesentlich verändern. Ursachen dieser Entwicklung ist einerseits das variierende Produktportfolio, wie dies die Automobilindustrie beispielhaft verdeutlicht: Hier kommen neue Fahrzeugtypen nicht nur in größerer Vielfalt, sondern auch in immer kürzeren Zeitabständen auf den Markt. Andererseits wirkt sich der demografische Wandel gravierend auf die Arbeitsweise in den Fabriken aus. Industrielle Prozesse werden zukünftig mit einem deutlich erhöhten Anteil älterer Mitarbeiter zu betreiben sein. Das heißt auch: Wir müssen präventive Maßnahmen ergreifen, um absehbare Leistungsschwankungen der älteren Werker zu kompensieren.

Die demografische Hürde: eine alternde Belegschaft braucht eine neue Produktionskultur
Viele Produktionsunternehmen haben in den vergangenen Jahren »Ganzheitliche Produktionssysteme« implementiert. Organisatorische Prinzipien und technische Optimierungen sollen hierbei die Produktivität der Prozesse erhöhen. Nicht selten jedoch wurden die Anforderungen der arbeitenden Menschen in den Produktionssystemen vernachlässigt. Starre Produktionsabläufe begünstigen Über- oder Unterforderungen; die Menschen können ihre individuellen Kompetenzen nur unzureichend in die Wertschöpfungsprozesse einbringen. Die allmähliche Alterung der Belegschaften offenbart diese Tendenzen immer deutlicher. Ältere Werker, die in einfachen Routinetätigkeiten über Jahre hinweg keine lernförderlichen Herausforderungen erfahren haben, werden den Anforderungen moderner, variantenreicher Produktion immer weniger gerecht. Diese Menschen fühlen sich bei anstehenden Veränderungen häufig überfordert, sind unzufrieden, und ihre Zuverlässigkeit schwindet.

Leistungsgerechte und gesunde Produktionssysteme schaffen günstige Grundlagen, damit Menschen professionelle Erfahrungen sammeln und diese in sinnvolle Tätigkeiten einbringen können. Zudem werden hier einseitige körperliche Belastungen vermieden. Eine Gestaltung solcher Produktionssysteme verlangt vor allem eine neue Produktionskultur. Sie basiert auf den vier folgenden Schritten:

  1. Identifikation des Handlungsbedarfs durch Analyse der Arbeitsplätze, um Schwerpunkte von Gestaltungsmaßnahmen zu identifizieren.
  2. Entwicklung und Umsetzung von organisatorischen Konzepten, in denen die lernförderlichen Tätigkeitsanforderungen durch Rotationsysteme angemessen erweitert werden.
  3. Ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen und Produktionseinrichtungen, um einen möglichst freizügigen Personaleinsatz zu ermöglichen, unter Einbeziehung Älterer mit potenziellen Leistungseinschränkungen.
  4. Implementierung eines Prozesses zur Kontinuierlichen Verbesserung, um Werker u. a. für gesunde Arbeitsweisen, Bewegungsabläufe und Körperhaltungen zu sensibilisieren.

Wir haben in einem unserer Projekte relevante arbeitsorganisatorische und ergonomische Gestaltungsmaßnahmen identifiziert und diese anhand von Planungsgrundsätzen beschrieben. Diese Grundsätze gliedern sich in das bestehende Produktionssystem ein. Sie tragen dazu bei, dass die Tätigkeitsanforderungen und die Leistungsvoraussetzungen der Werker besser aufeinander abgestimmt werden können. Den Arbeitsplanern steht damit eine solide Basis für die zukünftige Gestaltung von Arbeitsplätzen und -systemen zur Verfügung. So machen sich Unternehmen fit für den demografischen Wandel.

Gemeinsam mit renommierten Produktionsunternehmen führen wir am 5. Juni 2013 ein Forum zum Thema »Gesunde Produktionssysteme« durch. Im Austausch mit ausgewiesenen Experten wollen wir die Grundlagen für ein betriebliches Netzwerk schaffen. Wenn auch Sie Interesse an diesem Thema haben, sind Sie herzlich zu dieser Veranstaltung eingeladen.

Martin Braun

Experte für menschliche Arbeit. Aufgrund umfassender Projekterfahrungen ist er überzeugt, dass Kreativität und Initiative erfolgskritische Faktoren in Unternehmen sind. In seinen Beiträgen gibt er Denkanstöße zum Human Factors Engineering und zeigt Erfolgsgeschichten auf.

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