Produzierende Unternehmen in Deutschland stehen angesichts des demographischen Wandels vor zwei existenziellen Herausforderungen: dem zunehmenden Fachkräftemangel und einer alternden Belegschaft. Prävention und Vorsorge können Ausfälle durch Überbelastung und chronische Erkrankungen reduzieren oder sogar vermeiden. Neue spielerische Methoden der Sensibilisierung von Führungskräften und Mitarbeitenden könnten dabei helfen, Belastungen zu erkennen und Gesundheit und Arbeitskraft der Belegschaft zu erhalten. Daher möchte ich Ihnen im Folgenden eine spielerische Variante vorstellen, mit der Mitarbeitende und Führungskräfte für das Thema subjektive Beanspruchung sensibilisiert werden können.

Das Durchschnittsalter der Erwerbstätigen in Deutschland ist seit 2009 von 41 Jahren (Statista 2011) auf 44,6 Jahre im Jahr 2020 (Statistisches Bundesamt 2021) gestiegen. Gleichzeitig nimmt im Alter die Krankheitslast zu. Krankheitsbilder wie Muskel-Skelett-Erkrankungen sind typisch in verschiedenen Berufsbildern, u.a. in der Montage und Handhabung von Materialien. Der Anteil erkrankter Arbeitnehmender wird durch die erhöhte Erwerbsbeteiligung von Älteren und die längere Lebensarbeitszeit zunehmen. Unternehmen müssen sich deswegen intensiv mit dem Thema Beanspruchung im Arbeitsprozess auseinandersetzen, um die Arbeitsfähigkeit ihrer Beschäftigten zu erhalten und einen aktiven Beitrag zur Arbeitsfähigkeit der Mitarbeitenden zu leisten.

Belastung ≠ Beanspruchung

Die Arbeitswissenschaft unterscheidet objektive Belastungen von subjektiven Beanspruchungen. Eine Belastung beschreibt alle erfassbaren Einflüsse, die auf die Mitarbeitenden bei der Arbeit wirken. Die Beanspruchung beschreibt die Reaktion eines Individuums auf die einwirkende Belastung. Nehmen wir beispielsweise einen 15kg Zementsack. Die Belastung beim Heben entspricht 15 kg, sie ist für jede Person gleich. Wie einfach oder schwer jeder einzelne von uns diese 15kg anheben kann, beschreibt die subjektive Beanspruchung. Die Belastung wirkt nicht auf jeden Menschen gleich, sondern abhängig von seinen individuellen Voraussetzungen. (DIN EN ISO 6385:2016)

Der Begriff Belastung ist wertfrei. Ein menschlicher Körper benötigt bspw. regelmäßige Belastung, damit die Muskeln nicht abbauen. Überschreitet die Belastung aber eine bestimmte Grenze, ist eine Überbeanspruchung möglich und die Belastung führt zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung.

Forschungsprojekt proRotation für digitalen Assistenten

Innerhalb des Forschungsprojekts proRotation entwickeln wir gemeinsam mit dem IAT der Universität Stuttgart, den Anwenderunternehmen Wachendorff und PR-Tronik, dem Technologieanbieter Syslog und der Kanzlei Datenschutz Krüger einen digitalen Assistenten, der eine dynamische und beanspruchungsgerechte Planung von Job Rotation ermöglicht. Dazu erfassen wir mittels Fragebögen und Vitaltracker den individuellen Beanspruchungszustand der Mitarbeitenden und leiten darauf basierend Rotationen über den Tag ein. Wir möchten damit einen Beitrag zur lebenslangen Gesundheit leisten und Mitarbeitende fit in die Rente schicken.

Spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema Beanspruchung

Im Rahmen einer Erstinformation war eines der Ziele unseres Projekts, die Mitarbeitenden über die vorgetragenen Informationen hinaus für das Thema zu motivieren und einen Widererkennungswert zu schaffen. Deswegen starteten wir den Termin mit einer Fingerolympiade, die aus zwei einfachen Spielen bestand:

Eine Gruppe stemmte mit dem kleinen Finger an einer Schnur gehängt zwei 0,5l PET-Flaschen. Ziel war es im ersten Schritt, am Stück so viele Wiederholungen wie möglich zu schaffen. Probieren Sie es gerne selbst aus! Unsere Ergebnisse lagen zwischen 1 und 36 Hübe. Im zweiten Schritt durften sich die Zweierteams jeweils abwechseln und dadurch kurze Pausen machen. Das machte das Erreichen der vorherigen Maximalanzahl deutlich angenehmer.

Die zweite Gruppe sortierte Nägel unterschiedlicher Farben aus einer schmalen KLT-Box heraus auf dem Tisch. Hierbei wurde die Zeit gestoppt. Auch hier erzielten wir eine breite Ergebnisspanne zwischen 1:10 min und 1:32 min.

Ziel war es bei beiden Spielen, nicht an den Rand der Erschöpfung zu gehen, sondern mit Achtsamkeit die persönliche Grenze zu identifizieren. Es sollte zudem deutlich werden, dass wir mit Beanspruchungen sehr unterschiedlich umgehen. Außerdem machen Pausen die Arbeit abwechslungsreicher.

Spielerisches Auseinandersetzen schafft Verständnis

Die spielerische Methode, die wir in diesem Zusammenhang gewählt haben, ermöglicht es, dass sich jeder Mitarbeitende mit dem Unterschied von Belastung und Beanspruchung auseinandersetzten und die eigenen Grenzen kennen lernen konnte. Das selbstständige Ausprobieren vereinfacht in diesem Zusammenhang nicht nur das Verständnis, sondern schafft auch einen Widererkennungswert für die folgenden Projektveranstaltungen.

Hier noch ein Aufruf in eigener Sache: Aktuell befragen wir in diesem Zusammenhang auch Unternehmen zum Stand der eigenen Job-Rotation-Umsetzung sowie zu Belastung und Beanspruchung im Arbeitsprozess. Falls Sie 7 Minuten Zeit finden, wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie uns hierbei unterstützen. Den Link zur Umfrage finden Sie unter den Leselinks.

Wenn Sie sich generell für Spielefizierung (engl. Gamification) interessieren, empfehle ich Ihnen meinen Blog-Beitrag »Den Weg aus dem Silo spielerisch meistern – Innovationsnetzwerk erforscht Zukunft der Zusammenarbeit«.

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